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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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menhang, in dem diese Istehen, und die Beziehung, die das Ganze
zu des Dichters Leben hatte, ist jedesmal das Entscheidende. Wie
wenig aus abgerissenen Stücken der Geist eines Dichters zu erken¬
nen ist, zeigt auf's deutlichste die wirre Schrift von Otto Lange,
"Göthe'S und Schiller's Sentenzen und sentenziöse Gedichte" (Berlin
1842), die zu nichts Anderem brauchbar ist, als einem geistesarmen
Lehrer Aufgaben für Stylübungen zu nennen. Der würde sich sehr
täuschen über Schiller's religiöse und politische Ansichten, der sie nach
Herrn Lange's Auszügen zu ermessen gedächte.
'

Sollte der Hauptinhalt der Schillerschen Weltanschauung in
abstracter Fassung mit ein Paar Worten herausgesagt werden, so
würde ich sie als einen Idealismus bezeichnen, der in Abkehr vom
Spiritualismus den Realismus in sich aufzunehmen suchte. spiri-
tualistisch nenne ich, um es kurz und gemeinverständlich zu bezeichnen,
den Geist der Weltbetrachtung, der in dem neuen Testamente sich
ausspricht, und den unsere Orthodoxen hegen, realistisch die ge¬
wöhnliche Ansicht deS gemeinen Haufens.

Schiller selbst bezeichnet sich als Idealisten und seinen großen
Freund Göthe als Realisten, und mit Recht. Daher haben Göthe's
Schöpfungen mehr plastische Anschaulichkeit, wogegen in Schiller's
Dichtungen eine größere Gewalt der Gefühle vorherrscht. Ihm war
bei seinem Pathos Alles Herzenssache, während dem Dichter der
Iphigenie und des Tasso das Bilden und Schaffen mehr ein Sich¬
vergnügen blieb. Die Aufregung rieb Schiller's Körper vor der Zeit
auf. Rastlos und angespannt arbeitete er an seiner eigenen Läute¬
rung; alle Bildungselememe suchte der Gewaltige in sich aufzuneh¬
men, und dadurch ist er uns auch in seinem Leben und Streben ein
hohes Musterbild geworden und dadurch unserer Verehrung so
würdig. Er darf die Vorliebe stolz verschmähen, die wir dem ^ar¬
men Poeten" so gern schenken. Schaut auf seinen Wandel und auf
sein Wirken, und Ihr werdet gestehen, daß ihm kein wahreres Lob
gegeben werden kann, als welches sein überlebender Freund aus¬
sprach in jenem schönen Monumente, das er ihm setzte:

.,Und hinter ihm im wesenlosen Scheine
Lag, was uns Alle bändigt, das Gemeine."

Schiller's Größe ruht nicht blos darauf, daß er ein guter Dich¬
ter war. Medicinische, historische und philosophische Studien hatte


menhang, in dem diese Istehen, und die Beziehung, die das Ganze
zu des Dichters Leben hatte, ist jedesmal das Entscheidende. Wie
wenig aus abgerissenen Stücken der Geist eines Dichters zu erken¬
nen ist, zeigt auf's deutlichste die wirre Schrift von Otto Lange,
„Göthe'S und Schiller's Sentenzen und sentenziöse Gedichte" (Berlin
1842), die zu nichts Anderem brauchbar ist, als einem geistesarmen
Lehrer Aufgaben für Stylübungen zu nennen. Der würde sich sehr
täuschen über Schiller's religiöse und politische Ansichten, der sie nach
Herrn Lange's Auszügen zu ermessen gedächte.
'

Sollte der Hauptinhalt der Schillerschen Weltanschauung in
abstracter Fassung mit ein Paar Worten herausgesagt werden, so
würde ich sie als einen Idealismus bezeichnen, der in Abkehr vom
Spiritualismus den Realismus in sich aufzunehmen suchte. spiri-
tualistisch nenne ich, um es kurz und gemeinverständlich zu bezeichnen,
den Geist der Weltbetrachtung, der in dem neuen Testamente sich
ausspricht, und den unsere Orthodoxen hegen, realistisch die ge¬
wöhnliche Ansicht deS gemeinen Haufens.

Schiller selbst bezeichnet sich als Idealisten und seinen großen
Freund Göthe als Realisten, und mit Recht. Daher haben Göthe's
Schöpfungen mehr plastische Anschaulichkeit, wogegen in Schiller's
Dichtungen eine größere Gewalt der Gefühle vorherrscht. Ihm war
bei seinem Pathos Alles Herzenssache, während dem Dichter der
Iphigenie und des Tasso das Bilden und Schaffen mehr ein Sich¬
vergnügen blieb. Die Aufregung rieb Schiller's Körper vor der Zeit
auf. Rastlos und angespannt arbeitete er an seiner eigenen Läute¬
rung; alle Bildungselememe suchte der Gewaltige in sich aufzuneh¬
men, und dadurch ist er uns auch in seinem Leben und Streben ein
hohes Musterbild geworden und dadurch unserer Verehrung so
würdig. Er darf die Vorliebe stolz verschmähen, die wir dem ^ar¬
men Poeten" so gern schenken. Schaut auf seinen Wandel und auf
sein Wirken, und Ihr werdet gestehen, daß ihm kein wahreres Lob
gegeben werden kann, als welches sein überlebender Freund aus¬
sprach in jenem schönen Monumente, das er ihm setzte:

.,Und hinter ihm im wesenlosen Scheine
Lag, was uns Alle bändigt, das Gemeine."

Schiller's Größe ruht nicht blos darauf, daß er ein guter Dich¬
ter war. Medicinische, historische und philosophische Studien hatte


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[0396] menhang, in dem diese Istehen, und die Beziehung, die das Ganze zu des Dichters Leben hatte, ist jedesmal das Entscheidende. Wie wenig aus abgerissenen Stücken der Geist eines Dichters zu erken¬ nen ist, zeigt auf's deutlichste die wirre Schrift von Otto Lange, „Göthe'S und Schiller's Sentenzen und sentenziöse Gedichte" (Berlin 1842), die zu nichts Anderem brauchbar ist, als einem geistesarmen Lehrer Aufgaben für Stylübungen zu nennen. Der würde sich sehr täuschen über Schiller's religiöse und politische Ansichten, der sie nach Herrn Lange's Auszügen zu ermessen gedächte. ' Sollte der Hauptinhalt der Schillerschen Weltanschauung in abstracter Fassung mit ein Paar Worten herausgesagt werden, so würde ich sie als einen Idealismus bezeichnen, der in Abkehr vom Spiritualismus den Realismus in sich aufzunehmen suchte. spiri- tualistisch nenne ich, um es kurz und gemeinverständlich zu bezeichnen, den Geist der Weltbetrachtung, der in dem neuen Testamente sich ausspricht, und den unsere Orthodoxen hegen, realistisch die ge¬ wöhnliche Ansicht deS gemeinen Haufens. Schiller selbst bezeichnet sich als Idealisten und seinen großen Freund Göthe als Realisten, und mit Recht. Daher haben Göthe's Schöpfungen mehr plastische Anschaulichkeit, wogegen in Schiller's Dichtungen eine größere Gewalt der Gefühle vorherrscht. Ihm war bei seinem Pathos Alles Herzenssache, während dem Dichter der Iphigenie und des Tasso das Bilden und Schaffen mehr ein Sich¬ vergnügen blieb. Die Aufregung rieb Schiller's Körper vor der Zeit auf. Rastlos und angespannt arbeitete er an seiner eigenen Läute¬ rung; alle Bildungselememe suchte der Gewaltige in sich aufzuneh¬ men, und dadurch ist er uns auch in seinem Leben und Streben ein hohes Musterbild geworden und dadurch unserer Verehrung so würdig. Er darf die Vorliebe stolz verschmähen, die wir dem ^ar¬ men Poeten" so gern schenken. Schaut auf seinen Wandel und auf sein Wirken, und Ihr werdet gestehen, daß ihm kein wahreres Lob gegeben werden kann, als welches sein überlebender Freund aus¬ sprach in jenem schönen Monumente, das er ihm setzte: .,Und hinter ihm im wesenlosen Scheine Lag, was uns Alle bändigt, das Gemeine." Schiller's Größe ruht nicht blos darauf, daß er ein guter Dich¬ ter war. Medicinische, historische und philosophische Studien hatte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/396>, abgerufen am 01.09.2024.