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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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Aposteln, Märtyrern, Bischöfen und Königen hervor. Auch ein Ru¬
nenstein ist in der Kirche, dessen Bild auf hohem Stamm ein Kreuz
zeigt, jedoch nicht wie ein Crucifir, sondern mehr wie eine OrdenS-
Decoration gestaltet, und daneben ringelt sich ein schlangenartiger
Leib mit einem Menschenantlitz und mit Hörnern empor. Das
dunkle Runenbild hat zu vielen gelehrten Deutungen Anlaß gegeben.
Mir scheint es eine Schlange, die sich um den Erkenntnißbaum win¬
det, welcher, statt des Apfels, einen Orden trägt.

Der alten Kirche gegenüber ragen drei gewaltige Grabhügel,
von Menschenhänden aufgethürmt, und sie waren einst dem Thor,
dem Odin und der Frigga heilig. Mehrere sogenannte Riesenhügel,
von geringerer Höhe, schließen sich daran, und auf dem Einen be¬
merkt man noch den Kreis der Steine, für die Richter zu Sitzen be¬
stimmt, wenn offener Rechtstag gehalten wurde. Ja, frei und ehr¬
lich, unter Gottes freiem Himmel, hörten die Altvordern Kläger und
Beklagte an, und vor dem versammelten Volke wurde dann der Ur¬
theilsspruch gethan. Da konnte der Haß nicht anrichten, nicht die
Bosheit und die Bestechung. Der Norden besaß Oeffentlichkeit und
Mündlichkeit von frühe her, sie sind sein Erbtheil von den Vätern,
das er nur durch Pfaffenlist verloren hat. Und heute thut man, als
wäre es ein Ungehöriges Verlangen, fremde, westliche Institutionen
in uns aufzunehmen, wenn sich ein Nothschrei nach offnen Gerichten
im Volke erhebt.

All die künstlichen Höhen sind kahl, nur mit grauem, spärlichem
Gras bewachsen, und als wir betrachtend davorstanden, kam athem¬
los ein Professor der Theologie aus Upsala heran, der steh'ö nicht
nehmen lassen wollte, uns zu geleiten. Nun stiegen wir auf den
Hügel des Thor, den mittelsten und höchsten; die Studenten folgten,
und fast der ganze Gipfel war von unsrer Schaar überdeckt. Rings
um uns lag die stille Gegend, mit Wasser, Feldern, Bäumen und
Hütten, recht im nordischen Charakter, ausgebreitet. Am Horizont
erhob sich Upsala; der gewaltige Dom überragte hoch die Stadt,
und die Abendsonne glänzte goldig am blaßblauen Himmel, ganz
eigene Lichter versendend. Auf dem Hügel des Odin weideten einige
schwarze und weiße Schafe; über den Hügel der Frigga ging ein
schlankes, schwedisches Bauermädchen hin, hochgeschürzt, und trug


Aposteln, Märtyrern, Bischöfen und Königen hervor. Auch ein Ru¬
nenstein ist in der Kirche, dessen Bild auf hohem Stamm ein Kreuz
zeigt, jedoch nicht wie ein Crucifir, sondern mehr wie eine OrdenS-
Decoration gestaltet, und daneben ringelt sich ein schlangenartiger
Leib mit einem Menschenantlitz und mit Hörnern empor. Das
dunkle Runenbild hat zu vielen gelehrten Deutungen Anlaß gegeben.
Mir scheint es eine Schlange, die sich um den Erkenntnißbaum win¬
det, welcher, statt des Apfels, einen Orden trägt.

Der alten Kirche gegenüber ragen drei gewaltige Grabhügel,
von Menschenhänden aufgethürmt, und sie waren einst dem Thor,
dem Odin und der Frigga heilig. Mehrere sogenannte Riesenhügel,
von geringerer Höhe, schließen sich daran, und auf dem Einen be¬
merkt man noch den Kreis der Steine, für die Richter zu Sitzen be¬
stimmt, wenn offener Rechtstag gehalten wurde. Ja, frei und ehr¬
lich, unter Gottes freiem Himmel, hörten die Altvordern Kläger und
Beklagte an, und vor dem versammelten Volke wurde dann der Ur¬
theilsspruch gethan. Da konnte der Haß nicht anrichten, nicht die
Bosheit und die Bestechung. Der Norden besaß Oeffentlichkeit und
Mündlichkeit von frühe her, sie sind sein Erbtheil von den Vätern,
das er nur durch Pfaffenlist verloren hat. Und heute thut man, als
wäre es ein Ungehöriges Verlangen, fremde, westliche Institutionen
in uns aufzunehmen, wenn sich ein Nothschrei nach offnen Gerichten
im Volke erhebt.

All die künstlichen Höhen sind kahl, nur mit grauem, spärlichem
Gras bewachsen, und als wir betrachtend davorstanden, kam athem¬
los ein Professor der Theologie aus Upsala heran, der steh'ö nicht
nehmen lassen wollte, uns zu geleiten. Nun stiegen wir auf den
Hügel des Thor, den mittelsten und höchsten; die Studenten folgten,
und fast der ganze Gipfel war von unsrer Schaar überdeckt. Rings
um uns lag die stille Gegend, mit Wasser, Feldern, Bäumen und
Hütten, recht im nordischen Charakter, ausgebreitet. Am Horizont
erhob sich Upsala; der gewaltige Dom überragte hoch die Stadt,
und die Abendsonne glänzte goldig am blaßblauen Himmel, ganz
eigene Lichter versendend. Auf dem Hügel des Odin weideten einige
schwarze und weiße Schafe; über den Hügel der Frigga ging ein
schlankes, schwedisches Bauermädchen hin, hochgeschürzt, und trug


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[0259] Aposteln, Märtyrern, Bischöfen und Königen hervor. Auch ein Ru¬ nenstein ist in der Kirche, dessen Bild auf hohem Stamm ein Kreuz zeigt, jedoch nicht wie ein Crucifir, sondern mehr wie eine OrdenS- Decoration gestaltet, und daneben ringelt sich ein schlangenartiger Leib mit einem Menschenantlitz und mit Hörnern empor. Das dunkle Runenbild hat zu vielen gelehrten Deutungen Anlaß gegeben. Mir scheint es eine Schlange, die sich um den Erkenntnißbaum win¬ det, welcher, statt des Apfels, einen Orden trägt. Der alten Kirche gegenüber ragen drei gewaltige Grabhügel, von Menschenhänden aufgethürmt, und sie waren einst dem Thor, dem Odin und der Frigga heilig. Mehrere sogenannte Riesenhügel, von geringerer Höhe, schließen sich daran, und auf dem Einen be¬ merkt man noch den Kreis der Steine, für die Richter zu Sitzen be¬ stimmt, wenn offener Rechtstag gehalten wurde. Ja, frei und ehr¬ lich, unter Gottes freiem Himmel, hörten die Altvordern Kläger und Beklagte an, und vor dem versammelten Volke wurde dann der Ur¬ theilsspruch gethan. Da konnte der Haß nicht anrichten, nicht die Bosheit und die Bestechung. Der Norden besaß Oeffentlichkeit und Mündlichkeit von frühe her, sie sind sein Erbtheil von den Vätern, das er nur durch Pfaffenlist verloren hat. Und heute thut man, als wäre es ein Ungehöriges Verlangen, fremde, westliche Institutionen in uns aufzunehmen, wenn sich ein Nothschrei nach offnen Gerichten im Volke erhebt. All die künstlichen Höhen sind kahl, nur mit grauem, spärlichem Gras bewachsen, und als wir betrachtend davorstanden, kam athem¬ los ein Professor der Theologie aus Upsala heran, der steh'ö nicht nehmen lassen wollte, uns zu geleiten. Nun stiegen wir auf den Hügel des Thor, den mittelsten und höchsten; die Studenten folgten, und fast der ganze Gipfel war von unsrer Schaar überdeckt. Rings um uns lag die stille Gegend, mit Wasser, Feldern, Bäumen und Hütten, recht im nordischen Charakter, ausgebreitet. Am Horizont erhob sich Upsala; der gewaltige Dom überragte hoch die Stadt, und die Abendsonne glänzte goldig am blaßblauen Himmel, ganz eigene Lichter versendend. Auf dem Hügel des Odin weideten einige schwarze und weiße Schafe; über den Hügel der Frigga ging ein schlankes, schwedisches Bauermädchen hin, hochgeschürzt, und trug

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/259>, abgerufen am 01.09.2024.