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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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Der lange Martin bemusterte sich des Wortes und fing gleich
mit der Erzählung der bekannten Lügen vom Baron Münchhausen
an, welche einige Herren wirklich amüsirte und zu welcher Einige
aus Gefälligkeit mitlachte". Zur Ehre der ganzen Gesellschaft muß
man nachrühmen, daß Jeder diese Lügen für nichts Ande¬
res als Lügen nahm; nur dem geistlichen Herrn entschlüpfte
zum Ergötzen Aller die naive Bemerkung, daß diese Erzählungen
nur erdichtet zu sein schienen. Natürlich erscholl bei dieser Aeußerung
ein unsinniges Gelächter und es entspann sich folgendes Gespräch.

Garnisons-Lieutenant. Wie können Sie denn, geistlicher
Herr, an den kleinen Lügen des Münchhausen zweifeln, nachdem
Sie viel größere nicht nur glauben, sondern Andern zum Glauben
aufdringen müssen.

Geistlicher Herr. Glauben denn Sie Etwas?

Garnisons-Lieutenant. Wenn Sie mich fragen, ob ich
Etwas für wahr halte, so werde ich Ihnen antworten: Ja; aber
mein Glauben fängt dort an, wo mein Wissen aufhört.

Pensionirter Major. Ich kann Nichts weniger leiden,
als solche Discourse. Jeder soll glauben, was er will.

Mein Herr. Und ich höre wieder solche Controversitäten für
mein Leben gern, also ich bitte nur fortzufahren.

Infanterie-Lieutenant. Die heilige Schrift spricht: Du
sollst dem Ochsen nicht das Maul verbinden, wenn er drischt!

Geistlicher Herr. Ich spreche nur mit Jenen, die Religion
haben, mit Denen, die keine haben, spreche ich nicht.

Infanterie-Lieutenant. Dann dürfen Sie nie mit
großen Herren sprechen; denn wie Luther spricht: Die Fürsten haben
eben dadurch Religion, weil sie keine haben und wenn sie jeder
Kirche in ihrem Staate gleiches Recht geben und sprechen, so liegt
in ihnen das Concordat.

Garnisons-Lieutenant. Nachdem in dem Munde des
geistlichen Herrn das Wort Religion und Glauben gleichviel ist, so
muß man füglich früher ein wenig das Wort Religion definiren.

Geistlicher Herr. Der Nichts glaubt, hat keine Religion!

Garnisons-Lieutenant. Derjenige, der Nichts glaubt, hat
auch Religion und zwar diese, daß er Nichts glaubt. Denn wenn
der Jude nur die Hälfte, nämlich das alte Testament, glaubt, so


Der lange Martin bemusterte sich des Wortes und fing gleich
mit der Erzählung der bekannten Lügen vom Baron Münchhausen
an, welche einige Herren wirklich amüsirte und zu welcher Einige
aus Gefälligkeit mitlachte». Zur Ehre der ganzen Gesellschaft muß
man nachrühmen, daß Jeder diese Lügen für nichts Ande¬
res als Lügen nahm; nur dem geistlichen Herrn entschlüpfte
zum Ergötzen Aller die naive Bemerkung, daß diese Erzählungen
nur erdichtet zu sein schienen. Natürlich erscholl bei dieser Aeußerung
ein unsinniges Gelächter und es entspann sich folgendes Gespräch.

Garnisons-Lieutenant. Wie können Sie denn, geistlicher
Herr, an den kleinen Lügen des Münchhausen zweifeln, nachdem
Sie viel größere nicht nur glauben, sondern Andern zum Glauben
aufdringen müssen.

Geistlicher Herr. Glauben denn Sie Etwas?

Garnisons-Lieutenant. Wenn Sie mich fragen, ob ich
Etwas für wahr halte, so werde ich Ihnen antworten: Ja; aber
mein Glauben fängt dort an, wo mein Wissen aufhört.

Pensionirter Major. Ich kann Nichts weniger leiden,
als solche Discourse. Jeder soll glauben, was er will.

Mein Herr. Und ich höre wieder solche Controversitäten für
mein Leben gern, also ich bitte nur fortzufahren.

Infanterie-Lieutenant. Die heilige Schrift spricht: Du
sollst dem Ochsen nicht das Maul verbinden, wenn er drischt!

Geistlicher Herr. Ich spreche nur mit Jenen, die Religion
haben, mit Denen, die keine haben, spreche ich nicht.

Infanterie-Lieutenant. Dann dürfen Sie nie mit
großen Herren sprechen; denn wie Luther spricht: Die Fürsten haben
eben dadurch Religion, weil sie keine haben und wenn sie jeder
Kirche in ihrem Staate gleiches Recht geben und sprechen, so liegt
in ihnen das Concordat.

Garnisons-Lieutenant. Nachdem in dem Munde des
geistlichen Herrn das Wort Religion und Glauben gleichviel ist, so
muß man füglich früher ein wenig das Wort Religion definiren.

Geistlicher Herr. Der Nichts glaubt, hat keine Religion!

Garnisons-Lieutenant. Derjenige, der Nichts glaubt, hat
auch Religion und zwar diese, daß er Nichts glaubt. Denn wenn
der Jude nur die Hälfte, nämlich das alte Testament, glaubt, so


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[0320] Der lange Martin bemusterte sich des Wortes und fing gleich mit der Erzählung der bekannten Lügen vom Baron Münchhausen an, welche einige Herren wirklich amüsirte und zu welcher Einige aus Gefälligkeit mitlachte». Zur Ehre der ganzen Gesellschaft muß man nachrühmen, daß Jeder diese Lügen für nichts Ande¬ res als Lügen nahm; nur dem geistlichen Herrn entschlüpfte zum Ergötzen Aller die naive Bemerkung, daß diese Erzählungen nur erdichtet zu sein schienen. Natürlich erscholl bei dieser Aeußerung ein unsinniges Gelächter und es entspann sich folgendes Gespräch. Garnisons-Lieutenant. Wie können Sie denn, geistlicher Herr, an den kleinen Lügen des Münchhausen zweifeln, nachdem Sie viel größere nicht nur glauben, sondern Andern zum Glauben aufdringen müssen. Geistlicher Herr. Glauben denn Sie Etwas? Garnisons-Lieutenant. Wenn Sie mich fragen, ob ich Etwas für wahr halte, so werde ich Ihnen antworten: Ja; aber mein Glauben fängt dort an, wo mein Wissen aufhört. Pensionirter Major. Ich kann Nichts weniger leiden, als solche Discourse. Jeder soll glauben, was er will. Mein Herr. Und ich höre wieder solche Controversitäten für mein Leben gern, also ich bitte nur fortzufahren. Infanterie-Lieutenant. Die heilige Schrift spricht: Du sollst dem Ochsen nicht das Maul verbinden, wenn er drischt! Geistlicher Herr. Ich spreche nur mit Jenen, die Religion haben, mit Denen, die keine haben, spreche ich nicht. Infanterie-Lieutenant. Dann dürfen Sie nie mit großen Herren sprechen; denn wie Luther spricht: Die Fürsten haben eben dadurch Religion, weil sie keine haben und wenn sie jeder Kirche in ihrem Staate gleiches Recht geben und sprechen, so liegt in ihnen das Concordat. Garnisons-Lieutenant. Nachdem in dem Munde des geistlichen Herrn das Wort Religion und Glauben gleichviel ist, so muß man füglich früher ein wenig das Wort Religion definiren. Geistlicher Herr. Der Nichts glaubt, hat keine Religion! Garnisons-Lieutenant. Derjenige, der Nichts glaubt, hat auch Religion und zwar diese, daß er Nichts glaubt. Denn wenn der Jude nur die Hälfte, nämlich das alte Testament, glaubt, so

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/320>, abgerufen am 01.09.2024.