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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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Seele nur das Gemachte schön fand." In dieser Weise wendet
Schlosser auf die Zustände der Gegenwart die Kenntniß der Ver¬
gangenheit an. Schlosser sagt zwar, daß er nur auf die Thatsachen
Gewicht lege, die Leser seiner Schriften legen jedoch gewiß auf seine
Urtheile Gewicht. Diese Eigenthümlichkeit seiner Werke ist auch keine
Zufälligkeit; er dachte, sagt er, in der Vorrede zum letzten Bande
seiner Geschichte des achtzehnten Jahrhunderts, "er hätte jetzt seinem
Vaterlande eifrig und treu als Lehrer der Jugend sechsundvierzig
Jahre lang unverdrossen und ausdauernd genützt, er wolle ihm
am Schlüsse der Laufbahn eben so bescheiden auch einmal auf seine
Weise lehrend, als Schriftsteller, zu nützen versuchen." Was er da¬
mit sagen will, wird Jeder erkennen, der einigen Ernst hat, die Zei¬
chen der Zeit zu deuten versteht und nicht etwa gute Gründe, sich
selbst oder Andere zu täuschen. Und da Schlosser von einem Ge¬
fühle der heiligsten Pflicht noch am Abend seines Lebens zu so schwie¬
rigen Arbeiten getrieben wurde, darum sind sie so ganz aus voller
Seele geflossen, und das deutsche Volk wird schon jetzt und noch mehr
in der Zukunft den Mann würdigen, der nicht nach Beifall haschte,
sondern sein Leben der Wissenschaft weihte, um für Denkende und
Prüfende zu schreiben.

In seinen früheren Schriften wendete sich Schlosser mehr an
die, welche mit Geschichte schon vertraut sind. Er schüttete vor ihnen
seine Quellenschätze aus und überging, was in bewährten Hilfsmit¬
teln gut zu finden war. Je länger er schrieb, desto mehr wünschte
er die Aufmerksamkeit des großem gebildeten Publicums zu gewin¬
nen. Er sorgte daher für die bessere Lesbarkeit seiner Arbeiten. Jetzt
endlich, in der neu erscheinenden Weltgeschichte, sucht er auf alle
Classen des Volkes einzuwirken. Mit je kräftigerer Kost ein Volk
sich nährt, desto stärker wird es sich erheben.


Heinrich Wuttke.


Die neue "Weltgeschichte" hat schon zu einem literarischen Skan¬
dale Anlaß gegeben. Ein Buchhändler verschickte nämlich eine heftige
Anklageschrift gegen Schlosser, in der er seine Moralität und Unbe¬
fangenheit verdächtigt.


Seele nur das Gemachte schön fand." In dieser Weise wendet
Schlosser auf die Zustände der Gegenwart die Kenntniß der Ver¬
gangenheit an. Schlosser sagt zwar, daß er nur auf die Thatsachen
Gewicht lege, die Leser seiner Schriften legen jedoch gewiß auf seine
Urtheile Gewicht. Diese Eigenthümlichkeit seiner Werke ist auch keine
Zufälligkeit; er dachte, sagt er, in der Vorrede zum letzten Bande
seiner Geschichte des achtzehnten Jahrhunderts, „er hätte jetzt seinem
Vaterlande eifrig und treu als Lehrer der Jugend sechsundvierzig
Jahre lang unverdrossen und ausdauernd genützt, er wolle ihm
am Schlüsse der Laufbahn eben so bescheiden auch einmal auf seine
Weise lehrend, als Schriftsteller, zu nützen versuchen." Was er da¬
mit sagen will, wird Jeder erkennen, der einigen Ernst hat, die Zei¬
chen der Zeit zu deuten versteht und nicht etwa gute Gründe, sich
selbst oder Andere zu täuschen. Und da Schlosser von einem Ge¬
fühle der heiligsten Pflicht noch am Abend seines Lebens zu so schwie¬
rigen Arbeiten getrieben wurde, darum sind sie so ganz aus voller
Seele geflossen, und das deutsche Volk wird schon jetzt und noch mehr
in der Zukunft den Mann würdigen, der nicht nach Beifall haschte,
sondern sein Leben der Wissenschaft weihte, um für Denkende und
Prüfende zu schreiben.

In seinen früheren Schriften wendete sich Schlosser mehr an
die, welche mit Geschichte schon vertraut sind. Er schüttete vor ihnen
seine Quellenschätze aus und überging, was in bewährten Hilfsmit¬
teln gut zu finden war. Je länger er schrieb, desto mehr wünschte
er die Aufmerksamkeit des großem gebildeten Publicums zu gewin¬
nen. Er sorgte daher für die bessere Lesbarkeit seiner Arbeiten. Jetzt
endlich, in der neu erscheinenden Weltgeschichte, sucht er auf alle
Classen des Volkes einzuwirken. Mit je kräftigerer Kost ein Volk
sich nährt, desto stärker wird es sich erheben.


Heinrich Wuttke.


Die neue „Weltgeschichte" hat schon zu einem literarischen Skan¬
dale Anlaß gegeben. Ein Buchhändler verschickte nämlich eine heftige
Anklageschrift gegen Schlosser, in der er seine Moralität und Unbe¬
fangenheit verdächtigt.


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[0210] Seele nur das Gemachte schön fand." In dieser Weise wendet Schlosser auf die Zustände der Gegenwart die Kenntniß der Ver¬ gangenheit an. Schlosser sagt zwar, daß er nur auf die Thatsachen Gewicht lege, die Leser seiner Schriften legen jedoch gewiß auf seine Urtheile Gewicht. Diese Eigenthümlichkeit seiner Werke ist auch keine Zufälligkeit; er dachte, sagt er, in der Vorrede zum letzten Bande seiner Geschichte des achtzehnten Jahrhunderts, „er hätte jetzt seinem Vaterlande eifrig und treu als Lehrer der Jugend sechsundvierzig Jahre lang unverdrossen und ausdauernd genützt, er wolle ihm am Schlüsse der Laufbahn eben so bescheiden auch einmal auf seine Weise lehrend, als Schriftsteller, zu nützen versuchen." Was er da¬ mit sagen will, wird Jeder erkennen, der einigen Ernst hat, die Zei¬ chen der Zeit zu deuten versteht und nicht etwa gute Gründe, sich selbst oder Andere zu täuschen. Und da Schlosser von einem Ge¬ fühle der heiligsten Pflicht noch am Abend seines Lebens zu so schwie¬ rigen Arbeiten getrieben wurde, darum sind sie so ganz aus voller Seele geflossen, und das deutsche Volk wird schon jetzt und noch mehr in der Zukunft den Mann würdigen, der nicht nach Beifall haschte, sondern sein Leben der Wissenschaft weihte, um für Denkende und Prüfende zu schreiben. In seinen früheren Schriften wendete sich Schlosser mehr an die, welche mit Geschichte schon vertraut sind. Er schüttete vor ihnen seine Quellenschätze aus und überging, was in bewährten Hilfsmit¬ teln gut zu finden war. Je länger er schrieb, desto mehr wünschte er die Aufmerksamkeit des großem gebildeten Publicums zu gewin¬ nen. Er sorgte daher für die bessere Lesbarkeit seiner Arbeiten. Jetzt endlich, in der neu erscheinenden Weltgeschichte, sucht er auf alle Classen des Volkes einzuwirken. Mit je kräftigerer Kost ein Volk sich nährt, desto stärker wird es sich erheben. Heinrich Wuttke. Die neue „Weltgeschichte" hat schon zu einem literarischen Skan¬ dale Anlaß gegeben. Ein Buchhändler verschickte nämlich eine heftige Anklageschrift gegen Schlosser, in der er seine Moralität und Unbe¬ fangenheit verdächtigt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/210>, abgerufen am 01.09.2024.