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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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ming von einem Dichter. Ein Poet, der seine Gedichte herausgibt,
wie man ein Examen ablegt; als Proben von der "Schule, die er
so eben als Individuum vor den Augen der Nation durchgemacht,
von seinem Ringen nach politischer Durchbildung!" (Siehe das Vor¬
wort.) Wir geboren nicht zu Denen, die es, scheinbar im Interesse
der Poesie, bedauern, daß Freiligrath'S Muse unter die politischen
Amazonen gegangen ist, während sie im Grunde nur sein Front-
machen gegen die Machthaber anstößig finden; nein, wir glauben,
daß Freiligrath, als er Diego Leon's Tod und, zur unrechten Zeit,
.fterwegh's Berliner Niederlage besang, eben auch schon politischer
Dichter war; wir haben ihm, selbst nach und trotz jener unzarten
Demonstration, so viel Herz zugetraut, um auch für die Freiheits-
ahnungcn im Gemüth der Nation einmal sein Lied zu erheben, und
wir finden in seinen Glaubensbekenntnißgedichten einige, die einen
entschiedenen poetischen Fortschritt gegen seine alte Landschafts- und
Thiermalerei bekunden, -- wir bedauern nur das Wie seines jetzi¬
gen Hervortretens. O, wo bist Du, edle Naivetät unserer alten
Freiheitösänger, Schubart, Schiller, Bürger u. s. w. die ohne Trom¬
petentusch, ohne Ausrufer, ohne Rücksicht auf Zeitungs-, Volks- oder
Fürstengerede, ihre Freiheitslieder eben so unwillkürlich dichteten, wie
ihre Apostrophen an den Mond, den Weinkrug oder die Locke ihrer
Geliebten; weil's ihnen eben vom Herzen kam, nicht weil sie ihre
Gesinnung dem Publicum documentiren wollten Diese Zeit ist aller¬
dings nicht mehr, man sieht dem Dichter jetzt über die Schulter zu,
wenn er schreibt, Vivat oder Pereat ist das Echo jeder Strophe, die
Kritik beeilt sich, ihn unter eine oder die andere Waffengattung --
leichte Kavallerie, Fußvolk oder Troß -- zu rangiren, während die
Politik des Tages darüber wacht, daß er bei der Fahne bleibt, der
sie selbst ihn zugetheilt. Dennoch würde Einer, der wahren Man-
nesgeist besitzt, freier seine Bahn gehen; es fehlt nicht, selbst in die¬
sen Tagen, an edlen Beispielen solcher Art. -- Wir dürfen nur
an Lenau erinnern. -- Ein Solcher würde, an Freiligrath's Stelle
entweder die "vielbesprochene kleine Pension" gar nicht angenommen
öder, wenn er sie annahm, darin Nichts als jene Aufmunterung ge¬
sehen haben, welche die Majestät, im Namen des Vaterlandes Kün¬
sten und Wissenschaften schuldig ist. Er hätte sich dadurch zu keiner¬
lei Rücksicht verpflichtet geglaubt und nach wie vor gesungen, wie


ming von einem Dichter. Ein Poet, der seine Gedichte herausgibt,
wie man ein Examen ablegt; als Proben von der „Schule, die er
so eben als Individuum vor den Augen der Nation durchgemacht,
von seinem Ringen nach politischer Durchbildung!" (Siehe das Vor¬
wort.) Wir geboren nicht zu Denen, die es, scheinbar im Interesse
der Poesie, bedauern, daß Freiligrath'S Muse unter die politischen
Amazonen gegangen ist, während sie im Grunde nur sein Front-
machen gegen die Machthaber anstößig finden; nein, wir glauben,
daß Freiligrath, als er Diego Leon's Tod und, zur unrechten Zeit,
.fterwegh's Berliner Niederlage besang, eben auch schon politischer
Dichter war; wir haben ihm, selbst nach und trotz jener unzarten
Demonstration, so viel Herz zugetraut, um auch für die Freiheits-
ahnungcn im Gemüth der Nation einmal sein Lied zu erheben, und
wir finden in seinen Glaubensbekenntnißgedichten einige, die einen
entschiedenen poetischen Fortschritt gegen seine alte Landschafts- und
Thiermalerei bekunden, — wir bedauern nur das Wie seines jetzi¬
gen Hervortretens. O, wo bist Du, edle Naivetät unserer alten
Freiheitösänger, Schubart, Schiller, Bürger u. s. w. die ohne Trom¬
petentusch, ohne Ausrufer, ohne Rücksicht auf Zeitungs-, Volks- oder
Fürstengerede, ihre Freiheitslieder eben so unwillkürlich dichteten, wie
ihre Apostrophen an den Mond, den Weinkrug oder die Locke ihrer
Geliebten; weil's ihnen eben vom Herzen kam, nicht weil sie ihre
Gesinnung dem Publicum documentiren wollten Diese Zeit ist aller¬
dings nicht mehr, man sieht dem Dichter jetzt über die Schulter zu,
wenn er schreibt, Vivat oder Pereat ist das Echo jeder Strophe, die
Kritik beeilt sich, ihn unter eine oder die andere Waffengattung —
leichte Kavallerie, Fußvolk oder Troß — zu rangiren, während die
Politik des Tages darüber wacht, daß er bei der Fahne bleibt, der
sie selbst ihn zugetheilt. Dennoch würde Einer, der wahren Man-
nesgeist besitzt, freier seine Bahn gehen; es fehlt nicht, selbst in die¬
sen Tagen, an edlen Beispielen solcher Art. — Wir dürfen nur
an Lenau erinnern. — Ein Solcher würde, an Freiligrath's Stelle
entweder die „vielbesprochene kleine Pension" gar nicht angenommen
öder, wenn er sie annahm, darin Nichts als jene Aufmunterung ge¬
sehen haben, welche die Majestät, im Namen des Vaterlandes Kün¬
sten und Wissenschaften schuldig ist. Er hätte sich dadurch zu keiner¬
lei Rücksicht verpflichtet geglaubt und nach wie vor gesungen, wie


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[0179] ming von einem Dichter. Ein Poet, der seine Gedichte herausgibt, wie man ein Examen ablegt; als Proben von der „Schule, die er so eben als Individuum vor den Augen der Nation durchgemacht, von seinem Ringen nach politischer Durchbildung!" (Siehe das Vor¬ wort.) Wir geboren nicht zu Denen, die es, scheinbar im Interesse der Poesie, bedauern, daß Freiligrath'S Muse unter die politischen Amazonen gegangen ist, während sie im Grunde nur sein Front- machen gegen die Machthaber anstößig finden; nein, wir glauben, daß Freiligrath, als er Diego Leon's Tod und, zur unrechten Zeit, .fterwegh's Berliner Niederlage besang, eben auch schon politischer Dichter war; wir haben ihm, selbst nach und trotz jener unzarten Demonstration, so viel Herz zugetraut, um auch für die Freiheits- ahnungcn im Gemüth der Nation einmal sein Lied zu erheben, und wir finden in seinen Glaubensbekenntnißgedichten einige, die einen entschiedenen poetischen Fortschritt gegen seine alte Landschafts- und Thiermalerei bekunden, — wir bedauern nur das Wie seines jetzi¬ gen Hervortretens. O, wo bist Du, edle Naivetät unserer alten Freiheitösänger, Schubart, Schiller, Bürger u. s. w. die ohne Trom¬ petentusch, ohne Ausrufer, ohne Rücksicht auf Zeitungs-, Volks- oder Fürstengerede, ihre Freiheitslieder eben so unwillkürlich dichteten, wie ihre Apostrophen an den Mond, den Weinkrug oder die Locke ihrer Geliebten; weil's ihnen eben vom Herzen kam, nicht weil sie ihre Gesinnung dem Publicum documentiren wollten Diese Zeit ist aller¬ dings nicht mehr, man sieht dem Dichter jetzt über die Schulter zu, wenn er schreibt, Vivat oder Pereat ist das Echo jeder Strophe, die Kritik beeilt sich, ihn unter eine oder die andere Waffengattung — leichte Kavallerie, Fußvolk oder Troß — zu rangiren, während die Politik des Tages darüber wacht, daß er bei der Fahne bleibt, der sie selbst ihn zugetheilt. Dennoch würde Einer, der wahren Man- nesgeist besitzt, freier seine Bahn gehen; es fehlt nicht, selbst in die¬ sen Tagen, an edlen Beispielen solcher Art. — Wir dürfen nur an Lenau erinnern. — Ein Solcher würde, an Freiligrath's Stelle entweder die „vielbesprochene kleine Pension" gar nicht angenommen öder, wenn er sie annahm, darin Nichts als jene Aufmunterung ge¬ sehen haben, welche die Majestät, im Namen des Vaterlandes Kün¬ sten und Wissenschaften schuldig ist. Er hätte sich dadurch zu keiner¬ lei Rücksicht verpflichtet geglaubt und nach wie vor gesungen, wie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/179>, abgerufen am 01.09.2024.