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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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Asen, ein in allen Künsten wohlerfahrenes Volk. Sie hatten aber
solchen Respect vor den Römern, wie ein deutscher Gymnasiast, und
zogen darum hoch nach dem Norden hinauf. Ihr Fürst wußte, dort
werde Odin verehrt, deshalb unternahm er die Wanderung im vol¬
len Komvdiantenstaat und gab sich für Odin, seine Hauptleute für
Götter aus -- denn damals waren die Pässe noch nicht erfunden.
Er durchstrich viele Reiche, kam auch nach Dänemark und legte auf
der Insel Fünen die Stadt Odense an, wo späterhin Hans Chri¬
stian Andersen geboren wurde.

So erreichte er des Mälar Gestade. König Gylfe -- der wohl
etwas bornirt gewesen sein muß -- überließ ihm das Land, und der
Pseudo-Odin vertheilte es unter die Asen. Er führte die Schreib¬
und Dichtkunst ein, was auf eins herauskommt, denn wer schreiben
kann, dichtet ja auch; er gab Gesetze und legte eine Abgabe auf
jede Nase. Zum großen Glück kennt man bei uns, die wir doch
sonst eine hübsche Auswahl von Steuern besitzen, die Nasensteuer
noch nicht, und was sollten wohl die armen Censoren anfangen,
wenn sie wieder eingeführt würde. -- Aber so verwischt sich nach
und nach poetische Mythe zur alltäglichen Wirklichkeit, und noch tau¬
send Jahre später, dann wird vielleicht ein gelehrter Historiker, durch
den Namen Walhalla irregeleitet, unumstößlich darthun: "daß Odin
eigentlich ein Regensburger gewesen sei."

Zwar dachte ich während der Fahrt an alle diese prosaischen
Forschungen nicht, und mir schwebte nur die aus wildnordischcr
Phantasie entsprungene Fabel vor. Als sich aber zur Rechten sig<
luna zeigte, da sah ich ein: die Prosa passe besser zu dem Ort, als
Poesie. Auf harten Felsen, wo nur hin und wieder ein Fleckchen
grünes Ackerland sich durchdrängt, sind fünfzig oder sechszig kleine
Häuser, in abgesonderten, regellosen Gruppen umhergestreut. Von
Holz erbaut, blutroth angestrichen, mit Ziegel- oder Schindeldächern
und mit wetßeingefaßten Fenstern -- so stellen sich diese Wohnungen
dar. Bröcklichtes, graues Thurmgemäuer, von Klöstern aus dein
Mittelalter herrührend, liegt bei dem Orte, und die jetzige Kirche sieht
einer Scheune gleich. Weil dieselbe keinen Thurm besitzt, steht der
hohe hölzerne Glockenstuhl auf einem Felsen mitten über den Häu¬
sern, und es klang ein wimmerndes Geläute von dort herab. Einige
Windmühlen und ein ärmlich moderner Pavillon helfen auch noch


Asen, ein in allen Künsten wohlerfahrenes Volk. Sie hatten aber
solchen Respect vor den Römern, wie ein deutscher Gymnasiast, und
zogen darum hoch nach dem Norden hinauf. Ihr Fürst wußte, dort
werde Odin verehrt, deshalb unternahm er die Wanderung im vol¬
len Komvdiantenstaat und gab sich für Odin, seine Hauptleute für
Götter aus — denn damals waren die Pässe noch nicht erfunden.
Er durchstrich viele Reiche, kam auch nach Dänemark und legte auf
der Insel Fünen die Stadt Odense an, wo späterhin Hans Chri¬
stian Andersen geboren wurde.

So erreichte er des Mälar Gestade. König Gylfe — der wohl
etwas bornirt gewesen sein muß — überließ ihm das Land, und der
Pseudo-Odin vertheilte es unter die Asen. Er führte die Schreib¬
und Dichtkunst ein, was auf eins herauskommt, denn wer schreiben
kann, dichtet ja auch; er gab Gesetze und legte eine Abgabe auf
jede Nase. Zum großen Glück kennt man bei uns, die wir doch
sonst eine hübsche Auswahl von Steuern besitzen, die Nasensteuer
noch nicht, und was sollten wohl die armen Censoren anfangen,
wenn sie wieder eingeführt würde. — Aber so verwischt sich nach
und nach poetische Mythe zur alltäglichen Wirklichkeit, und noch tau¬
send Jahre später, dann wird vielleicht ein gelehrter Historiker, durch
den Namen Walhalla irregeleitet, unumstößlich darthun: „daß Odin
eigentlich ein Regensburger gewesen sei."

Zwar dachte ich während der Fahrt an alle diese prosaischen
Forschungen nicht, und mir schwebte nur die aus wildnordischcr
Phantasie entsprungene Fabel vor. Als sich aber zur Rechten sig<
luna zeigte, da sah ich ein: die Prosa passe besser zu dem Ort, als
Poesie. Auf harten Felsen, wo nur hin und wieder ein Fleckchen
grünes Ackerland sich durchdrängt, sind fünfzig oder sechszig kleine
Häuser, in abgesonderten, regellosen Gruppen umhergestreut. Von
Holz erbaut, blutroth angestrichen, mit Ziegel- oder Schindeldächern
und mit wetßeingefaßten Fenstern — so stellen sich diese Wohnungen
dar. Bröcklichtes, graues Thurmgemäuer, von Klöstern aus dein
Mittelalter herrührend, liegt bei dem Orte, und die jetzige Kirche sieht
einer Scheune gleich. Weil dieselbe keinen Thurm besitzt, steht der
hohe hölzerne Glockenstuhl auf einem Felsen mitten über den Häu¬
sern, und es klang ein wimmerndes Geläute von dort herab. Einige
Windmühlen und ein ärmlich moderner Pavillon helfen auch noch


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[0248] Asen, ein in allen Künsten wohlerfahrenes Volk. Sie hatten aber solchen Respect vor den Römern, wie ein deutscher Gymnasiast, und zogen darum hoch nach dem Norden hinauf. Ihr Fürst wußte, dort werde Odin verehrt, deshalb unternahm er die Wanderung im vol¬ len Komvdiantenstaat und gab sich für Odin, seine Hauptleute für Götter aus — denn damals waren die Pässe noch nicht erfunden. Er durchstrich viele Reiche, kam auch nach Dänemark und legte auf der Insel Fünen die Stadt Odense an, wo späterhin Hans Chri¬ stian Andersen geboren wurde. So erreichte er des Mälar Gestade. König Gylfe — der wohl etwas bornirt gewesen sein muß — überließ ihm das Land, und der Pseudo-Odin vertheilte es unter die Asen. Er führte die Schreib¬ und Dichtkunst ein, was auf eins herauskommt, denn wer schreiben kann, dichtet ja auch; er gab Gesetze und legte eine Abgabe auf jede Nase. Zum großen Glück kennt man bei uns, die wir doch sonst eine hübsche Auswahl von Steuern besitzen, die Nasensteuer noch nicht, und was sollten wohl die armen Censoren anfangen, wenn sie wieder eingeführt würde. — Aber so verwischt sich nach und nach poetische Mythe zur alltäglichen Wirklichkeit, und noch tau¬ send Jahre später, dann wird vielleicht ein gelehrter Historiker, durch den Namen Walhalla irregeleitet, unumstößlich darthun: „daß Odin eigentlich ein Regensburger gewesen sei." Zwar dachte ich während der Fahrt an alle diese prosaischen Forschungen nicht, und mir schwebte nur die aus wildnordischcr Phantasie entsprungene Fabel vor. Als sich aber zur Rechten sig< luna zeigte, da sah ich ein: die Prosa passe besser zu dem Ort, als Poesie. Auf harten Felsen, wo nur hin und wieder ein Fleckchen grünes Ackerland sich durchdrängt, sind fünfzig oder sechszig kleine Häuser, in abgesonderten, regellosen Gruppen umhergestreut. Von Holz erbaut, blutroth angestrichen, mit Ziegel- oder Schindeldächern und mit wetßeingefaßten Fenstern — so stellen sich diese Wohnungen dar. Bröcklichtes, graues Thurmgemäuer, von Klöstern aus dein Mittelalter herrührend, liegt bei dem Orte, und die jetzige Kirche sieht einer Scheune gleich. Weil dieselbe keinen Thurm besitzt, steht der hohe hölzerne Glockenstuhl auf einem Felsen mitten über den Häu¬ sern, und es klang ein wimmerndes Geläute von dort herab. Einige Windmühlen und ein ärmlich moderner Pavillon helfen auch noch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/248>, abgerufen am 28.07.2024.