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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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schritt selbst. Erst spät dringt daher das Gute durch und gelangt
zur Anerkennung.

Indeß sängt die Presse allmälig an, ihren Berus zu erkennen.
Wir lenken jetzt auf Schlosser die Aufmerksamkeit unserer Leser.

Der Lebenslauf eines Gelehrten ist ziemlich einförmig. Sein
stilles Studirzimmer, sein Hörsaal sind die Plätze, wo er seine Kraft
entwickelt. Die Wirkungen, die er hervorbringt, fallen nicht sehr in
die Augen. Aber Samen streut er aus. In der Ernte weiß man
dann nicht mehr, von wo die Keime kamen, die aufgegangen sind.

Friedrich Christoph Schlosser ist ein Norddeutscher, geboren am
17. November 1776 zu Jlver, einem Städtchen in der Nähe der
Nordsee. Als Knabe schon hatte er einen Hang zur Einsamkeit. Wo
sich ein solcher zeigt, pflegt früh eine mächtige Leselust zu erwachen.
So auch bei Schlosser. Er verschlang gierig die ErbauungSschriften
für Kinder, welche die neue pädagogische Schule hervorbrachte, und
las zusammen, was er nur aus der Leihbibliothek bekommen konnte.
Aus der bloßen Leserei ward bald das Bestreben, in alle Wissen¬
schaften einzudringen. Er begnügte sich nicht mit den Brocken, die
seine Lehrer ihm gaben. Um's Fortkommen in der Welt war er nicht
besorgt, obgleich er von Haus aus -- das zwölfte Kind einer her¬
untergekommenen Familie -- wenig bemittelt war. Von Eitelkeit
und Ehrgeiz wurde er, dazu war seine Natur viel zu kräftig, auch
nicht geplagt. Er war nur bedacht, sich selbst zu bilden, seinem
Wissensdurste zu genügen, unbekümmert um den Schein des Ruhmes
und des Glanzes, dem Andere nachjagen. Darum sparte er seine'
Kräfte, die Andere zersplittern.

Seine Wünsche gingen dahin, in völliger Unabhängigkeit ohne
Gönnerschaften sich aufrecht zu halten; der Stolz seiner Mutter war
auf ihn übergegangen. Er ergriff daher das Studium der Theolo¬
gie in Göttingen, wohin er Ostern 1794 ging, um dereinst die freie
Stellung und die Muße eines Landpfarrers zu gewinnen. Nach
beendigtem akademischen Triennium lebte er lange Jahre als Hof¬
meister in verschiedenen Familien, zuletzt in Frankfurt am Main, dem
Geschäfte der Erziehung und seinen Arbeiten, die er üver alle Fächer
ausdehnte, sich ganz widmend. Die französischen Philosophen des
achtzehnten Jahrhunderts, die Kirchengeschichtschretber, die Klassiker,


schritt selbst. Erst spät dringt daher das Gute durch und gelangt
zur Anerkennung.

Indeß sängt die Presse allmälig an, ihren Berus zu erkennen.
Wir lenken jetzt auf Schlosser die Aufmerksamkeit unserer Leser.

Der Lebenslauf eines Gelehrten ist ziemlich einförmig. Sein
stilles Studirzimmer, sein Hörsaal sind die Plätze, wo er seine Kraft
entwickelt. Die Wirkungen, die er hervorbringt, fallen nicht sehr in
die Augen. Aber Samen streut er aus. In der Ernte weiß man
dann nicht mehr, von wo die Keime kamen, die aufgegangen sind.

Friedrich Christoph Schlosser ist ein Norddeutscher, geboren am
17. November 1776 zu Jlver, einem Städtchen in der Nähe der
Nordsee. Als Knabe schon hatte er einen Hang zur Einsamkeit. Wo
sich ein solcher zeigt, pflegt früh eine mächtige Leselust zu erwachen.
So auch bei Schlosser. Er verschlang gierig die ErbauungSschriften
für Kinder, welche die neue pädagogische Schule hervorbrachte, und
las zusammen, was er nur aus der Leihbibliothek bekommen konnte.
Aus der bloßen Leserei ward bald das Bestreben, in alle Wissen¬
schaften einzudringen. Er begnügte sich nicht mit den Brocken, die
seine Lehrer ihm gaben. Um's Fortkommen in der Welt war er nicht
besorgt, obgleich er von Haus aus — das zwölfte Kind einer her¬
untergekommenen Familie — wenig bemittelt war. Von Eitelkeit
und Ehrgeiz wurde er, dazu war seine Natur viel zu kräftig, auch
nicht geplagt. Er war nur bedacht, sich selbst zu bilden, seinem
Wissensdurste zu genügen, unbekümmert um den Schein des Ruhmes
und des Glanzes, dem Andere nachjagen. Darum sparte er seine'
Kräfte, die Andere zersplittern.

Seine Wünsche gingen dahin, in völliger Unabhängigkeit ohne
Gönnerschaften sich aufrecht zu halten; der Stolz seiner Mutter war
auf ihn übergegangen. Er ergriff daher das Studium der Theolo¬
gie in Göttingen, wohin er Ostern 1794 ging, um dereinst die freie
Stellung und die Muße eines Landpfarrers zu gewinnen. Nach
beendigtem akademischen Triennium lebte er lange Jahre als Hof¬
meister in verschiedenen Familien, zuletzt in Frankfurt am Main, dem
Geschäfte der Erziehung und seinen Arbeiten, die er üver alle Fächer
ausdehnte, sich ganz widmend. Die französischen Philosophen des
achtzehnten Jahrhunderts, die Kirchengeschichtschretber, die Klassiker,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/200>, abgerufen am 01.09.2024.