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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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meiner Tochter sind und zeigen, wie sich aus der Knospe allmälig
die Blume entfaltete und wie jede Entwickelung, jedes neue Blatt
wie von einem aufmerksamen Naturforscher angemerkt und aufgezeich¬
net worden ist. Aber Leschen habe ich sie seit meiner Flucht nicht
wieder, auch nicht versucht, mir Kunde von dem Leben der Meinigen
zu verschaffen. Doch, wie gesagt, ich glaube, es war ein dummer
Streich, daß ich meine Frau verließ.

-- Wenn Sie das glauben, Herr Professor, entgegnete ich, so
ist es ja leicht, denselben zu verbessern; eine Reise würde für Ihre
Gesundheit gewiß zuträglich sein.

' -- Ach, seufzte er traurig, Sie wissen nicht, welchen Plackereien
ich dabei ausgesetzt bin, welche neue Gelegenheit zum Qualen ich
meinem Feinde dadurch gebe. Denken Sie nur an die staubigen
Landstraßen, von dem Rollen des Wagens stets aufgereizt; das tolle
Wirbeln der Atome um einen solchen Kasten und das Hohngeläch¬
ter Beelzebubs und seiner Genossen, wenn sie die Räder umHüpfen,
den Kutschenschlag bedecken und von den Kleidern' und Koffern der
Reisenden Besitz nehmen. Wie könnte da eine dreidoppelte Hülle,
noch über meine Schalen gezogen, mich schützen? Müßte ich doch
wenigstens den Mund frei lassen, um AtKem zu schöpfen und mit
jedem Zuge Tausende der höllischen Geister verschlucken? -- Nein,
bester Herr Doctor, zu einem solchen Wagniß bin ich zu alt, durch
vielfachen langjährigen Kampf schon zu sehr ermattet.

Ich dachte einige Augenblicke nach, denn der Schachtelmann
hatte eigentlich recht, und ich schauderte unwillkürlich, wenn ich mir
das Fahren in der Sonnenhitze auf staubigen Straßen vergegenwär¬
tigte. Endlich sagte ich: Wenn Sie nur des Nachts reisten,
in den kühlen, erquickenden Stunden, wo die Erde vom Thau be¬
feuchtet ist und Labung jedem Grashalme zu Theil wird.

Der Schachtelmann sann einige Zeit nach, dann faßte er mit
jugendlichem Feuer meine Hände, sah mir freudig in's Gesicht und
sagte: Ich glaube, Sie Haben's getroffen! O, endlich finde ich doch
einen Retter! -- Aber, lieber Herr Doctor, Sie dürfen mich nicht
verlassen, Sie müssen mit mir in den Kampf gehen, wollen Sie
das? --

Wie konnte ich solchen Bitten widerstehen, vorzüglich da es schon
längst mein Wunsch war, einen kleinen Kreuz- und Querzug zu


meiner Tochter sind und zeigen, wie sich aus der Knospe allmälig
die Blume entfaltete und wie jede Entwickelung, jedes neue Blatt
wie von einem aufmerksamen Naturforscher angemerkt und aufgezeich¬
net worden ist. Aber Leschen habe ich sie seit meiner Flucht nicht
wieder, auch nicht versucht, mir Kunde von dem Leben der Meinigen
zu verschaffen. Doch, wie gesagt, ich glaube, es war ein dummer
Streich, daß ich meine Frau verließ.

— Wenn Sie das glauben, Herr Professor, entgegnete ich, so
ist es ja leicht, denselben zu verbessern; eine Reise würde für Ihre
Gesundheit gewiß zuträglich sein.

' — Ach, seufzte er traurig, Sie wissen nicht, welchen Plackereien
ich dabei ausgesetzt bin, welche neue Gelegenheit zum Qualen ich
meinem Feinde dadurch gebe. Denken Sie nur an die staubigen
Landstraßen, von dem Rollen des Wagens stets aufgereizt; das tolle
Wirbeln der Atome um einen solchen Kasten und das Hohngeläch¬
ter Beelzebubs und seiner Genossen, wenn sie die Räder umHüpfen,
den Kutschenschlag bedecken und von den Kleidern' und Koffern der
Reisenden Besitz nehmen. Wie könnte da eine dreidoppelte Hülle,
noch über meine Schalen gezogen, mich schützen? Müßte ich doch
wenigstens den Mund frei lassen, um AtKem zu schöpfen und mit
jedem Zuge Tausende der höllischen Geister verschlucken? — Nein,
bester Herr Doctor, zu einem solchen Wagniß bin ich zu alt, durch
vielfachen langjährigen Kampf schon zu sehr ermattet.

Ich dachte einige Augenblicke nach, denn der Schachtelmann
hatte eigentlich recht, und ich schauderte unwillkürlich, wenn ich mir
das Fahren in der Sonnenhitze auf staubigen Straßen vergegenwär¬
tigte. Endlich sagte ich: Wenn Sie nur des Nachts reisten,
in den kühlen, erquickenden Stunden, wo die Erde vom Thau be¬
feuchtet ist und Labung jedem Grashalme zu Theil wird.

Der Schachtelmann sann einige Zeit nach, dann faßte er mit
jugendlichem Feuer meine Hände, sah mir freudig in's Gesicht und
sagte: Ich glaube, Sie Haben's getroffen! O, endlich finde ich doch
einen Retter! — Aber, lieber Herr Doctor, Sie dürfen mich nicht
verlassen, Sie müssen mit mir in den Kampf gehen, wollen Sie
das? —

Wie konnte ich solchen Bitten widerstehen, vorzüglich da es schon
längst mein Wunsch war, einen kleinen Kreuz- und Querzug zu


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[0108] meiner Tochter sind und zeigen, wie sich aus der Knospe allmälig die Blume entfaltete und wie jede Entwickelung, jedes neue Blatt wie von einem aufmerksamen Naturforscher angemerkt und aufgezeich¬ net worden ist. Aber Leschen habe ich sie seit meiner Flucht nicht wieder, auch nicht versucht, mir Kunde von dem Leben der Meinigen zu verschaffen. Doch, wie gesagt, ich glaube, es war ein dummer Streich, daß ich meine Frau verließ. — Wenn Sie das glauben, Herr Professor, entgegnete ich, so ist es ja leicht, denselben zu verbessern; eine Reise würde für Ihre Gesundheit gewiß zuträglich sein. ' — Ach, seufzte er traurig, Sie wissen nicht, welchen Plackereien ich dabei ausgesetzt bin, welche neue Gelegenheit zum Qualen ich meinem Feinde dadurch gebe. Denken Sie nur an die staubigen Landstraßen, von dem Rollen des Wagens stets aufgereizt; das tolle Wirbeln der Atome um einen solchen Kasten und das Hohngeläch¬ ter Beelzebubs und seiner Genossen, wenn sie die Räder umHüpfen, den Kutschenschlag bedecken und von den Kleidern' und Koffern der Reisenden Besitz nehmen. Wie könnte da eine dreidoppelte Hülle, noch über meine Schalen gezogen, mich schützen? Müßte ich doch wenigstens den Mund frei lassen, um AtKem zu schöpfen und mit jedem Zuge Tausende der höllischen Geister verschlucken? — Nein, bester Herr Doctor, zu einem solchen Wagniß bin ich zu alt, durch vielfachen langjährigen Kampf schon zu sehr ermattet. Ich dachte einige Augenblicke nach, denn der Schachtelmann hatte eigentlich recht, und ich schauderte unwillkürlich, wenn ich mir das Fahren in der Sonnenhitze auf staubigen Straßen vergegenwär¬ tigte. Endlich sagte ich: Wenn Sie nur des Nachts reisten, in den kühlen, erquickenden Stunden, wo die Erde vom Thau be¬ feuchtet ist und Labung jedem Grashalme zu Theil wird. Der Schachtelmann sann einige Zeit nach, dann faßte er mit jugendlichem Feuer meine Hände, sah mir freudig in's Gesicht und sagte: Ich glaube, Sie Haben's getroffen! O, endlich finde ich doch einen Retter! — Aber, lieber Herr Doctor, Sie dürfen mich nicht verlassen, Sie müssen mit mir in den Kampf gehen, wollen Sie das? — Wie konnte ich solchen Bitten widerstehen, vorzüglich da es schon längst mein Wunsch war, einen kleinen Kreuz- und Querzug zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/108>, abgerufen am 01.09.2024.