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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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setzte Auffassung. Arndt hebt die Schauspiele, Opern, Bälle, Ntu-
gelmmen hervor, die Gustav veranstaltete. Schlosser blickt auf die
Armuth des Landes und tadelt die glänzenden Feste des hohen Adels,
die glatten Manieren, die ritterliche Pracht.

Schlosser hat das Leben und den Menschen im Auge, nicht das
System, in dessen Gewinden und Stichwörtern ein Philosoph sich
ergeht, noch die todten Formen der Erscheinungen, welche ein Jurist
aussammelt. Er liest aus den Quellen etwas Anderes heraus, als
der fromme Neander, "der die Welt nicht kennt und nicht zu kennen
braucht." Daher tritt uns das Leben in seiner Mannigfaltigkeit und
Bewegung, mit seinen vielen Farbenabstufungen, in seinem Auf- und
Niederwogen entgegen. An ihm erkennt man recht den Unterschied
zwischen einer gründlichen (im eigentlichen Sinne geschichtlichen) Be¬
handlung der Geschichte und zwischen der philosophischen, die sich
jetzt allenthalben so breit macht. Ohne Deklamation erreicht er einen
gewaltigen Eindruck, statt des leeren Pathos sind bei ihm Urtheile,
die von völliger Sachkenntniß, Unbefangenheit und ruhiger Prüfung
zeigen. Unser großes Publicum ist leider durch das viele Geschrei
der Herren Philosophen jetzt dergestalt verdorben, daß es nur: "Geist
und Philosophie der Geschichte" begehrt und von schlichter "Geschichte"
nicht viel wissen mag. Obenein, um sie ihm noch mehr zu verleiden,
führt unglücklicherweise die Rückschrittspartei das Stichwort "Histori¬
sche Entwicklung" immerfort im Munde, dessen Sinn sie offenbar
gar nicht versteht. Die neue Ausgabe der allgemeinen Geschichte
von Schlosser möge den Sinn für wahre Geschichte wieder beleben.

Den fünften Hauptvorzug finden wir in seiner Manier zu
erzählen. Schlosser wirst sich nämlich der gekünstelter Objectivität
entgegen, will Nichts wissen von der Affectirtheit und Berechnung,
will kein Kunstwerk hinstellen, von dessen Verfertiger Nichts zu ge¬
wahren ist, sondern tritt als Erzähler hin, er selbst. In seinen Ge¬
schichten werden daher Urtheile in der Regel nicht abstract hinge¬
stellt, sondern geben sich als von Schlosser ausgesprochene Ansichten;
sie sind Meinungen, Auffassungen, Urtheile des Erzählers. Man
Hort ihn und hat überall mit ihm zu thun. Manchen Leuten mag
das anmaßend vorkommen, uns erscheint es bescheiden und würdig.
Uebrigens sagt er auch ausdrücklich, daß jedes Urtheil hier acht
mehr gelten solle, als für das, was aus den Acten hervorgehe.


setzte Auffassung. Arndt hebt die Schauspiele, Opern, Bälle, Ntu-
gelmmen hervor, die Gustav veranstaltete. Schlosser blickt auf die
Armuth des Landes und tadelt die glänzenden Feste des hohen Adels,
die glatten Manieren, die ritterliche Pracht.

Schlosser hat das Leben und den Menschen im Auge, nicht das
System, in dessen Gewinden und Stichwörtern ein Philosoph sich
ergeht, noch die todten Formen der Erscheinungen, welche ein Jurist
aussammelt. Er liest aus den Quellen etwas Anderes heraus, als
der fromme Neander, „der die Welt nicht kennt und nicht zu kennen
braucht." Daher tritt uns das Leben in seiner Mannigfaltigkeit und
Bewegung, mit seinen vielen Farbenabstufungen, in seinem Auf- und
Niederwogen entgegen. An ihm erkennt man recht den Unterschied
zwischen einer gründlichen (im eigentlichen Sinne geschichtlichen) Be¬
handlung der Geschichte und zwischen der philosophischen, die sich
jetzt allenthalben so breit macht. Ohne Deklamation erreicht er einen
gewaltigen Eindruck, statt des leeren Pathos sind bei ihm Urtheile,
die von völliger Sachkenntniß, Unbefangenheit und ruhiger Prüfung
zeigen. Unser großes Publicum ist leider durch das viele Geschrei
der Herren Philosophen jetzt dergestalt verdorben, daß es nur: „Geist
und Philosophie der Geschichte" begehrt und von schlichter „Geschichte"
nicht viel wissen mag. Obenein, um sie ihm noch mehr zu verleiden,
führt unglücklicherweise die Rückschrittspartei das Stichwort „Histori¬
sche Entwicklung" immerfort im Munde, dessen Sinn sie offenbar
gar nicht versteht. Die neue Ausgabe der allgemeinen Geschichte
von Schlosser möge den Sinn für wahre Geschichte wieder beleben.

Den fünften Hauptvorzug finden wir in seiner Manier zu
erzählen. Schlosser wirst sich nämlich der gekünstelter Objectivität
entgegen, will Nichts wissen von der Affectirtheit und Berechnung,
will kein Kunstwerk hinstellen, von dessen Verfertiger Nichts zu ge¬
wahren ist, sondern tritt als Erzähler hin, er selbst. In seinen Ge¬
schichten werden daher Urtheile in der Regel nicht abstract hinge¬
stellt, sondern geben sich als von Schlosser ausgesprochene Ansichten;
sie sind Meinungen, Auffassungen, Urtheile des Erzählers. Man
Hort ihn und hat überall mit ihm zu thun. Manchen Leuten mag
das anmaßend vorkommen, uns erscheint es bescheiden und würdig.
Uebrigens sagt er auch ausdrücklich, daß jedes Urtheil hier acht
mehr gelten solle, als für das, was aus den Acten hervorgehe.


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[0208] setzte Auffassung. Arndt hebt die Schauspiele, Opern, Bälle, Ntu- gelmmen hervor, die Gustav veranstaltete. Schlosser blickt auf die Armuth des Landes und tadelt die glänzenden Feste des hohen Adels, die glatten Manieren, die ritterliche Pracht. Schlosser hat das Leben und den Menschen im Auge, nicht das System, in dessen Gewinden und Stichwörtern ein Philosoph sich ergeht, noch die todten Formen der Erscheinungen, welche ein Jurist aussammelt. Er liest aus den Quellen etwas Anderes heraus, als der fromme Neander, „der die Welt nicht kennt und nicht zu kennen braucht." Daher tritt uns das Leben in seiner Mannigfaltigkeit und Bewegung, mit seinen vielen Farbenabstufungen, in seinem Auf- und Niederwogen entgegen. An ihm erkennt man recht den Unterschied zwischen einer gründlichen (im eigentlichen Sinne geschichtlichen) Be¬ handlung der Geschichte und zwischen der philosophischen, die sich jetzt allenthalben so breit macht. Ohne Deklamation erreicht er einen gewaltigen Eindruck, statt des leeren Pathos sind bei ihm Urtheile, die von völliger Sachkenntniß, Unbefangenheit und ruhiger Prüfung zeigen. Unser großes Publicum ist leider durch das viele Geschrei der Herren Philosophen jetzt dergestalt verdorben, daß es nur: „Geist und Philosophie der Geschichte" begehrt und von schlichter „Geschichte" nicht viel wissen mag. Obenein, um sie ihm noch mehr zu verleiden, führt unglücklicherweise die Rückschrittspartei das Stichwort „Histori¬ sche Entwicklung" immerfort im Munde, dessen Sinn sie offenbar gar nicht versteht. Die neue Ausgabe der allgemeinen Geschichte von Schlosser möge den Sinn für wahre Geschichte wieder beleben. Den fünften Hauptvorzug finden wir in seiner Manier zu erzählen. Schlosser wirst sich nämlich der gekünstelter Objectivität entgegen, will Nichts wissen von der Affectirtheit und Berechnung, will kein Kunstwerk hinstellen, von dessen Verfertiger Nichts zu ge¬ wahren ist, sondern tritt als Erzähler hin, er selbst. In seinen Ge¬ schichten werden daher Urtheile in der Regel nicht abstract hinge¬ stellt, sondern geben sich als von Schlosser ausgesprochene Ansichten; sie sind Meinungen, Auffassungen, Urtheile des Erzählers. Man Hort ihn und hat überall mit ihm zu thun. Manchen Leuten mag das anmaßend vorkommen, uns erscheint es bescheiden und würdig. Uebrigens sagt er auch ausdrücklich, daß jedes Urtheil hier acht mehr gelten solle, als für das, was aus den Acten hervorgehe.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/208>, abgerufen am 01.09.2024.