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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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gegen Nikolaus verflochten, zum Tode verurtheilt und zum Dienst als
gemeiner Soldat begnadigt, mehrere Jahre tapfer im Kaukasus focht,
bis ihn eine tscherkessische Kugel erlöste. Bestuscheff war bürgerlich
todt; mit seinem Familiennamen durste er öffentlich nie mehr erwähnt
werden. Der Soldat und Dichter Marlinski aber wurde bald in Ru߬
land einer der volksthümlichsten und gefeiertsten Namen. Seine Bil¬
der aus ven Kaukasus, welche oft die lebendigste Sympathie für den
ursprünglichen Adel und den großartigen Charakter der kaukasischen
"Rebellen" athmen, durften in Rußland gedruckt werden! Eine dieser
Erzählungen (Ammalat-Veck. Aus dem Russischen von Philipp Lö-
benstein. Leipzig, Theodor Thomas. 1845,) liegt uns in einer, bis
auf wenige Nussicismen, sehr gelungenen Uebertragung vor; und wir
bewundern in Marlinski nicht blos den naturtreuen Zeichner, der uns
mit einem Zauberschlag mitten unter den buntwechselnden Stammen
der Kaukasusvölker heimisch macht und die strahlende Schönheit der
asiatischen Alpenwelt mitgenießm laßt: wir müssen auch den Poeten an¬
erkennen, der die ganze Gluth und Tiefe asiatischer Leidenschaft mit
echt dramatischer Kraft darzustellen wußte. Viele Scenen erinnerten
uns an Byrons poetische Erzählungen. Ammalat selbst ist eine jener
Naturen, die man in civilisirten Ländern dämonisch zu nennen pflegt,
weil man die ganze Entschiedenheit und Naivetät in ihren guten und
bösen Richtungen nicht fassen kann. Sein Schicksal bringt ihn in die
Gefangenschaft der Russen, wo sich ein Oberst Werchowski seiner vä¬
terlich annimmt. Ammalat, der durch Geisteskraft über seine Stamm¬
genossen hinausragt, lernt die Civilisation kennen und ihre Vorzüge
ahnen. Innerlich aber bleibt er Asiate, heldenmüthig und kindisch,
großmüthig und hinterlistig zugleich, ein Engel in seiner Lie¬
be, ein Teufel in seinem Haß; ein Naturkind, welches die
blasse Gemüthlichkeit und das verständige, gutmüthig kühle We¬
sen seines europäischen Freundes nicht begreift, ja leicht mit Mi߬
trauen betrachtet. Vom Heimweh gefoltert, durch falsche Gerüchte
über Werchowski, die ihm ein fanatischer Tscherkesse, Sultan Achmet
Khan, cinblas't, und durch seine Liebe zu Achmet's Tochter Selta-
ncta, die er als Russenfreund meiden muß, zum Wahnsinn gebracht,
ermordet er seinen Wohlthäter und flieht in die Berge zurück. Da
erst erfahrt er, daß man ihn getäuscht. Und wahrend ihn die bitterste
Reue verfolgt, wird er auch von seinen Stammgenossen, als ein Frev¬
ler am heiligen Gastrecht, verstoßen und bis an seinen jfrühcn Tod wie
Kain gemieden. Hoffentlich bringt uns dieselbe Verlagshandlung noch
mehrere Marlinskische Erzählungen.

-- Sonntag am wurde auf dem Leipziger Theater, zur
Vorfeier des hiesigen Schillerfcstes, Kabale und Liebe gegeben. Bei


gegen Nikolaus verflochten, zum Tode verurtheilt und zum Dienst als
gemeiner Soldat begnadigt, mehrere Jahre tapfer im Kaukasus focht,
bis ihn eine tscherkessische Kugel erlöste. Bestuscheff war bürgerlich
todt; mit seinem Familiennamen durste er öffentlich nie mehr erwähnt
werden. Der Soldat und Dichter Marlinski aber wurde bald in Ru߬
land einer der volksthümlichsten und gefeiertsten Namen. Seine Bil¬
der aus ven Kaukasus, welche oft die lebendigste Sympathie für den
ursprünglichen Adel und den großartigen Charakter der kaukasischen
„Rebellen" athmen, durften in Rußland gedruckt werden! Eine dieser
Erzählungen (Ammalat-Veck. Aus dem Russischen von Philipp Lö-
benstein. Leipzig, Theodor Thomas. 1845,) liegt uns in einer, bis
auf wenige Nussicismen, sehr gelungenen Uebertragung vor; und wir
bewundern in Marlinski nicht blos den naturtreuen Zeichner, der uns
mit einem Zauberschlag mitten unter den buntwechselnden Stammen
der Kaukasusvölker heimisch macht und die strahlende Schönheit der
asiatischen Alpenwelt mitgenießm laßt: wir müssen auch den Poeten an¬
erkennen, der die ganze Gluth und Tiefe asiatischer Leidenschaft mit
echt dramatischer Kraft darzustellen wußte. Viele Scenen erinnerten
uns an Byrons poetische Erzählungen. Ammalat selbst ist eine jener
Naturen, die man in civilisirten Ländern dämonisch zu nennen pflegt,
weil man die ganze Entschiedenheit und Naivetät in ihren guten und
bösen Richtungen nicht fassen kann. Sein Schicksal bringt ihn in die
Gefangenschaft der Russen, wo sich ein Oberst Werchowski seiner vä¬
terlich annimmt. Ammalat, der durch Geisteskraft über seine Stamm¬
genossen hinausragt, lernt die Civilisation kennen und ihre Vorzüge
ahnen. Innerlich aber bleibt er Asiate, heldenmüthig und kindisch,
großmüthig und hinterlistig zugleich, ein Engel in seiner Lie¬
be, ein Teufel in seinem Haß; ein Naturkind, welches die
blasse Gemüthlichkeit und das verständige, gutmüthig kühle We¬
sen seines europäischen Freundes nicht begreift, ja leicht mit Mi߬
trauen betrachtet. Vom Heimweh gefoltert, durch falsche Gerüchte
über Werchowski, die ihm ein fanatischer Tscherkesse, Sultan Achmet
Khan, cinblas't, und durch seine Liebe zu Achmet's Tochter Selta-
ncta, die er als Russenfreund meiden muß, zum Wahnsinn gebracht,
ermordet er seinen Wohlthäter und flieht in die Berge zurück. Da
erst erfahrt er, daß man ihn getäuscht. Und wahrend ihn die bitterste
Reue verfolgt, wird er auch von seinen Stammgenossen, als ein Frev¬
ler am heiligen Gastrecht, verstoßen und bis an seinen jfrühcn Tod wie
Kain gemieden. Hoffentlich bringt uns dieselbe Verlagshandlung noch
mehrere Marlinskische Erzählungen.

— Sonntag am wurde auf dem Leipziger Theater, zur
Vorfeier des hiesigen Schillerfcstes, Kabale und Liebe gegeben. Bei


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/387>, abgerufen am 28.07.2024.