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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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doch darin seine großstädtische Natur, daß er dem Tadel, zumal dem
geistreich witzigen, auf der Straße nicht ausweicht, vielmehr vor ihm
respectvoll den Hut lüftet. Möglich auch, daß in kleingroßen Städten
jeder einzelne Narr sich leicht mitgetroffen fühlt, während es in wirk¬
lich großen Städten ganze Narrengruppen gibt, deren jede der andern
ihr redliches Theil an der satyrischen Geißelung von Herzen gönnt.
Für diese Selbstpeinigung und satyrtschen Flagellantiömus kann man
dem Berliner gelegentlich wohl gönnen, daß er seine Vorzüge zuwei¬
len in brillanterer Beleuchtung, als sie verdienen, am Schaufenster
der Journalistik ausstellt. Und ich möchte keinem Leipziger oder
Karlsruher Schriftsteller rathen, so über Leipzig oder Karlsruhe zu
raisonniren, wie mancher Autor über Berlin gethan hat, der demun-
geachtet oder gerade deshalb den Berlinern eine liebe und werthe
Person geblieben ist.

Bet den Münchnern kommt freilich ein ganz entgegengesetztes
Element, das der Bescheidenheit und des windstillen Gemüthslebens
hinzu. Der Münchner mag es wohl gerne sehen, wenn seine immer
noch an Große und Schönheit zunehmende Stadt gefeiert wird, als
Individuum sieht er sich aber, selbst auf die Gefahr hin, daß sein
Name im Auslande ganz unbekannt und seine Verdienste unter ih¬
rem Werthe angeschlagen bleiben, dem öffentlichen Urtheile nur un¬
gern preisgegeben. Es fehlt hier durchaus die sonst so gewöhnliche
Renommvehatz und das Jagen, Buhlen und Feilschen um ein Körn¬
lein öffentlichen Lobes. Möglich, daß schon die nächstkünftige Gene¬
ration anderen und bewegteren Blutes ist, je mehr München, wie es
gar nicht anders sein kann, in die allgemeine Zeitströmung hinein¬
gerissen wird. Von der Bescheidenheit und Selbstverläugnung der
älteren Generation dagegen könnte ich manches anziehende Beispiel
anführen; hier nur eins für mehrere. Der pmstonirte königliche Ge¬
nerallieutenant und ehemalige Kriegsminister, Freiherr von He rt¬
lin g, welcher am vergangenen 13. September starb, ein Mann von
dem anerkannt uneigennützigsten Charakter und entschiedener militärischer
Tüchtigkeit, der nach des Fürsten Schwarzenberg eigenem Geständniß
unter Anderm das lange zweifelhafte Treffen bei Bar sur Aube durch
eine trefflich ausgeführte Bewegung zu Gunsten der Verbündeten ent¬
schied und dadurch dem Feldzuge selbst eine neue Wendung gab,
war vor Jahren ebenfalls ausersehen, in einem bekannten, meist dio-


doch darin seine großstädtische Natur, daß er dem Tadel, zumal dem
geistreich witzigen, auf der Straße nicht ausweicht, vielmehr vor ihm
respectvoll den Hut lüftet. Möglich auch, daß in kleingroßen Städten
jeder einzelne Narr sich leicht mitgetroffen fühlt, während es in wirk¬
lich großen Städten ganze Narrengruppen gibt, deren jede der andern
ihr redliches Theil an der satyrischen Geißelung von Herzen gönnt.
Für diese Selbstpeinigung und satyrtschen Flagellantiömus kann man
dem Berliner gelegentlich wohl gönnen, daß er seine Vorzüge zuwei¬
len in brillanterer Beleuchtung, als sie verdienen, am Schaufenster
der Journalistik ausstellt. Und ich möchte keinem Leipziger oder
Karlsruher Schriftsteller rathen, so über Leipzig oder Karlsruhe zu
raisonniren, wie mancher Autor über Berlin gethan hat, der demun-
geachtet oder gerade deshalb den Berlinern eine liebe und werthe
Person geblieben ist.

Bet den Münchnern kommt freilich ein ganz entgegengesetztes
Element, das der Bescheidenheit und des windstillen Gemüthslebens
hinzu. Der Münchner mag es wohl gerne sehen, wenn seine immer
noch an Große und Schönheit zunehmende Stadt gefeiert wird, als
Individuum sieht er sich aber, selbst auf die Gefahr hin, daß sein
Name im Auslande ganz unbekannt und seine Verdienste unter ih¬
rem Werthe angeschlagen bleiben, dem öffentlichen Urtheile nur un¬
gern preisgegeben. Es fehlt hier durchaus die sonst so gewöhnliche
Renommvehatz und das Jagen, Buhlen und Feilschen um ein Körn¬
lein öffentlichen Lobes. Möglich, daß schon die nächstkünftige Gene¬
ration anderen und bewegteren Blutes ist, je mehr München, wie es
gar nicht anders sein kann, in die allgemeine Zeitströmung hinein¬
gerissen wird. Von der Bescheidenheit und Selbstverläugnung der
älteren Generation dagegen könnte ich manches anziehende Beispiel
anführen; hier nur eins für mehrere. Der pmstonirte königliche Ge¬
nerallieutenant und ehemalige Kriegsminister, Freiherr von He rt¬
lin g, welcher am vergangenen 13. September starb, ein Mann von
dem anerkannt uneigennützigsten Charakter und entschiedener militärischer
Tüchtigkeit, der nach des Fürsten Schwarzenberg eigenem Geständniß
unter Anderm das lange zweifelhafte Treffen bei Bar sur Aube durch
eine trefflich ausgeführte Bewegung zu Gunsten der Verbündeten ent¬
schied und dadurch dem Feldzuge selbst eine neue Wendung gab,
war vor Jahren ebenfalls ausersehen, in einem bekannten, meist dio-


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[0270] doch darin seine großstädtische Natur, daß er dem Tadel, zumal dem geistreich witzigen, auf der Straße nicht ausweicht, vielmehr vor ihm respectvoll den Hut lüftet. Möglich auch, daß in kleingroßen Städten jeder einzelne Narr sich leicht mitgetroffen fühlt, während es in wirk¬ lich großen Städten ganze Narrengruppen gibt, deren jede der andern ihr redliches Theil an der satyrischen Geißelung von Herzen gönnt. Für diese Selbstpeinigung und satyrtschen Flagellantiömus kann man dem Berliner gelegentlich wohl gönnen, daß er seine Vorzüge zuwei¬ len in brillanterer Beleuchtung, als sie verdienen, am Schaufenster der Journalistik ausstellt. Und ich möchte keinem Leipziger oder Karlsruher Schriftsteller rathen, so über Leipzig oder Karlsruhe zu raisonniren, wie mancher Autor über Berlin gethan hat, der demun- geachtet oder gerade deshalb den Berlinern eine liebe und werthe Person geblieben ist. Bet den Münchnern kommt freilich ein ganz entgegengesetztes Element, das der Bescheidenheit und des windstillen Gemüthslebens hinzu. Der Münchner mag es wohl gerne sehen, wenn seine immer noch an Große und Schönheit zunehmende Stadt gefeiert wird, als Individuum sieht er sich aber, selbst auf die Gefahr hin, daß sein Name im Auslande ganz unbekannt und seine Verdienste unter ih¬ rem Werthe angeschlagen bleiben, dem öffentlichen Urtheile nur un¬ gern preisgegeben. Es fehlt hier durchaus die sonst so gewöhnliche Renommvehatz und das Jagen, Buhlen und Feilschen um ein Körn¬ lein öffentlichen Lobes. Möglich, daß schon die nächstkünftige Gene¬ ration anderen und bewegteren Blutes ist, je mehr München, wie es gar nicht anders sein kann, in die allgemeine Zeitströmung hinein¬ gerissen wird. Von der Bescheidenheit und Selbstverläugnung der älteren Generation dagegen könnte ich manches anziehende Beispiel anführen; hier nur eins für mehrere. Der pmstonirte königliche Ge¬ nerallieutenant und ehemalige Kriegsminister, Freiherr von He rt¬ lin g, welcher am vergangenen 13. September starb, ein Mann von dem anerkannt uneigennützigsten Charakter und entschiedener militärischer Tüchtigkeit, der nach des Fürsten Schwarzenberg eigenem Geständniß unter Anderm das lange zweifelhafte Treffen bei Bar sur Aube durch eine trefflich ausgeführte Bewegung zu Gunsten der Verbündeten ent¬ schied und dadurch dem Feldzuge selbst eine neue Wendung gab, war vor Jahren ebenfalls ausersehen, in einem bekannten, meist dio-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/270>, abgerufen am 01.09.2024.