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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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ders in die Augen, weil wir einen Maßstab des wahrhaft Schönen
in dem vielbesprochenen Bilde von Ri edel in Rom: Eine nea¬
politanische Fischerfamilie, Mutter und Tochter nach
dem Meere hinaussehend, besitzen. Hier gilt Alles das, was
sich die jugendlich glühendste Phantasie von dem Süden erträumte,
hier erfaßt uns die unendliche Sehnsucht nach Italien wieder, die je¬
der Mensch in seinen, Leben einmal gefühlt hat. Denken Sie sich
auf einem etwas erhöhten Meeresstrande eine junge Mutter mit
einem Kinde auf dem Schooße sitzend, und zu ihren Füßen ein äl¬
teres Mädchen liegen, so haben Sie alle Bestandtheile des Bildes,
zu denen nur noch der ferne Horizont des Meeres gerechnet werden
könnte. Aber wie hat der Künstler dies Alles empfunden, welchen
Sinn für Formenschönheit spricht er aus, welches Auge für Farbe"
Ich habe selbst einmal gesagt: Unsre Zeit kann keine Madonna mehr
malen, und ich nehme meinen Ausspruch zurück, denn in dieser Art
ist es noch möglich. Die Mutter, welche im Profil nach dem Meere
hinaussieht, welche nicht auf ihre Kinder herniederblicken kann, hat
dennoch neben ihrem wunderbaren Liebreiz etwas so mütterlich Zärt¬
liches, das eben das Auge hinauSsendet, um das Boot des Gatten,
des Vaters ihrer Kinder, zu erspähen. Ein eben so reizender Aus¬
druck ist in dem Gesichte des kleinen Mädchens, das zu ihren Füßen
liegt und im kindischen Spiel die Augen halb geschlossen hat, um
durch die Wimpern über ihren eigenen Körper hinweg in die Sonne
zu sehen. Das ist so kindlich naiv, so reizend gedacht, daß man sich
von diesem rosigen Gesichtchen kaum abzuwenden vermag. Und mit
welcher vollendeten Technik ist dieses Bild gemalt, welche gewaltigen
Fortschritte hat Riedel seit einigen Jahren gemacht. Die ganze
Gruppe, die sich einfach pyramidenförmig zuspitzt, ist vom Meere
eins, vom vollen Licht der Sonne beleuchtet. So fallen die Lichter
breit und voll auf die Falten der Gewänder und die Körperformen,
welche sich unter diesen andeuten. Wer das Bilo sah, wird die
schöne Italienerin gewiß zu den Idealen zählen, die er sehnsüchtig
erfüllt sehen möchte. Jetzt aber kommen jene Bilder italienischen Le¬
bens, die ich mit meiner im Anfang gemachten Erklärung meinte.
Da sind Bilder von Cretins, der früher den Preis der Akademie
in Berlin gewann und das Reisestipendium zu einem dreijährigen
Aufenthalt in Italien verwandte. Was ist aus diesem gekrönten


ders in die Augen, weil wir einen Maßstab des wahrhaft Schönen
in dem vielbesprochenen Bilde von Ri edel in Rom: Eine nea¬
politanische Fischerfamilie, Mutter und Tochter nach
dem Meere hinaussehend, besitzen. Hier gilt Alles das, was
sich die jugendlich glühendste Phantasie von dem Süden erträumte,
hier erfaßt uns die unendliche Sehnsucht nach Italien wieder, die je¬
der Mensch in seinen, Leben einmal gefühlt hat. Denken Sie sich
auf einem etwas erhöhten Meeresstrande eine junge Mutter mit
einem Kinde auf dem Schooße sitzend, und zu ihren Füßen ein äl¬
teres Mädchen liegen, so haben Sie alle Bestandtheile des Bildes,
zu denen nur noch der ferne Horizont des Meeres gerechnet werden
könnte. Aber wie hat der Künstler dies Alles empfunden, welchen
Sinn für Formenschönheit spricht er aus, welches Auge für Farbe«
Ich habe selbst einmal gesagt: Unsre Zeit kann keine Madonna mehr
malen, und ich nehme meinen Ausspruch zurück, denn in dieser Art
ist es noch möglich. Die Mutter, welche im Profil nach dem Meere
hinaussieht, welche nicht auf ihre Kinder herniederblicken kann, hat
dennoch neben ihrem wunderbaren Liebreiz etwas so mütterlich Zärt¬
liches, das eben das Auge hinauSsendet, um das Boot des Gatten,
des Vaters ihrer Kinder, zu erspähen. Ein eben so reizender Aus¬
druck ist in dem Gesichte des kleinen Mädchens, das zu ihren Füßen
liegt und im kindischen Spiel die Augen halb geschlossen hat, um
durch die Wimpern über ihren eigenen Körper hinweg in die Sonne
zu sehen. Das ist so kindlich naiv, so reizend gedacht, daß man sich
von diesem rosigen Gesichtchen kaum abzuwenden vermag. Und mit
welcher vollendeten Technik ist dieses Bild gemalt, welche gewaltigen
Fortschritte hat Riedel seit einigen Jahren gemacht. Die ganze
Gruppe, die sich einfach pyramidenförmig zuspitzt, ist vom Meere
eins, vom vollen Licht der Sonne beleuchtet. So fallen die Lichter
breit und voll auf die Falten der Gewänder und die Körperformen,
welche sich unter diesen andeuten. Wer das Bilo sah, wird die
schöne Italienerin gewiß zu den Idealen zählen, die er sehnsüchtig
erfüllt sehen möchte. Jetzt aber kommen jene Bilder italienischen Le¬
bens, die ich mit meiner im Anfang gemachten Erklärung meinte.
Da sind Bilder von Cretins, der früher den Preis der Akademie
in Berlin gewann und das Reisestipendium zu einem dreijährigen
Aufenthalt in Italien verwandte. Was ist aus diesem gekrönten


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[0366] ders in die Augen, weil wir einen Maßstab des wahrhaft Schönen in dem vielbesprochenen Bilde von Ri edel in Rom: Eine nea¬ politanische Fischerfamilie, Mutter und Tochter nach dem Meere hinaussehend, besitzen. Hier gilt Alles das, was sich die jugendlich glühendste Phantasie von dem Süden erträumte, hier erfaßt uns die unendliche Sehnsucht nach Italien wieder, die je¬ der Mensch in seinen, Leben einmal gefühlt hat. Denken Sie sich auf einem etwas erhöhten Meeresstrande eine junge Mutter mit einem Kinde auf dem Schooße sitzend, und zu ihren Füßen ein äl¬ teres Mädchen liegen, so haben Sie alle Bestandtheile des Bildes, zu denen nur noch der ferne Horizont des Meeres gerechnet werden könnte. Aber wie hat der Künstler dies Alles empfunden, welchen Sinn für Formenschönheit spricht er aus, welches Auge für Farbe« Ich habe selbst einmal gesagt: Unsre Zeit kann keine Madonna mehr malen, und ich nehme meinen Ausspruch zurück, denn in dieser Art ist es noch möglich. Die Mutter, welche im Profil nach dem Meere hinaussieht, welche nicht auf ihre Kinder herniederblicken kann, hat dennoch neben ihrem wunderbaren Liebreiz etwas so mütterlich Zärt¬ liches, das eben das Auge hinauSsendet, um das Boot des Gatten, des Vaters ihrer Kinder, zu erspähen. Ein eben so reizender Aus¬ druck ist in dem Gesichte des kleinen Mädchens, das zu ihren Füßen liegt und im kindischen Spiel die Augen halb geschlossen hat, um durch die Wimpern über ihren eigenen Körper hinweg in die Sonne zu sehen. Das ist so kindlich naiv, so reizend gedacht, daß man sich von diesem rosigen Gesichtchen kaum abzuwenden vermag. Und mit welcher vollendeten Technik ist dieses Bild gemalt, welche gewaltigen Fortschritte hat Riedel seit einigen Jahren gemacht. Die ganze Gruppe, die sich einfach pyramidenförmig zuspitzt, ist vom Meere eins, vom vollen Licht der Sonne beleuchtet. So fallen die Lichter breit und voll auf die Falten der Gewänder und die Körperformen, welche sich unter diesen andeuten. Wer das Bilo sah, wird die schöne Italienerin gewiß zu den Idealen zählen, die er sehnsüchtig erfüllt sehen möchte. Jetzt aber kommen jene Bilder italienischen Le¬ bens, die ich mit meiner im Anfang gemachten Erklärung meinte. Da sind Bilder von Cretins, der früher den Preis der Akademie in Berlin gewann und das Reisestipendium zu einem dreijährigen Aufenthalt in Italien verwandte. Was ist aus diesem gekrönten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/366>, abgerufen am 28.07.2024.