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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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es der Dichter, seine eigene Frömmigkeit in sie führte. Der Ritter,
der den bösen Drachen erschlug, hat des Ordensmeistcrs vorsvrgendeö
Gebot gebrochen, um sich zum Opfer zu weihen für das jammernde
Volk. Er erlös't es von der Trübsal und führt dann den Bruch der
Ordnung durch reuige Ergebung in die Schmach der Strafe. Die
Jungfrau von Orleans, die gotterfüllte Kriegerin, die das Vaterland
retten soll, strauchelt, weil sie ein fühlendes Weib ist: aber ihres
Berufes schnell eingedenk, richtet sie sich empor, geht irdisch unter in
kurzem Schmerze und lebt siegend in ewiger Freude.

Die zweite duftende, prangende Blüthe ist sein Freiheitsdrang.
Ein unverständiges Geschlecht hat es zwar geläugnet, daß er von ihr
alles echte Glück, Größe, Gedeihen abhängig mache, aber so lange
es uns erlaubt sein wird, Schiller's Dramen, Schiller's Geschichts¬
bücher zu lesen, so lange werden wir nicht aufhören zu behaupten,
daß er ein feuriger Sänger der Freiheit war -- und wenn wir sie
nicht mehr werden lesen dürfen, werden wir uns trösten mit seinem
Spruche, daß mit der Dummheit Götter selbst vergebens kämpfen.
Mögen Volkssouveränetät und bewaffneter Widerstand Stichwörter
unserer Tage sein, er hat sie verkündet, gebilligt. Die Räuber, welche
auf dem Titelblatte einen zornig aufsteigenden Löwen mit der Um¬
schrift: "in tiritlluos" zeigen, waren sein erstes Drama, und Tell,
sein letztes, in dem beim feierlichen Bunde ein Greis jenes nachhal--
lente Wort von der Unzerbrechlichkeit der ewigen Menschenrechte
spricht, schließt mit der Rede des Nudenz: "Und frei erklär ich alle
meine Knechte!" Ob ungestüm wild im Räuberliede, ob gemessener
und ruhiger im Soldatenliede, überall doch lodert die Muth seiner
Freiheitsliebe durch. Selbst der verblendete Mortimer zieht, umgeben
von Häschern, den Dolch gegen sich mit dem Rufe: "Ich bin frei!"

Tugend und Freiheit, die herrlichsten Güter, denen das auf¬
strebende Gemüth nachtrachten kann, sind jedoch nicht gepaart mit
dem äußeren Glück. Des' Gunst folgt dem schlechten Manne.
Der Strahl seiner Sonne wärmt den Edlen nur selten und wenig.
Die schönen Augenblicke des Mar und der Thekla fliehen schnell
vorüber, und der irdische Untergang ereilt sie, indeß der sittlich ver¬
nichtete Octavio mit der Fürstenwürde geschmückt wird.

Aber Schiller bleibt bei diesem Zwiespalt zwischen Lohn und
Verdienst nicht stehen. Er geht hoher hinauf zu einer vollkommneren


es der Dichter, seine eigene Frömmigkeit in sie führte. Der Ritter,
der den bösen Drachen erschlug, hat des Ordensmeistcrs vorsvrgendeö
Gebot gebrochen, um sich zum Opfer zu weihen für das jammernde
Volk. Er erlös't es von der Trübsal und führt dann den Bruch der
Ordnung durch reuige Ergebung in die Schmach der Strafe. Die
Jungfrau von Orleans, die gotterfüllte Kriegerin, die das Vaterland
retten soll, strauchelt, weil sie ein fühlendes Weib ist: aber ihres
Berufes schnell eingedenk, richtet sie sich empor, geht irdisch unter in
kurzem Schmerze und lebt siegend in ewiger Freude.

Die zweite duftende, prangende Blüthe ist sein Freiheitsdrang.
Ein unverständiges Geschlecht hat es zwar geläugnet, daß er von ihr
alles echte Glück, Größe, Gedeihen abhängig mache, aber so lange
es uns erlaubt sein wird, Schiller's Dramen, Schiller's Geschichts¬
bücher zu lesen, so lange werden wir nicht aufhören zu behaupten,
daß er ein feuriger Sänger der Freiheit war — und wenn wir sie
nicht mehr werden lesen dürfen, werden wir uns trösten mit seinem
Spruche, daß mit der Dummheit Götter selbst vergebens kämpfen.
Mögen Volkssouveränetät und bewaffneter Widerstand Stichwörter
unserer Tage sein, er hat sie verkündet, gebilligt. Die Räuber, welche
auf dem Titelblatte einen zornig aufsteigenden Löwen mit der Um¬
schrift: „in tiritlluos" zeigen, waren sein erstes Drama, und Tell,
sein letztes, in dem beim feierlichen Bunde ein Greis jenes nachhal--
lente Wort von der Unzerbrechlichkeit der ewigen Menschenrechte
spricht, schließt mit der Rede des Nudenz: „Und frei erklär ich alle
meine Knechte!" Ob ungestüm wild im Räuberliede, ob gemessener
und ruhiger im Soldatenliede, überall doch lodert die Muth seiner
Freiheitsliebe durch. Selbst der verblendete Mortimer zieht, umgeben
von Häschern, den Dolch gegen sich mit dem Rufe: „Ich bin frei!"

Tugend und Freiheit, die herrlichsten Güter, denen das auf¬
strebende Gemüth nachtrachten kann, sind jedoch nicht gepaart mit
dem äußeren Glück. Des' Gunst folgt dem schlechten Manne.
Der Strahl seiner Sonne wärmt den Edlen nur selten und wenig.
Die schönen Augenblicke des Mar und der Thekla fliehen schnell
vorüber, und der irdische Untergang ereilt sie, indeß der sittlich ver¬
nichtete Octavio mit der Fürstenwürde geschmückt wird.

Aber Schiller bleibt bei diesem Zwiespalt zwischen Lohn und
Verdienst nicht stehen. Er geht hoher hinauf zu einer vollkommneren


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[0393] es der Dichter, seine eigene Frömmigkeit in sie führte. Der Ritter, der den bösen Drachen erschlug, hat des Ordensmeistcrs vorsvrgendeö Gebot gebrochen, um sich zum Opfer zu weihen für das jammernde Volk. Er erlös't es von der Trübsal und führt dann den Bruch der Ordnung durch reuige Ergebung in die Schmach der Strafe. Die Jungfrau von Orleans, die gotterfüllte Kriegerin, die das Vaterland retten soll, strauchelt, weil sie ein fühlendes Weib ist: aber ihres Berufes schnell eingedenk, richtet sie sich empor, geht irdisch unter in kurzem Schmerze und lebt siegend in ewiger Freude. Die zweite duftende, prangende Blüthe ist sein Freiheitsdrang. Ein unverständiges Geschlecht hat es zwar geläugnet, daß er von ihr alles echte Glück, Größe, Gedeihen abhängig mache, aber so lange es uns erlaubt sein wird, Schiller's Dramen, Schiller's Geschichts¬ bücher zu lesen, so lange werden wir nicht aufhören zu behaupten, daß er ein feuriger Sänger der Freiheit war — und wenn wir sie nicht mehr werden lesen dürfen, werden wir uns trösten mit seinem Spruche, daß mit der Dummheit Götter selbst vergebens kämpfen. Mögen Volkssouveränetät und bewaffneter Widerstand Stichwörter unserer Tage sein, er hat sie verkündet, gebilligt. Die Räuber, welche auf dem Titelblatte einen zornig aufsteigenden Löwen mit der Um¬ schrift: „in tiritlluos" zeigen, waren sein erstes Drama, und Tell, sein letztes, in dem beim feierlichen Bunde ein Greis jenes nachhal-- lente Wort von der Unzerbrechlichkeit der ewigen Menschenrechte spricht, schließt mit der Rede des Nudenz: „Und frei erklär ich alle meine Knechte!" Ob ungestüm wild im Räuberliede, ob gemessener und ruhiger im Soldatenliede, überall doch lodert die Muth seiner Freiheitsliebe durch. Selbst der verblendete Mortimer zieht, umgeben von Häschern, den Dolch gegen sich mit dem Rufe: „Ich bin frei!" Tugend und Freiheit, die herrlichsten Güter, denen das auf¬ strebende Gemüth nachtrachten kann, sind jedoch nicht gepaart mit dem äußeren Glück. Des' Gunst folgt dem schlechten Manne. Der Strahl seiner Sonne wärmt den Edlen nur selten und wenig. Die schönen Augenblicke des Mar und der Thekla fliehen schnell vorüber, und der irdische Untergang ereilt sie, indeß der sittlich ver¬ nichtete Octavio mit der Fürstenwürde geschmückt wird. Aber Schiller bleibt bei diesem Zwiespalt zwischen Lohn und Verdienst nicht stehen. Er geht hoher hinauf zu einer vollkommneren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/393>, abgerufen am 28.07.2024.