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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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und nach einiger Zeit, wo der Freude deö Wiedersehens zwischen
Vater und Tochter ihr Recht widerfahren, erlaubte ich mir, der Tante
bescheiden die Frage vorzulegen: wie es komme, daß die wiederge¬
fundene Toni unter dem Namen Wilhelmine aufgetreten sei?

-- Bei uns, antwortete mir die Tante, nennt man jeden, so
wie er getauft wurde. Aber der Herr Schwager scheint auch hierin
seine besondere Laune gehabt zu haben. Meine Schwester -- Gott
hab' sie selig -- war in diesem Stücke zu nachgiebig, zu schwach.
Hätte ich damals meine Schwester nur ein einziges Mal besuchen
können, vielleicht wäre es nie so weit gekommen. Allein mein seliger
Mann, der Forstrath, war hierin so außerordentlich eigensinnig; ich
durfte mich kaum in Hochhcim öffentlich sehen lassen, geschweige denn
eine solche Reise unternehmen, und doch kann ich Sie versichern, bei
"us war außer dem Stadtschreiber Niemand, auf den er hätte eifer¬
süchtig werden können. Sehen Sie, Herr Doctor. so ist es gekom¬
men, daß ich meiner Schwester Mann heute zuerst habe kennen ler¬
nen. Ja, wenn Herr Wendelin nicht dazu gekommen wäre, wir
hätten noch vier Wochen zusammenleben können, ohne daß ich geahnt
hätte, der Professor wäre mein leiblicher Schwager. Bei uns, ich
sage Ihnen, bei uns kommt so etwas nicht vor.

- Aber hatten Sie denn Nichts von des Professors Flucht
durch Ihre Frau Schwester erfahren? fragte ich weiter.

Nicht ein Sterbenswörtchen. Auf die plötzliche Nachricht
von ihrem Tode reiste der selige Forstrath, dem ich versprechen mußte,
unterdessen das Haus nicht zu verlassen, nicht einmal die Kirche zu
betreten, unverzüglich nach S. und holte die kleine Wilhelmine, das
arme Würmchen, das nun Vater und Mutter auf einmal verloren
hatte, ab, nachdem ihm die Verwaltung über das Vermögen und die
Vormundschaft über das Kind bis zur etwaigen Rückkehr Robert's
übertragen worden war. Bei uns, Du lieber Gott, hat das Mäd¬
chen keine Noth gelitten, wir haben sie gehalten, wie unser eigenes
Kind, und der selige Forstrath hat als ein rechtschaffener Vater an
ihr gehandelt. Aber bei uns ist es immer Wilhelmine genannt, und
ich denke auch, es ist so getauft worden. --'

-- Mein alter Schachtclmann und nunmehriger zukünftiger Hin
Schwiegervater hatte sich allmälig mit dem Glücke vertraut gemacht,
in der reizenden Wilhelmine seine Toni wieder gefunden Z" haben,


und nach einiger Zeit, wo der Freude deö Wiedersehens zwischen
Vater und Tochter ihr Recht widerfahren, erlaubte ich mir, der Tante
bescheiden die Frage vorzulegen: wie es komme, daß die wiederge¬
fundene Toni unter dem Namen Wilhelmine aufgetreten sei?

— Bei uns, antwortete mir die Tante, nennt man jeden, so
wie er getauft wurde. Aber der Herr Schwager scheint auch hierin
seine besondere Laune gehabt zu haben. Meine Schwester — Gott
hab' sie selig — war in diesem Stücke zu nachgiebig, zu schwach.
Hätte ich damals meine Schwester nur ein einziges Mal besuchen
können, vielleicht wäre es nie so weit gekommen. Allein mein seliger
Mann, der Forstrath, war hierin so außerordentlich eigensinnig; ich
durfte mich kaum in Hochhcim öffentlich sehen lassen, geschweige denn
eine solche Reise unternehmen, und doch kann ich Sie versichern, bei
»us war außer dem Stadtschreiber Niemand, auf den er hätte eifer¬
süchtig werden können. Sehen Sie, Herr Doctor. so ist es gekom¬
men, daß ich meiner Schwester Mann heute zuerst habe kennen ler¬
nen. Ja, wenn Herr Wendelin nicht dazu gekommen wäre, wir
hätten noch vier Wochen zusammenleben können, ohne daß ich geahnt
hätte, der Professor wäre mein leiblicher Schwager. Bei uns, ich
sage Ihnen, bei uns kommt so etwas nicht vor.

- Aber hatten Sie denn Nichts von des Professors Flucht
durch Ihre Frau Schwester erfahren? fragte ich weiter.

Nicht ein Sterbenswörtchen. Auf die plötzliche Nachricht
von ihrem Tode reiste der selige Forstrath, dem ich versprechen mußte,
unterdessen das Haus nicht zu verlassen, nicht einmal die Kirche zu
betreten, unverzüglich nach S. und holte die kleine Wilhelmine, das
arme Würmchen, das nun Vater und Mutter auf einmal verloren
hatte, ab, nachdem ihm die Verwaltung über das Vermögen und die
Vormundschaft über das Kind bis zur etwaigen Rückkehr Robert's
übertragen worden war. Bei uns, Du lieber Gott, hat das Mäd¬
chen keine Noth gelitten, wir haben sie gehalten, wie unser eigenes
Kind, und der selige Forstrath hat als ein rechtschaffener Vater an
ihr gehandelt. Aber bei uns ist es immer Wilhelmine genannt, und
ich denke auch, es ist so getauft worden. —'

— Mein alter Schachtclmann und nunmehriger zukünftiger Hin
Schwiegervater hatte sich allmälig mit dem Glücke vertraut gemacht,
in der reizenden Wilhelmine seine Toni wieder gefunden Z» haben,


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[0126] und nach einiger Zeit, wo der Freude deö Wiedersehens zwischen Vater und Tochter ihr Recht widerfahren, erlaubte ich mir, der Tante bescheiden die Frage vorzulegen: wie es komme, daß die wiederge¬ fundene Toni unter dem Namen Wilhelmine aufgetreten sei? — Bei uns, antwortete mir die Tante, nennt man jeden, so wie er getauft wurde. Aber der Herr Schwager scheint auch hierin seine besondere Laune gehabt zu haben. Meine Schwester — Gott hab' sie selig — war in diesem Stücke zu nachgiebig, zu schwach. Hätte ich damals meine Schwester nur ein einziges Mal besuchen können, vielleicht wäre es nie so weit gekommen. Allein mein seliger Mann, der Forstrath, war hierin so außerordentlich eigensinnig; ich durfte mich kaum in Hochhcim öffentlich sehen lassen, geschweige denn eine solche Reise unternehmen, und doch kann ich Sie versichern, bei »us war außer dem Stadtschreiber Niemand, auf den er hätte eifer¬ süchtig werden können. Sehen Sie, Herr Doctor. so ist es gekom¬ men, daß ich meiner Schwester Mann heute zuerst habe kennen ler¬ nen. Ja, wenn Herr Wendelin nicht dazu gekommen wäre, wir hätten noch vier Wochen zusammenleben können, ohne daß ich geahnt hätte, der Professor wäre mein leiblicher Schwager. Bei uns, ich sage Ihnen, bei uns kommt so etwas nicht vor. - Aber hatten Sie denn Nichts von des Professors Flucht durch Ihre Frau Schwester erfahren? fragte ich weiter. Nicht ein Sterbenswörtchen. Auf die plötzliche Nachricht von ihrem Tode reiste der selige Forstrath, dem ich versprechen mußte, unterdessen das Haus nicht zu verlassen, nicht einmal die Kirche zu betreten, unverzüglich nach S. und holte die kleine Wilhelmine, das arme Würmchen, das nun Vater und Mutter auf einmal verloren hatte, ab, nachdem ihm die Verwaltung über das Vermögen und die Vormundschaft über das Kind bis zur etwaigen Rückkehr Robert's übertragen worden war. Bei uns, Du lieber Gott, hat das Mäd¬ chen keine Noth gelitten, wir haben sie gehalten, wie unser eigenes Kind, und der selige Forstrath hat als ein rechtschaffener Vater an ihr gehandelt. Aber bei uns ist es immer Wilhelmine genannt, und ich denke auch, es ist so getauft worden. —' — Mein alter Schachtclmann und nunmehriger zukünftiger Hin Schwiegervater hatte sich allmälig mit dem Glücke vertraut gemacht, in der reizenden Wilhelmine seine Toni wieder gefunden Z» haben,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/126>, abgerufen am 01.09.2024.