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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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Gluthköpfe brauen; aber eben so unheimlich und zwietrachtschürend,
als sie burlesk und chimärisch erscheinen. Ja, ergeben wir uns in
das Unvermeidliche! Die fabelhaste Herrlichkeit des Altslaventhums
wird wieder erstehen, und der Wyssehrad wird seine alten Thürme,
die bauchigen, asiatisch geschnörkelten, goldgleißenden, kremlartigen
Thürme wieder zu den Wolken heben! Kann man mehr verlangen?
Die Russen -- unsere Brüder! -- werden sich bis dahin so weit
gebildet haben, daß sie uns schon manierlicher behandeln werden.

Vielleicht treiben sie den Hohn gar so weit, daß wir unsere
Landstände behalten dürfen. Denn wir haben Landstände und auch
alljährlich einen oder zwei solenne Landtage, von denen das Land so
wenig erfährt, als gingen sie viele tausend Meilen von da in irgend
einem Winkel der Pescherähs vor. Sonst gab es wenigstens einigen
Spektakel dabei, und man sah durch ein Thor den Landtagspräsi¬
denten einziehen, sechs Bediente mit bepuderten Kopfe gingen vor¬
weg und sechs hinterdrein und zwölf zu beiden Seiten, und alle
hatten sich die Stiefel mit Staub eingerieben, damit es aussehe, als
wären sie weit vom Lande herbeigekommen. Drinnen aber im Wa-'
gen saß ein dicker, gutmüthiger Herr in rother Uniform und weißen
Hosen, der ertrug geduldig den Fastnachtsspuk, zu dem die Straßen¬
jungen Hallelujah schrieen. Heutzutage hat das Alles aufgehört, und
die Landtage gehen von Außen ganz still vor sich, desto lauter aber
geht eS im Innern zu. Man muß es ihnen zur Ehre nachsagen,
den Herren vom Adel, sie bemühen sich, von der bürgerlichen
Welt etwas liberalen Sinn zu lernen und darnach zu handeln. Be¬
reits haben manche Anträge der Grafen Devin, Boucquoi, F. Thun
u. s. w. Sensation erregt. So thaten sie zweimal den Vorschlag,
die verderbliche kleine Lotterie, diesen Krebsschaden des Staatsmono¬
polismus, aufzuheben; beide Mal sind sie abgewiesen worden. Sie
gehen damit um, den Bürgerstand, der durch vier Städte vertreten
wird -- das Land hat deren zweihundert sechsundfünfzig; daß es
einen Bauernstand gibt, weiß man gar nicht; diesen betrachtet man
immer als unterliegenden Theil -- zu erweitern, und überhaupt
den Ständen größeren Spielraum zu verschaffen. Eben so haben
sie gegen die Anstellung des böhmischen Gubernialpräsidenten Gra¬
fen Robert Salm als Oberstburggrafen protestirt, da er kein in Böh¬
men begüterter Adeliger ist, und statt dessen einen Oberstburggrafen


Gluthköpfe brauen; aber eben so unheimlich und zwietrachtschürend,
als sie burlesk und chimärisch erscheinen. Ja, ergeben wir uns in
das Unvermeidliche! Die fabelhaste Herrlichkeit des Altslaventhums
wird wieder erstehen, und der Wyssehrad wird seine alten Thürme,
die bauchigen, asiatisch geschnörkelten, goldgleißenden, kremlartigen
Thürme wieder zu den Wolken heben! Kann man mehr verlangen?
Die Russen — unsere Brüder! — werden sich bis dahin so weit
gebildet haben, daß sie uns schon manierlicher behandeln werden.

Vielleicht treiben sie den Hohn gar so weit, daß wir unsere
Landstände behalten dürfen. Denn wir haben Landstände und auch
alljährlich einen oder zwei solenne Landtage, von denen das Land so
wenig erfährt, als gingen sie viele tausend Meilen von da in irgend
einem Winkel der Pescherähs vor. Sonst gab es wenigstens einigen
Spektakel dabei, und man sah durch ein Thor den Landtagspräsi¬
denten einziehen, sechs Bediente mit bepuderten Kopfe gingen vor¬
weg und sechs hinterdrein und zwölf zu beiden Seiten, und alle
hatten sich die Stiefel mit Staub eingerieben, damit es aussehe, als
wären sie weit vom Lande herbeigekommen. Drinnen aber im Wa-'
gen saß ein dicker, gutmüthiger Herr in rother Uniform und weißen
Hosen, der ertrug geduldig den Fastnachtsspuk, zu dem die Straßen¬
jungen Hallelujah schrieen. Heutzutage hat das Alles aufgehört, und
die Landtage gehen von Außen ganz still vor sich, desto lauter aber
geht eS im Innern zu. Man muß es ihnen zur Ehre nachsagen,
den Herren vom Adel, sie bemühen sich, von der bürgerlichen
Welt etwas liberalen Sinn zu lernen und darnach zu handeln. Be¬
reits haben manche Anträge der Grafen Devin, Boucquoi, F. Thun
u. s. w. Sensation erregt. So thaten sie zweimal den Vorschlag,
die verderbliche kleine Lotterie, diesen Krebsschaden des Staatsmono¬
polismus, aufzuheben; beide Mal sind sie abgewiesen worden. Sie
gehen damit um, den Bürgerstand, der durch vier Städte vertreten
wird — das Land hat deren zweihundert sechsundfünfzig; daß es
einen Bauernstand gibt, weiß man gar nicht; diesen betrachtet man
immer als unterliegenden Theil — zu erweitern, und überhaupt
den Ständen größeren Spielraum zu verschaffen. Eben so haben
sie gegen die Anstellung des böhmischen Gubernialpräsidenten Gra¬
fen Robert Salm als Oberstburggrafen protestirt, da er kein in Böh¬
men begüterter Adeliger ist, und statt dessen einen Oberstburggrafen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/158>, abgerufen am 01.09.2024.