Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Präsidenten der nach wie vor gemeinsamen Schleswig-Holsteinischen
Regierung einen Grafen Neventlov, von dem man eben nicht viel
mehr weiß, als daß er als Prälat eines adeligen Fräuleinstiftes in
der schleswigschen Ständeversammlung eine Virilstimme hatte und
unter andern als warmer Vertheidiger der mittelalterlichen Jagdgerecht¬
same auftrat, und daß sein Bruder der Verfasser verschiedener mittel¬
mäßiger Gedichte ist. --

In unserer Stadt, bekanntlich der Brennpunkt der geistigen In¬
teressen der Herzogthümer, herrschte auch in diesem Sommer ein recht
reges Treiben. Namentlich sind die Neuen Kieler Blätter seit
der Redaction des Lorenzen der Tummelplatz mancher interes¬
santen Debatte geworden, wie z. B. noch kürzlich zwischen Hege-
wisch und Heiberg über das Zweikammersystem, das ersterer, ein
unbedingter Anhänger nicht blos der englischen Verfassung, sondern
aller englischen Zustände, vertheidigt. Das Kieler Correspondenz-
blatt, das sich neuerdings viel mit unseren Militärangelegenheiten
beschäftigt hat, verharrt in seiner Neuholsteinischen Tendenz und
findet daher nicht überall Anklang. norddeutsche Blätter sollen, wie
man gewiß vernimmt, bei dem rührigen Verleger Christian Bün-
sow Hierselbst erscheinen, sie werden von Berlin aus redigirt, und
Meyen, Nauwerk, die beiden Bauer und Andere Mitarbeiter werden.
Möge das Vertrauen, das man bei diesem Unternehmen auf die Milde
unserer Censur setzt, nicht betrogen werden. Das vor Kurzem erlas¬
sene königliche Patent, in welchem der Bundesbeschluß wegen der
Censur von auswärts gedruckten Flugschriften unter zwanzig Bogen
u. s. w. auf's Neue eingeschärft ward, und das Verbot eines von
den hiesigen Studirenden intendirten Lesevcreins, ferner auch das Un¬
tersagen der angekündigten Vorlesungen Lorenzen's, lassen es deutlich
merken, daß unsere derartigen Zustände nicht blos particulären Ein¬
flüssen unterworfen sind, und daß unser König-Herzog, der sich be¬
kanntlich bei seiner Thronbesteigung selbst "den wärmsten Freund der
freien Presse" nannte, hierin nicht seinen eigenen Neigungen allein
folgt. -- Unserer Universität steht wieder ein bedeutender Verlust be¬
vor, da der Professor Burhardi, einer der ersten Romanisten Deutsch¬
lands, zum Rath beim hiesigen Oberappcllationsgericht designirt ist.
Es gibt wohl kaum eine kleine Universität in Deutschland, die so viele
bedeutende Namen unter ihren Lehrern zu allen Zeiten aufzuführen
gehabt hat, wie unser Kiel, aber leider bleiben die Berühmtheiten nur
kurze Zeit und folgen dann gern dem Rufe in einen größeren Wir¬
kungskreis; Männer, wie Thibaut, Feuerbach, Welker, Dahl-
mann, TWesten haben uns angehört, und erst in neuester Zeit
verloren wir wieder Kjerulf nach Rostock, Hansen und Günther
nach Leipzig, Michelsen nach Jena, Dorn er nach Königsberg,
Jahr nach Greifswald, Osenbrüggen nach Dorpat. Warum das


Präsidenten der nach wie vor gemeinsamen Schleswig-Holsteinischen
Regierung einen Grafen Neventlov, von dem man eben nicht viel
mehr weiß, als daß er als Prälat eines adeligen Fräuleinstiftes in
der schleswigschen Ständeversammlung eine Virilstimme hatte und
unter andern als warmer Vertheidiger der mittelalterlichen Jagdgerecht¬
same auftrat, und daß sein Bruder der Verfasser verschiedener mittel¬
mäßiger Gedichte ist. —

In unserer Stadt, bekanntlich der Brennpunkt der geistigen In¬
teressen der Herzogthümer, herrschte auch in diesem Sommer ein recht
reges Treiben. Namentlich sind die Neuen Kieler Blätter seit
der Redaction des Lorenzen der Tummelplatz mancher interes¬
santen Debatte geworden, wie z. B. noch kürzlich zwischen Hege-
wisch und Heiberg über das Zweikammersystem, das ersterer, ein
unbedingter Anhänger nicht blos der englischen Verfassung, sondern
aller englischen Zustände, vertheidigt. Das Kieler Correspondenz-
blatt, das sich neuerdings viel mit unseren Militärangelegenheiten
beschäftigt hat, verharrt in seiner Neuholsteinischen Tendenz und
findet daher nicht überall Anklang. norddeutsche Blätter sollen, wie
man gewiß vernimmt, bei dem rührigen Verleger Christian Bün-
sow Hierselbst erscheinen, sie werden von Berlin aus redigirt, und
Meyen, Nauwerk, die beiden Bauer und Andere Mitarbeiter werden.
Möge das Vertrauen, das man bei diesem Unternehmen auf die Milde
unserer Censur setzt, nicht betrogen werden. Das vor Kurzem erlas¬
sene königliche Patent, in welchem der Bundesbeschluß wegen der
Censur von auswärts gedruckten Flugschriften unter zwanzig Bogen
u. s. w. auf's Neue eingeschärft ward, und das Verbot eines von
den hiesigen Studirenden intendirten Lesevcreins, ferner auch das Un¬
tersagen der angekündigten Vorlesungen Lorenzen's, lassen es deutlich
merken, daß unsere derartigen Zustände nicht blos particulären Ein¬
flüssen unterworfen sind, und daß unser König-Herzog, der sich be¬
kanntlich bei seiner Thronbesteigung selbst „den wärmsten Freund der
freien Presse" nannte, hierin nicht seinen eigenen Neigungen allein
folgt. — Unserer Universität steht wieder ein bedeutender Verlust be¬
vor, da der Professor Burhardi, einer der ersten Romanisten Deutsch¬
lands, zum Rath beim hiesigen Oberappcllationsgericht designirt ist.
Es gibt wohl kaum eine kleine Universität in Deutschland, die so viele
bedeutende Namen unter ihren Lehrern zu allen Zeiten aufzuführen
gehabt hat, wie unser Kiel, aber leider bleiben die Berühmtheiten nur
kurze Zeit und folgen dann gern dem Rufe in einen größeren Wir¬
kungskreis; Männer, wie Thibaut, Feuerbach, Welker, Dahl-
mann, TWesten haben uns angehört, und erst in neuester Zeit
verloren wir wieder Kjerulf nach Rostock, Hansen und Günther
nach Leipzig, Michelsen nach Jena, Dorn er nach Königsberg,
Jahr nach Greifswald, Osenbrüggen nach Dorpat. Warum das


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0145" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/181329"/>
            <p xml:id="ID_447" prev="#ID_446"> Präsidenten der nach wie vor gemeinsamen Schleswig-Holsteinischen<lb/>
Regierung einen Grafen Neventlov, von dem man eben nicht viel<lb/>
mehr weiß, als daß er als Prälat eines adeligen Fräuleinstiftes in<lb/>
der schleswigschen Ständeversammlung eine Virilstimme hatte und<lb/>
unter andern als warmer Vertheidiger der mittelalterlichen Jagdgerecht¬<lb/>
same auftrat, und daß sein Bruder der Verfasser verschiedener mittel¬<lb/>
mäßiger Gedichte ist. &#x2014;</p><lb/>
            <p xml:id="ID_448" next="#ID_449"> In unserer Stadt, bekanntlich der Brennpunkt der geistigen In¬<lb/>
teressen der Herzogthümer, herrschte auch in diesem Sommer ein recht<lb/>
reges Treiben. Namentlich sind die Neuen Kieler Blätter seit<lb/>
der Redaction des Lorenzen der Tummelplatz mancher interes¬<lb/>
santen Debatte geworden, wie z. B. noch kürzlich zwischen Hege-<lb/>
wisch und Heiberg über das Zweikammersystem, das ersterer, ein<lb/>
unbedingter Anhänger nicht blos der englischen Verfassung, sondern<lb/>
aller englischen Zustände, vertheidigt. Das Kieler Correspondenz-<lb/>
blatt, das sich neuerdings viel mit unseren Militärangelegenheiten<lb/>
beschäftigt hat, verharrt in seiner Neuholsteinischen Tendenz und<lb/>
findet daher nicht überall Anklang. norddeutsche Blätter sollen, wie<lb/>
man gewiß vernimmt, bei dem rührigen Verleger Christian Bün-<lb/>
sow Hierselbst erscheinen, sie werden von Berlin aus redigirt, und<lb/>
Meyen, Nauwerk, die beiden Bauer und Andere Mitarbeiter werden.<lb/>
Möge das Vertrauen, das man bei diesem Unternehmen auf die Milde<lb/>
unserer Censur setzt, nicht betrogen werden. Das vor Kurzem erlas¬<lb/>
sene königliche Patent, in welchem der Bundesbeschluß wegen der<lb/>
Censur von auswärts gedruckten Flugschriften unter zwanzig Bogen<lb/>
u. s. w. auf's Neue eingeschärft ward, und das Verbot eines von<lb/>
den hiesigen Studirenden intendirten Lesevcreins, ferner auch das Un¬<lb/>
tersagen der angekündigten Vorlesungen Lorenzen's, lassen es deutlich<lb/>
merken, daß unsere derartigen Zustände nicht blos particulären Ein¬<lb/>
flüssen unterworfen sind, und daß unser König-Herzog, der sich be¬<lb/>
kanntlich bei seiner Thronbesteigung selbst &#x201E;den wärmsten Freund der<lb/>
freien Presse" nannte, hierin nicht seinen eigenen Neigungen allein<lb/>
folgt. &#x2014; Unserer Universität steht wieder ein bedeutender Verlust be¬<lb/>
vor, da der Professor Burhardi, einer der ersten Romanisten Deutsch¬<lb/>
lands, zum Rath beim hiesigen Oberappcllationsgericht designirt ist.<lb/>
Es gibt wohl kaum eine kleine Universität in Deutschland, die so viele<lb/>
bedeutende Namen unter ihren Lehrern zu allen Zeiten aufzuführen<lb/>
gehabt hat, wie unser Kiel, aber leider bleiben die Berühmtheiten nur<lb/>
kurze Zeit und folgen dann gern dem Rufe in einen größeren Wir¬<lb/>
kungskreis; Männer, wie Thibaut, Feuerbach, Welker, Dahl-<lb/>
mann, TWesten haben uns angehört, und erst in neuester Zeit<lb/>
verloren wir wieder Kjerulf nach Rostock, Hansen und Günther<lb/>
nach Leipzig, Michelsen nach Jena, Dorn er nach Königsberg,<lb/>
Jahr nach Greifswald, Osenbrüggen nach Dorpat.  Warum das</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0145] Präsidenten der nach wie vor gemeinsamen Schleswig-Holsteinischen Regierung einen Grafen Neventlov, von dem man eben nicht viel mehr weiß, als daß er als Prälat eines adeligen Fräuleinstiftes in der schleswigschen Ständeversammlung eine Virilstimme hatte und unter andern als warmer Vertheidiger der mittelalterlichen Jagdgerecht¬ same auftrat, und daß sein Bruder der Verfasser verschiedener mittel¬ mäßiger Gedichte ist. — In unserer Stadt, bekanntlich der Brennpunkt der geistigen In¬ teressen der Herzogthümer, herrschte auch in diesem Sommer ein recht reges Treiben. Namentlich sind die Neuen Kieler Blätter seit der Redaction des Lorenzen der Tummelplatz mancher interes¬ santen Debatte geworden, wie z. B. noch kürzlich zwischen Hege- wisch und Heiberg über das Zweikammersystem, das ersterer, ein unbedingter Anhänger nicht blos der englischen Verfassung, sondern aller englischen Zustände, vertheidigt. Das Kieler Correspondenz- blatt, das sich neuerdings viel mit unseren Militärangelegenheiten beschäftigt hat, verharrt in seiner Neuholsteinischen Tendenz und findet daher nicht überall Anklang. norddeutsche Blätter sollen, wie man gewiß vernimmt, bei dem rührigen Verleger Christian Bün- sow Hierselbst erscheinen, sie werden von Berlin aus redigirt, und Meyen, Nauwerk, die beiden Bauer und Andere Mitarbeiter werden. Möge das Vertrauen, das man bei diesem Unternehmen auf die Milde unserer Censur setzt, nicht betrogen werden. Das vor Kurzem erlas¬ sene königliche Patent, in welchem der Bundesbeschluß wegen der Censur von auswärts gedruckten Flugschriften unter zwanzig Bogen u. s. w. auf's Neue eingeschärft ward, und das Verbot eines von den hiesigen Studirenden intendirten Lesevcreins, ferner auch das Un¬ tersagen der angekündigten Vorlesungen Lorenzen's, lassen es deutlich merken, daß unsere derartigen Zustände nicht blos particulären Ein¬ flüssen unterworfen sind, und daß unser König-Herzog, der sich be¬ kanntlich bei seiner Thronbesteigung selbst „den wärmsten Freund der freien Presse" nannte, hierin nicht seinen eigenen Neigungen allein folgt. — Unserer Universität steht wieder ein bedeutender Verlust be¬ vor, da der Professor Burhardi, einer der ersten Romanisten Deutsch¬ lands, zum Rath beim hiesigen Oberappcllationsgericht designirt ist. Es gibt wohl kaum eine kleine Universität in Deutschland, die so viele bedeutende Namen unter ihren Lehrern zu allen Zeiten aufzuführen gehabt hat, wie unser Kiel, aber leider bleiben die Berühmtheiten nur kurze Zeit und folgen dann gern dem Rufe in einen größeren Wir¬ kungskreis; Männer, wie Thibaut, Feuerbach, Welker, Dahl- mann, TWesten haben uns angehört, und erst in neuester Zeit verloren wir wieder Kjerulf nach Rostock, Hansen und Günther nach Leipzig, Michelsen nach Jena, Dorn er nach Königsberg, Jahr nach Greifswald, Osenbrüggen nach Dorpat. Warum das

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/145
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/145>, abgerufen am 01.09.2024.