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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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Das Gesetz verbietet also, daß Jemand seinen Hunger erklärt,
wenn es denselben auch nicht an sich strafwürdig findet. In Berlin
sind so eben der Blüthe des deutschen Gewerbfleißes, der Ausstellung
zu Ehren, königliche Feste gefeiert worden; auch hat der König wieder
funfzigtausend Thaler zu dem Kölner Dombau beigetragen. Gott
gebe, daß bis zum Winter sich ein neuer Früchtlein in den schlesischen
Webcrverhältnissen entwickelt; vom Blüthepunkte wollen wir garnicht
reden! Im Gebirge ist soeben eine allerhöchste Berichtigung im
Werke. Was diese betrifft, werden Sie vielleicht nicht so leicht er¬
rathen. Denn die ehrfurchtsvollen Begriffe von Höchst und Allerhöchst
sind unserm loyalen deutschen Verstände so sehr über den Kopf ge¬
wachsen, daß wir an gar keine naheliegende und natürliche Bedeutung
mehr zu denken wagen. Jene Berichtigung aber ist nichts Anderes
als eine Grenzberichtigung auf der Schneekoppe, die allerdings
mit ihren fünftausend Fuß über der Ostsee, den allerhöchsten Punkt
Schlesiens und des ganzen Deutschlands diesseits der Alpen abgibt.
Auf dem Riefengipsel steht eine Kapelle zum heiligen Locenz, welche
in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts erbaut ward und seit
1810 den Koppenfahrern als willkommenes Hospiz dient, an ihrem
Platze soll sonst ein Grenzstein, zwischen Schlesien und Böhmen, ge¬
standen haben; auch lies't man in den Reisehandbüchern, die Grenze
zwischen beiden Ländern laufe mitten über die Koppe und sogar mit¬
ten durch die Kapelle. Die Zeit, die an so manchen menschlichen
und selbst allerhöchsten Einrichtungen rüttelt, hat auch die allerhöchste
Grenzbestimmung auf dem schlcsisch-böhmischen Rigi ein wenig verrückt,
oder vielmehr in historische Nebel gehüllt, wo die natürlichen -- so
natürlich sind. Da sind nun zwischen den angrenzenden Herrschaften
auf der hohen Grenzmauer des Riesengebirges um ein Fuß des wü¬
sten Granitbodens, der nur noch Alpenpflanzen trägt, Streitigkeiten
entstanden, und dreißig sachverständige Personen sollen mit deren Aus¬
gleichung jetzt an Ort und Stelle beschäftigt sein. -- Unsere Eiscn-
bahnangelegcnheiten schreiten rüstig vor. Am 12. October ist der
Bahnhof zu Krakau eingeweiht worden, und die Bahn, welche sich
an die oberschlesische bei Neu-Berun an der Weichsel anschließen wird,
gewährt binnen zwei Jahren die Aussicht, von Breslau aus auf
Dampfesflügeln einmal den Freistaat Krakau, die merkwürdigste aller
Republiken, besuchen zu können. Nur wenige Reisende aus Princip
gingen bisher nach Krakau, und das Bedeutsamste über die dasigen
Zustände hat jedenfalls Theodor Mundt geliefert, der in veralten pol¬
nischen Königsstadt 1839 im Herbste mehrere Wochen verweilte. Ne¬
ben der dortigen, jetzt so abgeschlossenen Menschheit wird mit der fer¬
tigen Eisenbahn auch Wieliczka's unterirdische glänzende Feenwelt aus
Salzstein und der Umkreis der jetzt noch ziemlich unbekannten wild-


Das Gesetz verbietet also, daß Jemand seinen Hunger erklärt,
wenn es denselben auch nicht an sich strafwürdig findet. In Berlin
sind so eben der Blüthe des deutschen Gewerbfleißes, der Ausstellung
zu Ehren, königliche Feste gefeiert worden; auch hat der König wieder
funfzigtausend Thaler zu dem Kölner Dombau beigetragen. Gott
gebe, daß bis zum Winter sich ein neuer Früchtlein in den schlesischen
Webcrverhältnissen entwickelt; vom Blüthepunkte wollen wir garnicht
reden! Im Gebirge ist soeben eine allerhöchste Berichtigung im
Werke. Was diese betrifft, werden Sie vielleicht nicht so leicht er¬
rathen. Denn die ehrfurchtsvollen Begriffe von Höchst und Allerhöchst
sind unserm loyalen deutschen Verstände so sehr über den Kopf ge¬
wachsen, daß wir an gar keine naheliegende und natürliche Bedeutung
mehr zu denken wagen. Jene Berichtigung aber ist nichts Anderes
als eine Grenzberichtigung auf der Schneekoppe, die allerdings
mit ihren fünftausend Fuß über der Ostsee, den allerhöchsten Punkt
Schlesiens und des ganzen Deutschlands diesseits der Alpen abgibt.
Auf dem Riefengipsel steht eine Kapelle zum heiligen Locenz, welche
in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts erbaut ward und seit
1810 den Koppenfahrern als willkommenes Hospiz dient, an ihrem
Platze soll sonst ein Grenzstein, zwischen Schlesien und Böhmen, ge¬
standen haben; auch lies't man in den Reisehandbüchern, die Grenze
zwischen beiden Ländern laufe mitten über die Koppe und sogar mit¬
ten durch die Kapelle. Die Zeit, die an so manchen menschlichen
und selbst allerhöchsten Einrichtungen rüttelt, hat auch die allerhöchste
Grenzbestimmung auf dem schlcsisch-böhmischen Rigi ein wenig verrückt,
oder vielmehr in historische Nebel gehüllt, wo die natürlichen — so
natürlich sind. Da sind nun zwischen den angrenzenden Herrschaften
auf der hohen Grenzmauer des Riesengebirges um ein Fuß des wü¬
sten Granitbodens, der nur noch Alpenpflanzen trägt, Streitigkeiten
entstanden, und dreißig sachverständige Personen sollen mit deren Aus¬
gleichung jetzt an Ort und Stelle beschäftigt sein. — Unsere Eiscn-
bahnangelegcnheiten schreiten rüstig vor. Am 12. October ist der
Bahnhof zu Krakau eingeweiht worden, und die Bahn, welche sich
an die oberschlesische bei Neu-Berun an der Weichsel anschließen wird,
gewährt binnen zwei Jahren die Aussicht, von Breslau aus auf
Dampfesflügeln einmal den Freistaat Krakau, die merkwürdigste aller
Republiken, besuchen zu können. Nur wenige Reisende aus Princip
gingen bisher nach Krakau, und das Bedeutsamste über die dasigen
Zustände hat jedenfalls Theodor Mundt geliefert, der in veralten pol¬
nischen Königsstadt 1839 im Herbste mehrere Wochen verweilte. Ne¬
ben der dortigen, jetzt so abgeschlossenen Menschheit wird mit der fer¬
tigen Eisenbahn auch Wieliczka's unterirdische glänzende Feenwelt aus
Salzstein und der Umkreis der jetzt noch ziemlich unbekannten wild-


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[0286] Das Gesetz verbietet also, daß Jemand seinen Hunger erklärt, wenn es denselben auch nicht an sich strafwürdig findet. In Berlin sind so eben der Blüthe des deutschen Gewerbfleißes, der Ausstellung zu Ehren, königliche Feste gefeiert worden; auch hat der König wieder funfzigtausend Thaler zu dem Kölner Dombau beigetragen. Gott gebe, daß bis zum Winter sich ein neuer Früchtlein in den schlesischen Webcrverhältnissen entwickelt; vom Blüthepunkte wollen wir garnicht reden! Im Gebirge ist soeben eine allerhöchste Berichtigung im Werke. Was diese betrifft, werden Sie vielleicht nicht so leicht er¬ rathen. Denn die ehrfurchtsvollen Begriffe von Höchst und Allerhöchst sind unserm loyalen deutschen Verstände so sehr über den Kopf ge¬ wachsen, daß wir an gar keine naheliegende und natürliche Bedeutung mehr zu denken wagen. Jene Berichtigung aber ist nichts Anderes als eine Grenzberichtigung auf der Schneekoppe, die allerdings mit ihren fünftausend Fuß über der Ostsee, den allerhöchsten Punkt Schlesiens und des ganzen Deutschlands diesseits der Alpen abgibt. Auf dem Riefengipsel steht eine Kapelle zum heiligen Locenz, welche in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts erbaut ward und seit 1810 den Koppenfahrern als willkommenes Hospiz dient, an ihrem Platze soll sonst ein Grenzstein, zwischen Schlesien und Böhmen, ge¬ standen haben; auch lies't man in den Reisehandbüchern, die Grenze zwischen beiden Ländern laufe mitten über die Koppe und sogar mit¬ ten durch die Kapelle. Die Zeit, die an so manchen menschlichen und selbst allerhöchsten Einrichtungen rüttelt, hat auch die allerhöchste Grenzbestimmung auf dem schlcsisch-böhmischen Rigi ein wenig verrückt, oder vielmehr in historische Nebel gehüllt, wo die natürlichen — so natürlich sind. Da sind nun zwischen den angrenzenden Herrschaften auf der hohen Grenzmauer des Riesengebirges um ein Fuß des wü¬ sten Granitbodens, der nur noch Alpenpflanzen trägt, Streitigkeiten entstanden, und dreißig sachverständige Personen sollen mit deren Aus¬ gleichung jetzt an Ort und Stelle beschäftigt sein. — Unsere Eiscn- bahnangelegcnheiten schreiten rüstig vor. Am 12. October ist der Bahnhof zu Krakau eingeweiht worden, und die Bahn, welche sich an die oberschlesische bei Neu-Berun an der Weichsel anschließen wird, gewährt binnen zwei Jahren die Aussicht, von Breslau aus auf Dampfesflügeln einmal den Freistaat Krakau, die merkwürdigste aller Republiken, besuchen zu können. Nur wenige Reisende aus Princip gingen bisher nach Krakau, und das Bedeutsamste über die dasigen Zustände hat jedenfalls Theodor Mundt geliefert, der in veralten pol¬ nischen Königsstadt 1839 im Herbste mehrere Wochen verweilte. Ne¬ ben der dortigen, jetzt so abgeschlossenen Menschheit wird mit der fer¬ tigen Eisenbahn auch Wieliczka's unterirdische glänzende Feenwelt aus Salzstein und der Umkreis der jetzt noch ziemlich unbekannten wild-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/286>, abgerufen am 01.09.2024.