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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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phaneS und den gestiefelten Kater betrifft, so sind sie nicht vor das
große Publicum gekommen, Aristophanes auch blos zu einer Vorle¬
sung mit Musik. Dabei wollen wir es bewenden lassen. Oben habe
ich aber zugleich den Tartüffe des Moliere angeführt, der, wie es
scheint, durch Döring wieder auf die Bühne gebracht worden ist. Ich
rechne diesen Versuch, der von der Berliner Kritik, auch der minder
gefälligen, günstig und um so günstiger aufgenommen worden ist, als
man in dem Thema des Stückes ein Zeitthema sah, nur darum hier¬
her, weil es sich doch eben auch um ein Altes und Fremdes han¬
delte, und weil überdies die Sache sehr unglücklich ausgefallen ist.
Die Aufführung war matt und platt, die Alexandriner gingen wie
die Dogmien in den griechischen Chören, die Halbzeilen stießen ein¬
ander ab, als hätten sie verschiedene Elektricität, die Reime wurden
entweder hingepflanzt, als sollten sie einer Ewigkeit trotzen, oder sie
lagen verschüttet unter den Trümmern des Metrums, das Ganze er¬
schien abgestanden und schal, die spanischen Fliegen hatten ihre Kraft
verloren, kurz der Versuch gehört auch nach Byzanz. --

Fragen wir nach einem Resultat jener Bestrebungen der jungen
Literatur, so wie ihres Kampfes mit den Berliner Reactionären, so
ist es dies, daß die Bühne in der That die auf sie geltend gemach¬
ten Ansprüche und Rechte erkannt hat, theils indem sie mehrere der
neuen Stücke annahm und zur Ausführung brachte, theils und noch
mehr indem sie die Tantieme bewilligte. Weiter freilich ist noch
Nichts erreicht. Vielmehr verhalten sich trotzdem die Directionen
noch immer mißtrauisch und lässig, nirgends verrathen sie Schwung,
Leben und eine wahrhaft rege, selbst zu Opfern bereitwillige Thätig¬
keit; das große Publicum ist kaum bis zu einer gewissen Neugierde
gelangt; die Kritik erscheint, wie immer, vielgespalten, oft ungeschickt
und tactlos. Freilich ist unter den bisher erschienenen Stücken kei¬
nes, das auf höhere und bleibende Bedeutung Ansprüche machen
könnte, die Resultate der einzelnen Aufführungen waren meist zwei¬
felhaft, oft entschieden unglücklich. Die Bestrebungen tragen eben
das Gepräge von Anfängen und Versuchen, man tappt nach Stoffen
umher wie nach Formen. An Material freilich, sollte man meinen,
könnte es nicht fehlen; selbst wenn den Autoren die Gabe der Erfin¬
dung mangelte, so böten ja Sage, Geschichte, Chronik u. s. w. un¬
erschöpfliche Fundgruben. Es ist aber die alte Klage, die schon


phaneS und den gestiefelten Kater betrifft, so sind sie nicht vor das
große Publicum gekommen, Aristophanes auch blos zu einer Vorle¬
sung mit Musik. Dabei wollen wir es bewenden lassen. Oben habe
ich aber zugleich den Tartüffe des Moliere angeführt, der, wie es
scheint, durch Döring wieder auf die Bühne gebracht worden ist. Ich
rechne diesen Versuch, der von der Berliner Kritik, auch der minder
gefälligen, günstig und um so günstiger aufgenommen worden ist, als
man in dem Thema des Stückes ein Zeitthema sah, nur darum hier¬
her, weil es sich doch eben auch um ein Altes und Fremdes han¬
delte, und weil überdies die Sache sehr unglücklich ausgefallen ist.
Die Aufführung war matt und platt, die Alexandriner gingen wie
die Dogmien in den griechischen Chören, die Halbzeilen stießen ein¬
ander ab, als hätten sie verschiedene Elektricität, die Reime wurden
entweder hingepflanzt, als sollten sie einer Ewigkeit trotzen, oder sie
lagen verschüttet unter den Trümmern des Metrums, das Ganze er¬
schien abgestanden und schal, die spanischen Fliegen hatten ihre Kraft
verloren, kurz der Versuch gehört auch nach Byzanz. —

Fragen wir nach einem Resultat jener Bestrebungen der jungen
Literatur, so wie ihres Kampfes mit den Berliner Reactionären, so
ist es dies, daß die Bühne in der That die auf sie geltend gemach¬
ten Ansprüche und Rechte erkannt hat, theils indem sie mehrere der
neuen Stücke annahm und zur Ausführung brachte, theils und noch
mehr indem sie die Tantieme bewilligte. Weiter freilich ist noch
Nichts erreicht. Vielmehr verhalten sich trotzdem die Directionen
noch immer mißtrauisch und lässig, nirgends verrathen sie Schwung,
Leben und eine wahrhaft rege, selbst zu Opfern bereitwillige Thätig¬
keit; das große Publicum ist kaum bis zu einer gewissen Neugierde
gelangt; die Kritik erscheint, wie immer, vielgespalten, oft ungeschickt
und tactlos. Freilich ist unter den bisher erschienenen Stücken kei¬
nes, das auf höhere und bleibende Bedeutung Ansprüche machen
könnte, die Resultate der einzelnen Aufführungen waren meist zwei¬
felhaft, oft entschieden unglücklich. Die Bestrebungen tragen eben
das Gepräge von Anfängen und Versuchen, man tappt nach Stoffen
umher wie nach Formen. An Material freilich, sollte man meinen,
könnte es nicht fehlen; selbst wenn den Autoren die Gabe der Erfin¬
dung mangelte, so böten ja Sage, Geschichte, Chronik u. s. w. un¬
erschöpfliche Fundgruben. Es ist aber die alte Klage, die schon


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[0014] phaneS und den gestiefelten Kater betrifft, so sind sie nicht vor das große Publicum gekommen, Aristophanes auch blos zu einer Vorle¬ sung mit Musik. Dabei wollen wir es bewenden lassen. Oben habe ich aber zugleich den Tartüffe des Moliere angeführt, der, wie es scheint, durch Döring wieder auf die Bühne gebracht worden ist. Ich rechne diesen Versuch, der von der Berliner Kritik, auch der minder gefälligen, günstig und um so günstiger aufgenommen worden ist, als man in dem Thema des Stückes ein Zeitthema sah, nur darum hier¬ her, weil es sich doch eben auch um ein Altes und Fremdes han¬ delte, und weil überdies die Sache sehr unglücklich ausgefallen ist. Die Aufführung war matt und platt, die Alexandriner gingen wie die Dogmien in den griechischen Chören, die Halbzeilen stießen ein¬ ander ab, als hätten sie verschiedene Elektricität, die Reime wurden entweder hingepflanzt, als sollten sie einer Ewigkeit trotzen, oder sie lagen verschüttet unter den Trümmern des Metrums, das Ganze er¬ schien abgestanden und schal, die spanischen Fliegen hatten ihre Kraft verloren, kurz der Versuch gehört auch nach Byzanz. — Fragen wir nach einem Resultat jener Bestrebungen der jungen Literatur, so wie ihres Kampfes mit den Berliner Reactionären, so ist es dies, daß die Bühne in der That die auf sie geltend gemach¬ ten Ansprüche und Rechte erkannt hat, theils indem sie mehrere der neuen Stücke annahm und zur Ausführung brachte, theils und noch mehr indem sie die Tantieme bewilligte. Weiter freilich ist noch Nichts erreicht. Vielmehr verhalten sich trotzdem die Directionen noch immer mißtrauisch und lässig, nirgends verrathen sie Schwung, Leben und eine wahrhaft rege, selbst zu Opfern bereitwillige Thätig¬ keit; das große Publicum ist kaum bis zu einer gewissen Neugierde gelangt; die Kritik erscheint, wie immer, vielgespalten, oft ungeschickt und tactlos. Freilich ist unter den bisher erschienenen Stücken kei¬ nes, das auf höhere und bleibende Bedeutung Ansprüche machen könnte, die Resultate der einzelnen Aufführungen waren meist zwei¬ felhaft, oft entschieden unglücklich. Die Bestrebungen tragen eben das Gepräge von Anfängen und Versuchen, man tappt nach Stoffen umher wie nach Formen. An Material freilich, sollte man meinen, könnte es nicht fehlen; selbst wenn den Autoren die Gabe der Erfin¬ dung mangelte, so böten ja Sage, Geschichte, Chronik u. s. w. un¬ erschöpfliche Fundgruben. Es ist aber die alte Klage, die schon

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/14>, abgerufen am 01.09.2024.