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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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Und wie überall er es ist, der das Ergebniß seines langen
Prüfens geltend macht, so ist auch meist das Einzelne angeführt,
wodurch das Allgemeine begründet oder bestimmt wird. "Jedes All¬
gemeine in dem Buch," sagt er, "muß auf den speciellen Fall schon
darum beschränkt werden, weil der Verfasser weder über Menschen
noch über Stände und Völker je allgemein abspricht, da das abso¬
lut Gute oder Schlechte gar nicht auf Erden gefunden wird." In
der That ist es wohlthuend, statt der herrschenden Geschraubtheit ein¬
mal den natürlichen Erzählungston, Aufrichtigkeit, Wahrheit, Ehrlich¬
keit zu finden. Schlosser's Geschichte ist keine Ausarbeitung nach
Schulregeln. schlicht, selbst zuweilen ein wenig Durcheinander und
sich wiederholend, so wie Jemand wirklich in mündlicher, unstudirtcr
Rede erzählen konnte, so schreibt Schlosser.

Der sechste Vorzug ist eigentlich ein Vorwmf gegen unsere
Zeit. Es ist nämlich einfach der, daß Schlosser unsere Zeit versteht
und auf sie einwirken will. Einige Stellen werden das zeigen.
"Eine mächtige Reaction", sagt er im Vorwort des III. Bandes
seiner Geschichte des achtzehnten Jahrhunderts, "hat in politischen und
religiösen Dingen, wie in der gesammten Literatur einen solchen Con¬
flict hervorgebracht, daß Ertreme allein mehr geltend gemacht werden
können." Ferner an einer andern Stelle: "einer jener Menschen, wie
sie jetzt, wo aufs Neue zeitlicher Vortheil mit der Rechtgläubigkeit
verbunden ist, an allen Ecken und Enden wieder hervorkommen"; oder:
"Schlözer redete mit der ihm eigenen Freimüthigkeit, Derbheit und
Heftigkeit vor Leuten, die in unsern Zeiten mit Abscheu vor ihm
zurückbeben würden, wenn er, was schwerlich der Fall sein mochte,
überhaupt in dem Ton öffentlich reden dürste"; oder, "damit man aber
sehe, wie geschickt man damals grob, ohne Sophistik, wie jetzt sein,
mit Sophistik, jede religiöse Aufklärung als politisches Vergehen dar¬
zustellen wußte, fügen wir hinzu, daß Göze u. f. w." Ein ander
Mal wird von ihm ein Urtheil angeführt, "damit man sehen kann,
was von jenen verwünschten Sophisten unserer Zeit zu halten sei,
welche ihr Talent und die Philosophie der Schule gebrauchen, um
aus Wahrheit Irrthum und aus Tugend Laster zu machen." Er
sucht zu zeigen, "wie die gegenwärtig herrschende Manier des Ma¬
lens und Schilderns, die Kunst, das Kleine groß und das Große
klein zu machen, aus jenen Kreisen stammt, wo Johnson's prosaische


Und wie überall er es ist, der das Ergebniß seines langen
Prüfens geltend macht, so ist auch meist das Einzelne angeführt,
wodurch das Allgemeine begründet oder bestimmt wird. „Jedes All¬
gemeine in dem Buch," sagt er, „muß auf den speciellen Fall schon
darum beschränkt werden, weil der Verfasser weder über Menschen
noch über Stände und Völker je allgemein abspricht, da das abso¬
lut Gute oder Schlechte gar nicht auf Erden gefunden wird." In
der That ist es wohlthuend, statt der herrschenden Geschraubtheit ein¬
mal den natürlichen Erzählungston, Aufrichtigkeit, Wahrheit, Ehrlich¬
keit zu finden. Schlosser's Geschichte ist keine Ausarbeitung nach
Schulregeln. schlicht, selbst zuweilen ein wenig Durcheinander und
sich wiederholend, so wie Jemand wirklich in mündlicher, unstudirtcr
Rede erzählen konnte, so schreibt Schlosser.

Der sechste Vorzug ist eigentlich ein Vorwmf gegen unsere
Zeit. Es ist nämlich einfach der, daß Schlosser unsere Zeit versteht
und auf sie einwirken will. Einige Stellen werden das zeigen.
„Eine mächtige Reaction", sagt er im Vorwort des III. Bandes
seiner Geschichte des achtzehnten Jahrhunderts, „hat in politischen und
religiösen Dingen, wie in der gesammten Literatur einen solchen Con¬
flict hervorgebracht, daß Ertreme allein mehr geltend gemacht werden
können." Ferner an einer andern Stelle: „einer jener Menschen, wie
sie jetzt, wo aufs Neue zeitlicher Vortheil mit der Rechtgläubigkeit
verbunden ist, an allen Ecken und Enden wieder hervorkommen"; oder:
„Schlözer redete mit der ihm eigenen Freimüthigkeit, Derbheit und
Heftigkeit vor Leuten, die in unsern Zeiten mit Abscheu vor ihm
zurückbeben würden, wenn er, was schwerlich der Fall sein mochte,
überhaupt in dem Ton öffentlich reden dürste"; oder, „damit man aber
sehe, wie geschickt man damals grob, ohne Sophistik, wie jetzt sein,
mit Sophistik, jede religiöse Aufklärung als politisches Vergehen dar¬
zustellen wußte, fügen wir hinzu, daß Göze u. f. w." Ein ander
Mal wird von ihm ein Urtheil angeführt, „damit man sehen kann,
was von jenen verwünschten Sophisten unserer Zeit zu halten sei,
welche ihr Talent und die Philosophie der Schule gebrauchen, um
aus Wahrheit Irrthum und aus Tugend Laster zu machen." Er
sucht zu zeigen, „wie die gegenwärtig herrschende Manier des Ma¬
lens und Schilderns, die Kunst, das Kleine groß und das Große
klein zu machen, aus jenen Kreisen stammt, wo Johnson's prosaische


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/209>, abgerufen am 01.09.2024.