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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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dessen Beruf die Kanzel ist, sich nach der Würde einer Prälatur ge¬
sehnt haben soll, welche einen minder strebsamen Geist beglücken kann,
der sich nach den Fleischtöpfen Aegyptens sehnt und nach der Wich¬
tigkeit eines Gutsherrn, Wie groß die Verehrung gewesen, deren Sed-
laczek hier genoß, sah man, als er unlängst seine Abschiedspredigt in
der Hofkapelle hielt; um sechs Uhr Morgens waren bereits die Stühle
besetzt und um sieben Uhr die Kirche dergestalt mit Menschen über¬
füllt daß die Thüren geschlossen werden mußten. Bei seiner Abfahrt
drängten sich die Leute, die nichts weniger als den unteren Volks-
classen angehörten, um den Gefeierten, berührten den Saum seines
Kleides, baten um seinen Segen, und ich sah Viele, welche in Thränen
und lautes Schluchzen ausbrachen, sowohl Herren als Damen. Sed-
laczck ist von Geburt ein Mähre, besitzt eine schöne Gestalt, herrliches
Organ und die ausdrucksvollsten Gesichtszüge, kurz er ist ein Mann,
wie ihn der Dichter zeichnen muß, wenn er einen katholischen Prie¬
ster darstellen will, dessen Zunge hinreißt und die Menschenherzen
elektriitt, der den Geist fesselt und den Sinnen imponirt.

Eine interessante Erscheinung war der berühmte Nationalökonom,
Dr. List, der hier von höchstgestellten Mannern sehr ausgezeich¬
net wurde. List hat vor Kurzem in der Allgemeinen Zeitung die An¬
gabe in Abrede gestellt, er sei von einem berühmten Staatsmanne
Oesterreichs oftmals zu Rathe gezogen worden, was seiner Bescheiden¬
heit und seinem Takt allerdings zur Ehre gereicht; nichts desto we¬
niger bleibt es unbestritten, daß List dicecte Mittheilungen aus
dem Bureau des Hofkammerpräfidiums erhalt, was wir auch ganz in
der Ordnung finden. In England, Frankreich und Belgien würde
man einen so ausgezeichneten Mann noch weit mehr benützen, als
dies leider in Deutschland der Fall ist, wo der letzte Schreiber sich
dem ersten Genie gegenüber in die Brust wirft, wenn dieses Genie
kein Anstellungsdccret mit mindestens dreihundert Gulden Gehalt in
der Tasche tragt. Dr. List hat mehrere vertraute Besprechungen mit
Baron Kübeck gepflogen und geht nach Ungarn, um, wie man ver¬
sichert, die Auswanderungsverhaltnisse zu prüfen und Verbindungen
mit begüterten Magnaten und einflußreichen Deputirten anzuknüpfen.


U.
A u S P r e s; b u r g.

Der Reichstag. -- Die Besteuerung des Adels beschlossen. -- Szechenyi und
Blücher. -- GrafAndrassv und Tcngovorski. -- Urtheil in der Erceßsache. --
Deiuhardstein's "Motesens" und die Preßvurgcr Theaterdirection.

In wenigen Tagen wird der Reichstag vom Könige in Person
geschlossen werden. (Die Ungarn nennen den Landesherrn, so oft sie
von ihren Angelegenheiten sprechen, immer mit ein wenig Coquetterie den


dessen Beruf die Kanzel ist, sich nach der Würde einer Prälatur ge¬
sehnt haben soll, welche einen minder strebsamen Geist beglücken kann,
der sich nach den Fleischtöpfen Aegyptens sehnt und nach der Wich¬
tigkeit eines Gutsherrn, Wie groß die Verehrung gewesen, deren Sed-
laczek hier genoß, sah man, als er unlängst seine Abschiedspredigt in
der Hofkapelle hielt; um sechs Uhr Morgens waren bereits die Stühle
besetzt und um sieben Uhr die Kirche dergestalt mit Menschen über¬
füllt daß die Thüren geschlossen werden mußten. Bei seiner Abfahrt
drängten sich die Leute, die nichts weniger als den unteren Volks-
classen angehörten, um den Gefeierten, berührten den Saum seines
Kleides, baten um seinen Segen, und ich sah Viele, welche in Thränen
und lautes Schluchzen ausbrachen, sowohl Herren als Damen. Sed-
laczck ist von Geburt ein Mähre, besitzt eine schöne Gestalt, herrliches
Organ und die ausdrucksvollsten Gesichtszüge, kurz er ist ein Mann,
wie ihn der Dichter zeichnen muß, wenn er einen katholischen Prie¬
ster darstellen will, dessen Zunge hinreißt und die Menschenherzen
elektriitt, der den Geist fesselt und den Sinnen imponirt.

Eine interessante Erscheinung war der berühmte Nationalökonom,
Dr. List, der hier von höchstgestellten Mannern sehr ausgezeich¬
net wurde. List hat vor Kurzem in der Allgemeinen Zeitung die An¬
gabe in Abrede gestellt, er sei von einem berühmten Staatsmanne
Oesterreichs oftmals zu Rathe gezogen worden, was seiner Bescheiden¬
heit und seinem Takt allerdings zur Ehre gereicht; nichts desto we¬
niger bleibt es unbestritten, daß List dicecte Mittheilungen aus
dem Bureau des Hofkammerpräfidiums erhalt, was wir auch ganz in
der Ordnung finden. In England, Frankreich und Belgien würde
man einen so ausgezeichneten Mann noch weit mehr benützen, als
dies leider in Deutschland der Fall ist, wo der letzte Schreiber sich
dem ersten Genie gegenüber in die Brust wirft, wenn dieses Genie
kein Anstellungsdccret mit mindestens dreihundert Gulden Gehalt in
der Tasche tragt. Dr. List hat mehrere vertraute Besprechungen mit
Baron Kübeck gepflogen und geht nach Ungarn, um, wie man ver¬
sichert, die Auswanderungsverhaltnisse zu prüfen und Verbindungen
mit begüterten Magnaten und einflußreichen Deputirten anzuknüpfen.


U.
A u S P r e s; b u r g.

Der Reichstag. — Die Besteuerung des Adels beschlossen. — Szechenyi und
Blücher. — GrafAndrassv und Tcngovorski. — Urtheil in der Erceßsache. —
Deiuhardstein's „Motesens" und die Preßvurgcr Theaterdirection.

In wenigen Tagen wird der Reichstag vom Könige in Person
geschlossen werden. (Die Ungarn nennen den Landesherrn, so oft sie
von ihren Angelegenheiten sprechen, immer mit ein wenig Coquetterie den


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[0377] dessen Beruf die Kanzel ist, sich nach der Würde einer Prälatur ge¬ sehnt haben soll, welche einen minder strebsamen Geist beglücken kann, der sich nach den Fleischtöpfen Aegyptens sehnt und nach der Wich¬ tigkeit eines Gutsherrn, Wie groß die Verehrung gewesen, deren Sed- laczek hier genoß, sah man, als er unlängst seine Abschiedspredigt in der Hofkapelle hielt; um sechs Uhr Morgens waren bereits die Stühle besetzt und um sieben Uhr die Kirche dergestalt mit Menschen über¬ füllt daß die Thüren geschlossen werden mußten. Bei seiner Abfahrt drängten sich die Leute, die nichts weniger als den unteren Volks- classen angehörten, um den Gefeierten, berührten den Saum seines Kleides, baten um seinen Segen, und ich sah Viele, welche in Thränen und lautes Schluchzen ausbrachen, sowohl Herren als Damen. Sed- laczck ist von Geburt ein Mähre, besitzt eine schöne Gestalt, herrliches Organ und die ausdrucksvollsten Gesichtszüge, kurz er ist ein Mann, wie ihn der Dichter zeichnen muß, wenn er einen katholischen Prie¬ ster darstellen will, dessen Zunge hinreißt und die Menschenherzen elektriitt, der den Geist fesselt und den Sinnen imponirt. Eine interessante Erscheinung war der berühmte Nationalökonom, Dr. List, der hier von höchstgestellten Mannern sehr ausgezeich¬ net wurde. List hat vor Kurzem in der Allgemeinen Zeitung die An¬ gabe in Abrede gestellt, er sei von einem berühmten Staatsmanne Oesterreichs oftmals zu Rathe gezogen worden, was seiner Bescheiden¬ heit und seinem Takt allerdings zur Ehre gereicht; nichts desto we¬ niger bleibt es unbestritten, daß List dicecte Mittheilungen aus dem Bureau des Hofkammerpräfidiums erhalt, was wir auch ganz in der Ordnung finden. In England, Frankreich und Belgien würde man einen so ausgezeichneten Mann noch weit mehr benützen, als dies leider in Deutschland der Fall ist, wo der letzte Schreiber sich dem ersten Genie gegenüber in die Brust wirft, wenn dieses Genie kein Anstellungsdccret mit mindestens dreihundert Gulden Gehalt in der Tasche tragt. Dr. List hat mehrere vertraute Besprechungen mit Baron Kübeck gepflogen und geht nach Ungarn, um, wie man ver¬ sichert, die Auswanderungsverhaltnisse zu prüfen und Verbindungen mit begüterten Magnaten und einflußreichen Deputirten anzuknüpfen. U. A u S P r e s; b u r g. Der Reichstag. — Die Besteuerung des Adels beschlossen. — Szechenyi und Blücher. — GrafAndrassv und Tcngovorski. — Urtheil in der Erceßsache. — Deiuhardstein's „Motesens" und die Preßvurgcr Theaterdirection. In wenigen Tagen wird der Reichstag vom Könige in Person geschlossen werden. (Die Ungarn nennen den Landesherrn, so oft sie von ihren Angelegenheiten sprechen, immer mit ein wenig Coquetterie den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/377>, abgerufen am 27.07.2024.