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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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ter Dir, wo Du bist, und ruft: Schwöre! d. h. zu meiner Fahne.
-- Inzwischen kam der Sommernachtstraum auch in Leipzig zum
Vorschein, und Laube berichtete, wie daS Stück beinahe von einigen
Leuten im Parterre, die er wohl hätte nennen können, ausgepfiffen
worden sei; er bedauerte, daß man den alten ehrenfester Herrn
Shakspeare so blamirt habe. Der Teufel hole aber seine Ehren¬
festigkeit, wenn sie nicht die Bühnenprobe aushält. Er gilt für ei¬
nen großen Dramatiker, sein Sommernachtstraum für ein vortreffli¬
ches Stück, und er fällt durch damit! Das paßt nicht zusammen.
Entweder taugt der ganze Kerl Nichts, oder der Sommernachtstraum
taugt Nichts, oder die Leipziger Aufführung war schlecht, oder jene
Pfeifer im Parterre waren Kunstpfeifer. In Berlin ist der Som¬
mernachtstraum nicht durchgefallen; soll ich von mir selbst sagen, so
war auch ich gegen die Aufführung eingenommen und erwartete Nichts
weiter, als das negative Vergnügen, mich ärgern zu können, ging also in
der besten Absicht hin, hatte aber den Vortheil, die liebenswürdige,
nun verlorene Neumann in der Rolle der Helene zu sehen. Wie
war ich aber verwundert, als meine Ironie in Rührung und Ent¬
zücken überging, als ich genießen mußte, wo ich gehofft hatte, ver¬
neinen zu können. Selten habe ich einer, wenn auch in Einzel¬
heiten mangelhaften, doch im Ganzen so vortrefflichen Aufführung
beigewohnt. Mag man von Tieck denken, wie man will, diese Auf¬
führung, die er angeordnet, beweist, daß er seinen Shakspeare ver¬
steht, wie Wenige. Und was speciell die altenglische Bühneneinrich-
tung betrifft, so hatte sie, mit Ausnahme der bunten Seitenvorhänge,
die sogar in den Waldsamen unnöthiger Weise blieben, so wenig
Fremdartiges, daß man wahrscheinlich nicht viel anders verfahren
wäre, wenn man Nichts von einem altenglischen Theater gewußt
und aus eigener Einsicht hätte handeln müssen. Das Publicum aber hatte
nicht Zeit, zur Besinnung zu kommen. Durch die junge Dramatur¬
gie ist es in seiner Unbefangenheit gestört und überdies auch ziemlich
schnell der Gelegenheit, zu urtheilen, beraubt worden; denn es ist der
Linken gelungen, den Sommernachtstraum so gut wie ganz auf die
Seite zu schaffen. Daß sie eS konnte, beweist gewissermaßen ihr
Recht; daß sie es wollte, ihr Bedürfniß, ihre Noth, ich meine,
die Nothwendigkeit, um jeden Preis die Bühne in ihren alleinigen
und ungeth eilten Besitz zu bringen. -- Was den Plautus, Aristo-


Grcnzbotcn 18ii. II. 2

ter Dir, wo Du bist, und ruft: Schwöre! d. h. zu meiner Fahne.
— Inzwischen kam der Sommernachtstraum auch in Leipzig zum
Vorschein, und Laube berichtete, wie daS Stück beinahe von einigen
Leuten im Parterre, die er wohl hätte nennen können, ausgepfiffen
worden sei; er bedauerte, daß man den alten ehrenfester Herrn
Shakspeare so blamirt habe. Der Teufel hole aber seine Ehren¬
festigkeit, wenn sie nicht die Bühnenprobe aushält. Er gilt für ei¬
nen großen Dramatiker, sein Sommernachtstraum für ein vortreffli¬
ches Stück, und er fällt durch damit! Das paßt nicht zusammen.
Entweder taugt der ganze Kerl Nichts, oder der Sommernachtstraum
taugt Nichts, oder die Leipziger Aufführung war schlecht, oder jene
Pfeifer im Parterre waren Kunstpfeifer. In Berlin ist der Som¬
mernachtstraum nicht durchgefallen; soll ich von mir selbst sagen, so
war auch ich gegen die Aufführung eingenommen und erwartete Nichts
weiter, als das negative Vergnügen, mich ärgern zu können, ging also in
der besten Absicht hin, hatte aber den Vortheil, die liebenswürdige,
nun verlorene Neumann in der Rolle der Helene zu sehen. Wie
war ich aber verwundert, als meine Ironie in Rührung und Ent¬
zücken überging, als ich genießen mußte, wo ich gehofft hatte, ver¬
neinen zu können. Selten habe ich einer, wenn auch in Einzel¬
heiten mangelhaften, doch im Ganzen so vortrefflichen Aufführung
beigewohnt. Mag man von Tieck denken, wie man will, diese Auf¬
führung, die er angeordnet, beweist, daß er seinen Shakspeare ver¬
steht, wie Wenige. Und was speciell die altenglische Bühneneinrich-
tung betrifft, so hatte sie, mit Ausnahme der bunten Seitenvorhänge,
die sogar in den Waldsamen unnöthiger Weise blieben, so wenig
Fremdartiges, daß man wahrscheinlich nicht viel anders verfahren
wäre, wenn man Nichts von einem altenglischen Theater gewußt
und aus eigener Einsicht hätte handeln müssen. Das Publicum aber hatte
nicht Zeit, zur Besinnung zu kommen. Durch die junge Dramatur¬
gie ist es in seiner Unbefangenheit gestört und überdies auch ziemlich
schnell der Gelegenheit, zu urtheilen, beraubt worden; denn es ist der
Linken gelungen, den Sommernachtstraum so gut wie ganz auf die
Seite zu schaffen. Daß sie eS konnte, beweist gewissermaßen ihr
Recht; daß sie es wollte, ihr Bedürfniß, ihre Noth, ich meine,
die Nothwendigkeit, um jeden Preis die Bühne in ihren alleinigen
und ungeth eilten Besitz zu bringen. — Was den Plautus, Aristo-


Grcnzbotcn 18ii. II. 2
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/13>, abgerufen am 01.09.2024.