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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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Partien Nichts als Druck und Zwang gebracht. Wir haben uns
scheinbar vom Feudalismus befreit, der Feudaladel ist zu Grunde
gegangen, aber die feudale Gesellschaft ist geblieben, die Pyramide
drückt noch immer von oben nach unten. Es ist unrecht, wie die
abstracten Politiker thun, dem Staat alle Schuld beizumessen; der
Staat ist nur ein Glied in der ganzen, großen Entwickelung, er ist
nur Eine Seite der ganzen Pyramide. Die Industrie und die Con-
currenz haben sich das Verdienst erworben, über die Einseitigkeit der
abstracten Politik aufzuklären und uns aus Illusionen und Träumen
auf die nackte Wirklichkeit zu verweisen. Man beginnt jetzt, die
Menschenrechte auch der Masse anzuerkennen. Wer so denkt, auf den
wird die Berliner GeWerbeausstellung noch einen besonderen Eindruck
machen. Seht die geputzten und gezierten Frauen durch die Räume
des Zeughauses wandeln; seidene Kleider rauschen, Wohlgerüche duf¬
ten, goldene Ketten glänzen, -- die, welche die deutsche Industrie zu
Tage fördern, diese stehen draußen, ihnen ist der Eintritt versagt,
denn ihnen fehlen die fünf Silbergroschen. Es ist mir nicht unbe¬
kannt und es ist anzuerkennen, daß die Direction der GeWerbeaus¬
stellung zahlreiche Billets an Fabrikherren in. ausgetheilt hat, um
Arbeitern den Eintritt zu ermöglichen, aber hängt dies nicht unmit¬
telbar mit jener alten Theorie zusammen, welche dem Volke sein Recht
nur als Gnade mittheilen will? Ich habe mich gewundert, in der
Berliner Korrespondenz einer rheinischen Zeitung, welche sonst ein
offenes Auge für unsere socialen Zustände hat, diese Gnade hoch
preisen zu hören. Bei der Pariser Ausstellung ist man bereits wei¬
ter gegangen. In der einen Hälfte des Tages ist jedem der Zutritt
zur Industrieausstellung unentgeldlich gestattet.

Man hat alles Mögliche gethan, die imposanten, die glänzen¬
den Seiten der Industrie hervorzuheben, die Ausstellung zu einer
angenehmen Unterhaltung für die sogenannten gebildeten Classen zu
machen, und wenn hie und da ein begnadeter Proletarier umherstreift,
so überwältigt ihn die Pracht, er vergißt sein Elend, er vergißt das
Elend seiner ganzen Classe, er bewundert, er betet den Gott an, der
ihn gestürzt hat. Nur der wahrhafte Menschenfreund soll sich nicht
durch den äußeren Glanz täuschen lassen, er soll sehen, was absicht¬
lich verborgen ist, er soll sagen und entdecken, was man vergessen möchte.


Grcuzlwt-n. >"4i. II. ^

Partien Nichts als Druck und Zwang gebracht. Wir haben uns
scheinbar vom Feudalismus befreit, der Feudaladel ist zu Grunde
gegangen, aber die feudale Gesellschaft ist geblieben, die Pyramide
drückt noch immer von oben nach unten. Es ist unrecht, wie die
abstracten Politiker thun, dem Staat alle Schuld beizumessen; der
Staat ist nur ein Glied in der ganzen, großen Entwickelung, er ist
nur Eine Seite der ganzen Pyramide. Die Industrie und die Con-
currenz haben sich das Verdienst erworben, über die Einseitigkeit der
abstracten Politik aufzuklären und uns aus Illusionen und Träumen
auf die nackte Wirklichkeit zu verweisen. Man beginnt jetzt, die
Menschenrechte auch der Masse anzuerkennen. Wer so denkt, auf den
wird die Berliner GeWerbeausstellung noch einen besonderen Eindruck
machen. Seht die geputzten und gezierten Frauen durch die Räume
des Zeughauses wandeln; seidene Kleider rauschen, Wohlgerüche duf¬
ten, goldene Ketten glänzen, — die, welche die deutsche Industrie zu
Tage fördern, diese stehen draußen, ihnen ist der Eintritt versagt,
denn ihnen fehlen die fünf Silbergroschen. Es ist mir nicht unbe¬
kannt und es ist anzuerkennen, daß die Direction der GeWerbeaus¬
stellung zahlreiche Billets an Fabrikherren in. ausgetheilt hat, um
Arbeitern den Eintritt zu ermöglichen, aber hängt dies nicht unmit¬
telbar mit jener alten Theorie zusammen, welche dem Volke sein Recht
nur als Gnade mittheilen will? Ich habe mich gewundert, in der
Berliner Korrespondenz einer rheinischen Zeitung, welche sonst ein
offenes Auge für unsere socialen Zustände hat, diese Gnade hoch
preisen zu hören. Bei der Pariser Ausstellung ist man bereits wei¬
ter gegangen. In der einen Hälfte des Tages ist jedem der Zutritt
zur Industrieausstellung unentgeldlich gestattet.

Man hat alles Mögliche gethan, die imposanten, die glänzen¬
den Seiten der Industrie hervorzuheben, die Ausstellung zu einer
angenehmen Unterhaltung für die sogenannten gebildeten Classen zu
machen, und wenn hie und da ein begnadeter Proletarier umherstreift,
so überwältigt ihn die Pracht, er vergißt sein Elend, er vergißt das
Elend seiner ganzen Classe, er bewundert, er betet den Gott an, der
ihn gestürzt hat. Nur der wahrhafte Menschenfreund soll sich nicht
durch den äußeren Glanz täuschen lassen, er soll sehen, was absicht¬
lich verborgen ist, er soll sagen und entdecken, was man vergessen möchte.


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[0173] Partien Nichts als Druck und Zwang gebracht. Wir haben uns scheinbar vom Feudalismus befreit, der Feudaladel ist zu Grunde gegangen, aber die feudale Gesellschaft ist geblieben, die Pyramide drückt noch immer von oben nach unten. Es ist unrecht, wie die abstracten Politiker thun, dem Staat alle Schuld beizumessen; der Staat ist nur ein Glied in der ganzen, großen Entwickelung, er ist nur Eine Seite der ganzen Pyramide. Die Industrie und die Con- currenz haben sich das Verdienst erworben, über die Einseitigkeit der abstracten Politik aufzuklären und uns aus Illusionen und Träumen auf die nackte Wirklichkeit zu verweisen. Man beginnt jetzt, die Menschenrechte auch der Masse anzuerkennen. Wer so denkt, auf den wird die Berliner GeWerbeausstellung noch einen besonderen Eindruck machen. Seht die geputzten und gezierten Frauen durch die Räume des Zeughauses wandeln; seidene Kleider rauschen, Wohlgerüche duf¬ ten, goldene Ketten glänzen, — die, welche die deutsche Industrie zu Tage fördern, diese stehen draußen, ihnen ist der Eintritt versagt, denn ihnen fehlen die fünf Silbergroschen. Es ist mir nicht unbe¬ kannt und es ist anzuerkennen, daß die Direction der GeWerbeaus¬ stellung zahlreiche Billets an Fabrikherren in. ausgetheilt hat, um Arbeitern den Eintritt zu ermöglichen, aber hängt dies nicht unmit¬ telbar mit jener alten Theorie zusammen, welche dem Volke sein Recht nur als Gnade mittheilen will? Ich habe mich gewundert, in der Berliner Korrespondenz einer rheinischen Zeitung, welche sonst ein offenes Auge für unsere socialen Zustände hat, diese Gnade hoch preisen zu hören. Bei der Pariser Ausstellung ist man bereits wei¬ ter gegangen. In der einen Hälfte des Tages ist jedem der Zutritt zur Industrieausstellung unentgeldlich gestattet. Man hat alles Mögliche gethan, die imposanten, die glänzen¬ den Seiten der Industrie hervorzuheben, die Ausstellung zu einer angenehmen Unterhaltung für die sogenannten gebildeten Classen zu machen, und wenn hie und da ein begnadeter Proletarier umherstreift, so überwältigt ihn die Pracht, er vergißt sein Elend, er vergißt das Elend seiner ganzen Classe, er bewundert, er betet den Gott an, der ihn gestürzt hat. Nur der wahrhafte Menschenfreund soll sich nicht durch den äußeren Glanz täuschen lassen, er soll sehen, was absicht¬ lich verborgen ist, er soll sagen und entdecken, was man vergessen möchte. Grcuzlwt-n. >»4i. II. ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/173>, abgerufen am 01.09.2024.