Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.ranzten auf den Wetten, aber die Luft wehte frisch, sogar scharf, also Die Gluth von Muspelheim schmolz das Eis von Niftheim, Die Prosa ist der Mythe schlimmste Feindin. Sie fängt den 3! "
ranzten auf den Wetten, aber die Luft wehte frisch, sogar scharf, also Die Gluth von Muspelheim schmolz das Eis von Niftheim, Die Prosa ist der Mythe schlimmste Feindin. Sie fängt den 3! »
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0247" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/181431"/> <p xml:id="ID_675" prev="#ID_674"> ranzten auf den Wetten, aber die Luft wehte frisch, sogar scharf, also<lb/> hüllte ich mich tief in den Mantel und überließ mich meinen Träu¬<lb/> mereien. Unter den Frachtstücken, die das Boot anführte, lag auch<lb/> ein Ballen mit der Signatur: „II. I?. i. 8Ij;tuu!i,," und derselbe<lb/> hatte mein Auge gefesselt. Sigtuna! Die ganze fabelhafte Poesie des<lb/> Nordens wacht bei diesem Namen auf, und man erblickt jene wun¬<lb/> derlichen Arabesken mit ihren plumpen, ungeschlachten und lieblichen<lb/> Gestaltungen. Sigtuna! Diese Stadt hat Odin erbaut, hier hat er<lb/> sich den Tempel gegründet, hier hat er regiert und ein wildes Bä¬<lb/> renvolk gemildert. Odin ist kein geborener Gott, er war ein Mensch,<lb/> der sich durch eigene Geisteskraft auf den Weltthron erhob, und die<lb/> grauen Väter der Edda erklären seinen Stammbaum auf folgende Weise:</p><lb/> <p xml:id="ID_676"> Die Gluth von Muspelheim schmolz das Eis von Niftheim,<lb/> und daraus ging der furchtbare Eisriese Ymer hervor. Die Milch<lb/> einer Kuh, Audumbla, ernährte ihn: diese leckte an salzbereiften Stei¬<lb/> nen, und aus solchem Salzstein entstand Bure, der erste Mensch. Er<lb/> hatte einen Sohn, Bor, welcher den Odin und zwei andere Sohne erzeugte.<lb/> Die drei Niesenjünglinge zogen aus, erschlugen den Ymer und mach¬<lb/> ten aus seinem Fleisch die Erde, aus seinem Blut daS Meer, aus<lb/> seinen Knochen die Felsen, aus seinein Schädel das Firmament und<lb/> aus seinem Gehirn die Wolken. So wurde die Welt erschaffen.<lb/> Odin formte nun ein Menschenpaar und herrschte allgewaltig, denn<lb/> zwei'Raben, Hugin und Munin, saßen auf seiner Schulter und sag¬<lb/> ten ihm, was auf dem ganzen Erdenrund geschah. Weisheit trank<lb/> er aus Miner's Brunnen, und den köstlichen Dichtermeth gab ihm<lb/> Gunlöda, weshalb er König der Dichter ist und Liodasmieder —<lb/> Liederschmied — heißt. Hoch in seinem Schloß Walhalla sitzt er,<lb/> wo sich die gefallenen Helden um ihn sammeln. Zur Lust kämpft<lb/> er mit ihnen auf achtfüßigen Roß und läßt sich stets von zwei Wal¬<lb/> küren, Nista und Mista, das goldene Trinkhorn kredenzen. Doch<lb/> wenn einst Ragnarokr, der Weltuntergang, naht, dann sterben die<lb/> Äsen, und auch Odin stirbt, denn er ist ein endlicher Gott.</p><lb/> <p xml:id="ID_677" next="#ID_678"> Die Prosa ist der Mythe schlimmste Feindin. Sie fängt den<lb/> muthigen Falken der Fabel ein, zieht ihm schnell eine Kappe über<lb/> die Augen und macht Historie daraus. Unsere alte Geschichte hat<lb/> uns eine Masse von Poesie gekostet. Man erzählt nun so: Etwa<lb/> hundert Jahre vor Christi Geburt wohnten am schwarzen Meer die</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 3! »</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0247]
ranzten auf den Wetten, aber die Luft wehte frisch, sogar scharf, also
hüllte ich mich tief in den Mantel und überließ mich meinen Träu¬
mereien. Unter den Frachtstücken, die das Boot anführte, lag auch
ein Ballen mit der Signatur: „II. I?. i. 8Ij;tuu!i,," und derselbe
hatte mein Auge gefesselt. Sigtuna! Die ganze fabelhafte Poesie des
Nordens wacht bei diesem Namen auf, und man erblickt jene wun¬
derlichen Arabesken mit ihren plumpen, ungeschlachten und lieblichen
Gestaltungen. Sigtuna! Diese Stadt hat Odin erbaut, hier hat er
sich den Tempel gegründet, hier hat er regiert und ein wildes Bä¬
renvolk gemildert. Odin ist kein geborener Gott, er war ein Mensch,
der sich durch eigene Geisteskraft auf den Weltthron erhob, und die
grauen Väter der Edda erklären seinen Stammbaum auf folgende Weise:
Die Gluth von Muspelheim schmolz das Eis von Niftheim,
und daraus ging der furchtbare Eisriese Ymer hervor. Die Milch
einer Kuh, Audumbla, ernährte ihn: diese leckte an salzbereiften Stei¬
nen, und aus solchem Salzstein entstand Bure, der erste Mensch. Er
hatte einen Sohn, Bor, welcher den Odin und zwei andere Sohne erzeugte.
Die drei Niesenjünglinge zogen aus, erschlugen den Ymer und mach¬
ten aus seinem Fleisch die Erde, aus seinem Blut daS Meer, aus
seinen Knochen die Felsen, aus seinein Schädel das Firmament und
aus seinem Gehirn die Wolken. So wurde die Welt erschaffen.
Odin formte nun ein Menschenpaar und herrschte allgewaltig, denn
zwei'Raben, Hugin und Munin, saßen auf seiner Schulter und sag¬
ten ihm, was auf dem ganzen Erdenrund geschah. Weisheit trank
er aus Miner's Brunnen, und den köstlichen Dichtermeth gab ihm
Gunlöda, weshalb er König der Dichter ist und Liodasmieder —
Liederschmied — heißt. Hoch in seinem Schloß Walhalla sitzt er,
wo sich die gefallenen Helden um ihn sammeln. Zur Lust kämpft
er mit ihnen auf achtfüßigen Roß und läßt sich stets von zwei Wal¬
küren, Nista und Mista, das goldene Trinkhorn kredenzen. Doch
wenn einst Ragnarokr, der Weltuntergang, naht, dann sterben die
Äsen, und auch Odin stirbt, denn er ist ein endlicher Gott.
Die Prosa ist der Mythe schlimmste Feindin. Sie fängt den
muthigen Falken der Fabel ein, zieht ihm schnell eine Kappe über
die Augen und macht Historie daraus. Unsere alte Geschichte hat
uns eine Masse von Poesie gekostet. Man erzählt nun so: Etwa
hundert Jahre vor Christi Geburt wohnten am schwarzen Meer die
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