Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

machen? Mit dem Anstande eines Arztes, der seinen Willen, seine
Kräfte, sein Alles dem Kranken opfert, sagte ich daher- Sie haben
ganz über mich zu gebieten, Herr Professor! meine übrigen Patien¬
ten werde ich einem Freunde übertragen und zudem habe ich keine
gefährlichen, bin also jeden Augenblick bereit.

-- Schön! gab er zur Antwort. Darum lassen Sie uns bald
reisen, heute noch, jeder Verzug vergrößert meine Schuld. Ach, und
Toni hat schon lange auf den Vater warten müssen.

-- Es kommt heute Abend gegen neun Uhr eine Post hier
durch Birkenfeld, bemerkte ich, diese wird bis zum Morgen, noch ehe
die Sonne ihre brennenden Strahlen auf die Erde sendet, in Schön-
brunn sein; wie wäre es, wenn Sie diese Gelegenheit benutzten, um
zu versuchen, welche Wirkung das Fahren aus Ihren Gesundheits¬
zustand macht?

-- Herrlich, herrlich, rief mein Kranker, ich kenne diesen Ort
von früher her. Er liegt in der Richtung unseres Weges und ist
nicht sehr weit von S.

-- Nun denn, sagte ich, so werde ich Sie um die bestimmte
Zeit abholen.

-- Friedrich wird unterdessen Alles besorgen, und ich bitte, meine
Börse als die Ihrige anzusehen, mich ganz zum Vollstrecker Ihrer
Wünsche zu machen. Und so gingen wir zufrieden und voll Hoff¬
nungen nach Birkenfeld zurück.

Am Nachmittage trübte sich der Himmel und die Nacht war so
dunkel, als ich je eine sah'. Endlich rollte der Wagen heran, hielt
am PostHause, wo wir schon einige Zeit seiner harrten. Und da in
Birkenfeld eine bloße Erpedition war, auch die Route keinen langen
Aufenthalt gestattete, so wurden wir drei ohne Weiteres zu den schon
im Wagen sitzenden Passagieren geschoben.

Unsere Abfahrt geschal) so schnell und so ganz eigentlich in der
größten Finsterniß, daß dem armen Robert keine Zeit zu Protestatio¬
nen übrig blieb -- wenn sich wirklich dergleichen bei ihm regten.
Er hatte in der Passagierstube des PostHauses nur sehr wenig ge¬
sprochen und dies Wenige ganz leise geflüstert, als wolle er sich un¬
bemerkt aus Birkenfeld schleichen und als fürchte er, der Feind möchte
seinen Plan errathen und voll Wuth nacheilen. Nur zuweilen hatte
er meine Hand gefaßt und diese gedrückt, um sich zu überzeugen,


Grenzboten 1844. II. jH,

machen? Mit dem Anstande eines Arztes, der seinen Willen, seine
Kräfte, sein Alles dem Kranken opfert, sagte ich daher- Sie haben
ganz über mich zu gebieten, Herr Professor! meine übrigen Patien¬
ten werde ich einem Freunde übertragen und zudem habe ich keine
gefährlichen, bin also jeden Augenblick bereit.

— Schön! gab er zur Antwort. Darum lassen Sie uns bald
reisen, heute noch, jeder Verzug vergrößert meine Schuld. Ach, und
Toni hat schon lange auf den Vater warten müssen.

— Es kommt heute Abend gegen neun Uhr eine Post hier
durch Birkenfeld, bemerkte ich, diese wird bis zum Morgen, noch ehe
die Sonne ihre brennenden Strahlen auf die Erde sendet, in Schön-
brunn sein; wie wäre es, wenn Sie diese Gelegenheit benutzten, um
zu versuchen, welche Wirkung das Fahren aus Ihren Gesundheits¬
zustand macht?

— Herrlich, herrlich, rief mein Kranker, ich kenne diesen Ort
von früher her. Er liegt in der Richtung unseres Weges und ist
nicht sehr weit von S.

— Nun denn, sagte ich, so werde ich Sie um die bestimmte
Zeit abholen.

— Friedrich wird unterdessen Alles besorgen, und ich bitte, meine
Börse als die Ihrige anzusehen, mich ganz zum Vollstrecker Ihrer
Wünsche zu machen. Und so gingen wir zufrieden und voll Hoff¬
nungen nach Birkenfeld zurück.

Am Nachmittage trübte sich der Himmel und die Nacht war so
dunkel, als ich je eine sah'. Endlich rollte der Wagen heran, hielt
am PostHause, wo wir schon einige Zeit seiner harrten. Und da in
Birkenfeld eine bloße Erpedition war, auch die Route keinen langen
Aufenthalt gestattete, so wurden wir drei ohne Weiteres zu den schon
im Wagen sitzenden Passagieren geschoben.

Unsere Abfahrt geschal) so schnell und so ganz eigentlich in der
größten Finsterniß, daß dem armen Robert keine Zeit zu Protestatio¬
nen übrig blieb — wenn sich wirklich dergleichen bei ihm regten.
Er hatte in der Passagierstube des PostHauses nur sehr wenig ge¬
sprochen und dies Wenige ganz leise geflüstert, als wolle er sich un¬
bemerkt aus Birkenfeld schleichen und als fürchte er, der Feind möchte
seinen Plan errathen und voll Wuth nacheilen. Nur zuweilen hatte
er meine Hand gefaßt und diese gedrückt, um sich zu überzeugen,


Grenzboten 1844. II. jH,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0109" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/181293"/>
            <p xml:id="ID_309" prev="#ID_308"> machen? Mit dem Anstande eines Arztes, der seinen Willen, seine<lb/>
Kräfte, sein Alles dem Kranken opfert, sagte ich daher- Sie haben<lb/>
ganz über mich zu gebieten, Herr Professor! meine übrigen Patien¬<lb/>
ten werde ich einem Freunde übertragen und zudem habe ich keine<lb/>
gefährlichen, bin also jeden Augenblick bereit.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_310"> &#x2014; Schön! gab er zur Antwort. Darum lassen Sie uns bald<lb/>
reisen, heute noch, jeder Verzug vergrößert meine Schuld. Ach, und<lb/>
Toni hat schon lange auf den Vater warten müssen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_311"> &#x2014; Es kommt heute Abend gegen neun Uhr eine Post hier<lb/>
durch Birkenfeld, bemerkte ich, diese wird bis zum Morgen, noch ehe<lb/>
die Sonne ihre brennenden Strahlen auf die Erde sendet, in Schön-<lb/>
brunn sein; wie wäre es, wenn Sie diese Gelegenheit benutzten, um<lb/>
zu versuchen, welche Wirkung das Fahren aus Ihren Gesundheits¬<lb/>
zustand macht?</p><lb/>
            <p xml:id="ID_312"> &#x2014; Herrlich, herrlich, rief mein Kranker, ich kenne diesen Ort<lb/>
von früher her. Er liegt in der Richtung unseres Weges und ist<lb/>
nicht sehr weit von S.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_313"> &#x2014; Nun denn, sagte ich, so werde ich Sie um die bestimmte<lb/>
Zeit abholen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_314"> &#x2014; Friedrich wird unterdessen Alles besorgen, und ich bitte, meine<lb/>
Börse als die Ihrige anzusehen, mich ganz zum Vollstrecker Ihrer<lb/>
Wünsche zu machen. Und so gingen wir zufrieden und voll Hoff¬<lb/>
nungen nach Birkenfeld zurück.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_315"> Am Nachmittage trübte sich der Himmel und die Nacht war so<lb/>
dunkel, als ich je eine sah'. Endlich rollte der Wagen heran, hielt<lb/>
am PostHause, wo wir schon einige Zeit seiner harrten. Und da in<lb/>
Birkenfeld eine bloße Erpedition war, auch die Route keinen langen<lb/>
Aufenthalt gestattete, so wurden wir drei ohne Weiteres zu den schon<lb/>
im Wagen sitzenden Passagieren geschoben.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_316" next="#ID_317"> Unsere Abfahrt geschal) so schnell und so ganz eigentlich in der<lb/>
größten Finsterniß, daß dem armen Robert keine Zeit zu Protestatio¬<lb/>
nen übrig blieb &#x2014; wenn sich wirklich dergleichen bei ihm regten.<lb/>
Er hatte in der Passagierstube des PostHauses nur sehr wenig ge¬<lb/>
sprochen und dies Wenige ganz leise geflüstert, als wolle er sich un¬<lb/>
bemerkt aus Birkenfeld schleichen und als fürchte er, der Feind möchte<lb/>
seinen Plan errathen und voll Wuth nacheilen. Nur zuweilen hatte<lb/>
er meine Hand gefaßt und diese gedrückt, um sich zu überzeugen,</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten 1844.  II. jH,</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0109] machen? Mit dem Anstande eines Arztes, der seinen Willen, seine Kräfte, sein Alles dem Kranken opfert, sagte ich daher- Sie haben ganz über mich zu gebieten, Herr Professor! meine übrigen Patien¬ ten werde ich einem Freunde übertragen und zudem habe ich keine gefährlichen, bin also jeden Augenblick bereit. — Schön! gab er zur Antwort. Darum lassen Sie uns bald reisen, heute noch, jeder Verzug vergrößert meine Schuld. Ach, und Toni hat schon lange auf den Vater warten müssen. — Es kommt heute Abend gegen neun Uhr eine Post hier durch Birkenfeld, bemerkte ich, diese wird bis zum Morgen, noch ehe die Sonne ihre brennenden Strahlen auf die Erde sendet, in Schön- brunn sein; wie wäre es, wenn Sie diese Gelegenheit benutzten, um zu versuchen, welche Wirkung das Fahren aus Ihren Gesundheits¬ zustand macht? — Herrlich, herrlich, rief mein Kranker, ich kenne diesen Ort von früher her. Er liegt in der Richtung unseres Weges und ist nicht sehr weit von S. — Nun denn, sagte ich, so werde ich Sie um die bestimmte Zeit abholen. — Friedrich wird unterdessen Alles besorgen, und ich bitte, meine Börse als die Ihrige anzusehen, mich ganz zum Vollstrecker Ihrer Wünsche zu machen. Und so gingen wir zufrieden und voll Hoff¬ nungen nach Birkenfeld zurück. Am Nachmittage trübte sich der Himmel und die Nacht war so dunkel, als ich je eine sah'. Endlich rollte der Wagen heran, hielt am PostHause, wo wir schon einige Zeit seiner harrten. Und da in Birkenfeld eine bloße Erpedition war, auch die Route keinen langen Aufenthalt gestattete, so wurden wir drei ohne Weiteres zu den schon im Wagen sitzenden Passagieren geschoben. Unsere Abfahrt geschal) so schnell und so ganz eigentlich in der größten Finsterniß, daß dem armen Robert keine Zeit zu Protestatio¬ nen übrig blieb — wenn sich wirklich dergleichen bei ihm regten. Er hatte in der Passagierstube des PostHauses nur sehr wenig ge¬ sprochen und dies Wenige ganz leise geflüstert, als wolle er sich un¬ bemerkt aus Birkenfeld schleichen und als fürchte er, der Feind möchte seinen Plan errathen und voll Wuth nacheilen. Nur zuweilen hatte er meine Hand gefaßt und diese gedrückt, um sich zu überzeugen, Grenzboten 1844. II. jH,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/109
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/109>, abgerufen am 01.09.2024.