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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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den sein. Was thut jedoch jetzt Hannover? Es schließt mit Eng¬
land einen Vertrag ab, durch welchen es sich bis zum Jahr 185.4
bindet, so daß England bis dahin freie Hand behalt, um die deutsche
Schifffahrt in ihrem bisherigen zersplitterten und demüthigen Zustand
zu erhalten. O, deutsche Einheit und deutsche Macht! Wie es heißt,
ist jener hannovcr'sche Bertrag der Grund davon, daß der preußische
Gesandte in Hannover seinen Posten momentan verlassen hat und
daß die Spannung zwischen den beiden norddeutschen Cabinetcn jetzt
noch viel größer ist, als früher die Freundschaft der beiden souveraine.

Um nun von allgemein deutschen zu speciell Berliner Zustanden
überzugehen, berühre ich zunächst den bereits in einem andern Leipzi¬
ger Journal so viel besprochenen Streit um das Auftreten unserer
liebenswürdigen Sängerin Dlle. Tuczeck, bei der bevorstehenden Eröff¬
nung des neuen Opernhauses. Allerdings hatte Hr. Meverbcer, wenn
auch nicht unter Mitwirkung des Hrn. Küstncr, doch mit Genehmi¬
gung des Königs, die ausgezeichnete schwedische Sängerin Dlle. Lind
engagirt, um wenigstens im Fache der heroischen Oper etwas für eine
vollständigere Besetzung der Rollen zu thun, als unser Theater sonst
darbietet. Gleichwohl sollte die neuengagirte Sängerin bei der Eröff¬
nung des Opernhauses nur alternirend mit Dlle. Tuczeck austreten,
weil gerade in der von Hrn. Meyerbeer dazu geschriebenen neuen
Oper die Hauptrolle sehr geeignet für die übrigens mit Recht beliebte
Dlle. Tuczeck ist. Aber auch diese Concurrenz wollte sich Letztere nicht
gefallen lassen, die sich deshalb an den König wandte, der in einem
Schreiben an den Hausminister, Fürsten v. Wittgenstein, ihre For¬
derung für unstatthaft erklärte und die Entscheidung ausschließlich dem
Generalmusikdirector Meyerbeer überließ. Wie nun von Letzteren zu
erwarten war, hat er gerade, nachdem ihm völlig freie Hand gelassen
war, für Dlle. Tuczeck entschieden, so daß diese und nicht Dlle. Lind
zum erstenmale im neuen Opernhause singen wird. Wo hierin die
Gewalt und die Despotie liegen soll, die das gedachte Leipziger Jour¬
nal in dem Verfahren deS Herrn M. findet, sind wir allerdings
außer Stande, wahrzunehmen.

Herr Spontini hat sich entschlossen, nicht nach Italien zurück¬
zukehren, sondern im bevorstehenden Winter hier zu bleiben und seine
Opern selbst zu dirigiren. Auch heißt es, daß er, um bei der Eröff¬
nung des Opernhauses durchaus das erste Wort zu haben, den Pro¬
log in Musik setzen solle. Nun, vielleicht hat der Genius, der ihn
so lange verlassen, ihn von Neuem wieder aufgesucht! Wir glauben zwar
nicht daran, aber wir wünschen es. Herr Mendelssohn-Bartholdy,
unser dritter Generalmusikdirector, will seine bisherige Stellung zur
geistlichen Musik der Hof- und Domkirche gänzlich aufgeben, nachdem
ohne sein Zuthun Herr Otto Nicolai, der früher in Wien unter Do-
nizetti dirigirte, mit diesem jedoch zerfiel und zuletzt in Königsberg bei


den sein. Was thut jedoch jetzt Hannover? Es schließt mit Eng¬
land einen Vertrag ab, durch welchen es sich bis zum Jahr 185.4
bindet, so daß England bis dahin freie Hand behalt, um die deutsche
Schifffahrt in ihrem bisherigen zersplitterten und demüthigen Zustand
zu erhalten. O, deutsche Einheit und deutsche Macht! Wie es heißt,
ist jener hannovcr'sche Bertrag der Grund davon, daß der preußische
Gesandte in Hannover seinen Posten momentan verlassen hat und
daß die Spannung zwischen den beiden norddeutschen Cabinetcn jetzt
noch viel größer ist, als früher die Freundschaft der beiden souveraine.

Um nun von allgemein deutschen zu speciell Berliner Zustanden
überzugehen, berühre ich zunächst den bereits in einem andern Leipzi¬
ger Journal so viel besprochenen Streit um das Auftreten unserer
liebenswürdigen Sängerin Dlle. Tuczeck, bei der bevorstehenden Eröff¬
nung des neuen Opernhauses. Allerdings hatte Hr. Meverbcer, wenn
auch nicht unter Mitwirkung des Hrn. Küstncr, doch mit Genehmi¬
gung des Königs, die ausgezeichnete schwedische Sängerin Dlle. Lind
engagirt, um wenigstens im Fache der heroischen Oper etwas für eine
vollständigere Besetzung der Rollen zu thun, als unser Theater sonst
darbietet. Gleichwohl sollte die neuengagirte Sängerin bei der Eröff¬
nung des Opernhauses nur alternirend mit Dlle. Tuczeck austreten,
weil gerade in der von Hrn. Meyerbeer dazu geschriebenen neuen
Oper die Hauptrolle sehr geeignet für die übrigens mit Recht beliebte
Dlle. Tuczeck ist. Aber auch diese Concurrenz wollte sich Letztere nicht
gefallen lassen, die sich deshalb an den König wandte, der in einem
Schreiben an den Hausminister, Fürsten v. Wittgenstein, ihre For¬
derung für unstatthaft erklärte und die Entscheidung ausschließlich dem
Generalmusikdirector Meyerbeer überließ. Wie nun von Letzteren zu
erwarten war, hat er gerade, nachdem ihm völlig freie Hand gelassen
war, für Dlle. Tuczeck entschieden, so daß diese und nicht Dlle. Lind
zum erstenmale im neuen Opernhause singen wird. Wo hierin die
Gewalt und die Despotie liegen soll, die das gedachte Leipziger Jour¬
nal in dem Verfahren deS Herrn M. findet, sind wir allerdings
außer Stande, wahrzunehmen.

Herr Spontini hat sich entschlossen, nicht nach Italien zurück¬
zukehren, sondern im bevorstehenden Winter hier zu bleiben und seine
Opern selbst zu dirigiren. Auch heißt es, daß er, um bei der Eröff¬
nung des Opernhauses durchaus das erste Wort zu haben, den Pro¬
log in Musik setzen solle. Nun, vielleicht hat der Genius, der ihn
so lange verlassen, ihn von Neuem wieder aufgesucht! Wir glauben zwar
nicht daran, aber wir wünschen es. Herr Mendelssohn-Bartholdy,
unser dritter Generalmusikdirector, will seine bisherige Stellung zur
geistlichen Musik der Hof- und Domkirche gänzlich aufgeben, nachdem
ohne sein Zuthun Herr Otto Nicolai, der früher in Wien unter Do-
nizetti dirigirte, mit diesem jedoch zerfiel und zuletzt in Königsberg bei


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[0337] den sein. Was thut jedoch jetzt Hannover? Es schließt mit Eng¬ land einen Vertrag ab, durch welchen es sich bis zum Jahr 185.4 bindet, so daß England bis dahin freie Hand behalt, um die deutsche Schifffahrt in ihrem bisherigen zersplitterten und demüthigen Zustand zu erhalten. O, deutsche Einheit und deutsche Macht! Wie es heißt, ist jener hannovcr'sche Bertrag der Grund davon, daß der preußische Gesandte in Hannover seinen Posten momentan verlassen hat und daß die Spannung zwischen den beiden norddeutschen Cabinetcn jetzt noch viel größer ist, als früher die Freundschaft der beiden souveraine. Um nun von allgemein deutschen zu speciell Berliner Zustanden überzugehen, berühre ich zunächst den bereits in einem andern Leipzi¬ ger Journal so viel besprochenen Streit um das Auftreten unserer liebenswürdigen Sängerin Dlle. Tuczeck, bei der bevorstehenden Eröff¬ nung des neuen Opernhauses. Allerdings hatte Hr. Meverbcer, wenn auch nicht unter Mitwirkung des Hrn. Küstncr, doch mit Genehmi¬ gung des Königs, die ausgezeichnete schwedische Sängerin Dlle. Lind engagirt, um wenigstens im Fache der heroischen Oper etwas für eine vollständigere Besetzung der Rollen zu thun, als unser Theater sonst darbietet. Gleichwohl sollte die neuengagirte Sängerin bei der Eröff¬ nung des Opernhauses nur alternirend mit Dlle. Tuczeck austreten, weil gerade in der von Hrn. Meyerbeer dazu geschriebenen neuen Oper die Hauptrolle sehr geeignet für die übrigens mit Recht beliebte Dlle. Tuczeck ist. Aber auch diese Concurrenz wollte sich Letztere nicht gefallen lassen, die sich deshalb an den König wandte, der in einem Schreiben an den Hausminister, Fürsten v. Wittgenstein, ihre For¬ derung für unstatthaft erklärte und die Entscheidung ausschließlich dem Generalmusikdirector Meyerbeer überließ. Wie nun von Letzteren zu erwarten war, hat er gerade, nachdem ihm völlig freie Hand gelassen war, für Dlle. Tuczeck entschieden, so daß diese und nicht Dlle. Lind zum erstenmale im neuen Opernhause singen wird. Wo hierin die Gewalt und die Despotie liegen soll, die das gedachte Leipziger Jour¬ nal in dem Verfahren deS Herrn M. findet, sind wir allerdings außer Stande, wahrzunehmen. Herr Spontini hat sich entschlossen, nicht nach Italien zurück¬ zukehren, sondern im bevorstehenden Winter hier zu bleiben und seine Opern selbst zu dirigiren. Auch heißt es, daß er, um bei der Eröff¬ nung des Opernhauses durchaus das erste Wort zu haben, den Pro¬ log in Musik setzen solle. Nun, vielleicht hat der Genius, der ihn so lange verlassen, ihn von Neuem wieder aufgesucht! Wir glauben zwar nicht daran, aber wir wünschen es. Herr Mendelssohn-Bartholdy, unser dritter Generalmusikdirector, will seine bisherige Stellung zur geistlichen Musik der Hof- und Domkirche gänzlich aufgeben, nachdem ohne sein Zuthun Herr Otto Nicolai, der früher in Wien unter Do- nizetti dirigirte, mit diesem jedoch zerfiel und zuletzt in Königsberg bei

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/337>, abgerufen am 01.09.2024.