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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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Rechner Dase mit dem Aussprechen einer Reihe von hundert Zahlen.
Und Dase hat es doch in seiner Kunst ziemlich weit gebrachte Auf
seiner Reise von Wien nach München brach sein Reisegefährte in
der Gegend des Klosters Meint in die bekannte, geistreiche Phrase
aus: Welch herrliche Gegend! Dase steckte aus dem Kutschenschlage
seinen Kopf und bemerkte mit größter Gemüthsruhe: Dreihundert-
fünfundvierzig Stück. Er meinte damit die dreihundertfünfundvierzig
Stück einer Schafheerde, welche gerade vorüberzog. -- Ich sollte
meinendes müsse Allen Himmel- oder besser Höllenseelenangst wer¬
den bei dem Gedanken, daß, nach dem Ausspruche jenes Dichters,
unter allen deutschen Städten nur Königsberg zur Freiheit die ge¬
hörige Reife habe. Und Königsberg liegt nicht einmal innerhalb der
deutschen Bundesstaaten!

Jammerschade, daß es uns noch nicht gelungen ist, der tiefen,
lebendigen, unerschöpflich retchen deutschen Sprache für die fremd¬
ländischen Wortgebilde: Absolutismus, Moderantismns, Liberalismus,
Radikalismus, Communismus, Socialismus u. s. w. entsprechende
deutsche Bezeichnungen abzunöthigen. Daher glaube und fürchte man
nicht, daß unsere "schlechte" Presse irgend einen besondern Einfluß
auf das Volk ausübe. Letzteres steht vielmehr vor jenen Ausdrücken
still, wie die Kuh vor dem neuen Thore oder der Ochs am Berge,
der in heiliger Dummheit sich den seltsamsten Betrachtungen über¬
läßt. Die vornehmthuerische Ausländerei hat uns eben überall beim
Schöpfe, selbst wenn wir vorgeben, für das Volk und zum Volke
zu sprechen. Ich glaube, das Volk hat sich im Kriege besser mit
den Kosaken, als jetzt mit unsern Zeitungsschreibern zu verständi¬
gen gewußt.

Es gibt aber einen Radikalismus, vor welchem jeder echte deut¬
sche Mann Respect hat oder haben sollte, insofern es noch echte
deutsche Männer gibt; ich meine jenen Radikalismus, welcher auf
uneigennütziger Gesinnung und ehrenhaften Charakter, Geist und
Gefühl, historischer und philosophischer Erkenntniß zugleich beruht,
einfach in der Sitte, klar im Denken, der Natur befreundet, dem
Volksbedürfniß vertraut ist, alles Schöne, Edle und Große, wo und
in welcher Form und auf welcher Seite es ihn, auch entgegentritt,
anerkennt und mitempfindet, zugleich aber alles Erbärmliche, Schlechte,


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Rechner Dase mit dem Aussprechen einer Reihe von hundert Zahlen.
Und Dase hat es doch in seiner Kunst ziemlich weit gebrachte Auf
seiner Reise von Wien nach München brach sein Reisegefährte in
der Gegend des Klosters Meint in die bekannte, geistreiche Phrase
aus: Welch herrliche Gegend! Dase steckte aus dem Kutschenschlage
seinen Kopf und bemerkte mit größter Gemüthsruhe: Dreihundert-
fünfundvierzig Stück. Er meinte damit die dreihundertfünfundvierzig
Stück einer Schafheerde, welche gerade vorüberzog. — Ich sollte
meinendes müsse Allen Himmel- oder besser Höllenseelenangst wer¬
den bei dem Gedanken, daß, nach dem Ausspruche jenes Dichters,
unter allen deutschen Städten nur Königsberg zur Freiheit die ge¬
hörige Reife habe. Und Königsberg liegt nicht einmal innerhalb der
deutschen Bundesstaaten!

Jammerschade, daß es uns noch nicht gelungen ist, der tiefen,
lebendigen, unerschöpflich retchen deutschen Sprache für die fremd¬
ländischen Wortgebilde: Absolutismus, Moderantismns, Liberalismus,
Radikalismus, Communismus, Socialismus u. s. w. entsprechende
deutsche Bezeichnungen abzunöthigen. Daher glaube und fürchte man
nicht, daß unsere „schlechte" Presse irgend einen besondern Einfluß
auf das Volk ausübe. Letzteres steht vielmehr vor jenen Ausdrücken
still, wie die Kuh vor dem neuen Thore oder der Ochs am Berge,
der in heiliger Dummheit sich den seltsamsten Betrachtungen über¬
läßt. Die vornehmthuerische Ausländerei hat uns eben überall beim
Schöpfe, selbst wenn wir vorgeben, für das Volk und zum Volke
zu sprechen. Ich glaube, das Volk hat sich im Kriege besser mit
den Kosaken, als jetzt mit unsern Zeitungsschreibern zu verständi¬
gen gewußt.

Es gibt aber einen Radikalismus, vor welchem jeder echte deut¬
sche Mann Respect hat oder haben sollte, insofern es noch echte
deutsche Männer gibt; ich meine jenen Radikalismus, welcher auf
uneigennütziger Gesinnung und ehrenhaften Charakter, Geist und
Gefühl, historischer und philosophischer Erkenntniß zugleich beruht,
einfach in der Sitte, klar im Denken, der Natur befreundet, dem
Volksbedürfniß vertraut ist, alles Schöne, Edle und Große, wo und
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/268>, abgerufen am 01.09.2024.