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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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gebe. Angenommen, man könne diesen Versicherungen glauben.- was,
zum Geier, hilft das, wenn sich öffentliche Charaktere, zu den Dien¬
sten einer geheimen Polizei, d. h. zu Angebereien gebrauchen lassen
und diese bereitwillig angenommen werden? Beim Militär gibt es ge¬
heime Conduitenlisten, aber geheime Polizei? Gott bewahre! Unlängst
hat ein preußischer Offizier einen Kameraden wegen einer unbesonne¬
nen Aeußerung denuncirt. Wird der Denunciant quittiren müssen,
oder cassirt werden ? Schwerlich, aber der Denuncirte kommt vor das
Kriegsgericht. Es gibt keine geheime Polizei in Preußen! Herr Ge¬
heimrath Wedecke und seine Blutegelsammlung sind bekannt, aber es
gibt keine geheime Polizei in Preußen. Der Königsberger Theater-
director Tietz entfernt sich vor dem Ablauf seines Contractes und wird
in Berlin angestellt. Warum? Man sagt, der Mann führe seit der
polnischen Revolution ein Tagebuch über "weiße und schwarze Per¬
sonen" mit harmlosen Bemerkungen über die Mittel, die "schwarzen
unschädlich zu machen; und manche Individuen sind auf seine Ver¬
anlassung in Untersuchung gekommen. Es gibt nämlich keine geheime
Polizei in Preußen.

--- Die Judenfrage beginnt jetzt auch in Norwegen debattirr zu
erden; es gibt dort weder Juden, noch erlaubt das Gesetz denselben
en Eingang in's Land. Damit wird es so streng gehalten, daß vor
inigen Jahren ein Schiffbrüchiger, der also ohne eigene Schuld auf
ie norwegische Küste gerieth, mehrere Monate wie ein Verbrecher
efangen gehalten wurde, weil er Jude war. Diese rauhen Söhne
er Freiheit denken aber doch größer, als manches hochcivilisirte Volk,
as sich durch fortwährenden Verkehr mit Juden von der Ungerechtig¬
eit eines summarischen Vorurtheils längst überzeugt haben könnte.
ie sagen, wie ein Correspondent aus Christiania schreibt: Entweder
eben wir den Juden mit dem Eingang in's Land alle bürgerlichen
echte oder schließen sie auch ferner aus. Eine Kaste von herabge¬
ürdigten, unter geringere, bürgerliche oder politische Bedingungen
ls wir selbst gestellten Leuten wollen wir unter keinem' Umstände
aben, -- Andere Länder sind gewohnt, solche Kastcnzustände recht
ehutsam und fürsichtig zu "conserviren" und glauben dabei sehr
eise und human zu sein. Gegen das schmähliche und Engherzige,
as in solchem Eonservatismus liegt, ist das Gefühl der Norweger
och nicht abgestumpft.




Verlag von Fv. Ludw. Herbig. -- Redacteur I. Kuranda
Druck von Friedrich Andral.

gebe. Angenommen, man könne diesen Versicherungen glauben.- was,
zum Geier, hilft das, wenn sich öffentliche Charaktere, zu den Dien¬
sten einer geheimen Polizei, d. h. zu Angebereien gebrauchen lassen
und diese bereitwillig angenommen werden? Beim Militär gibt es ge¬
heime Conduitenlisten, aber geheime Polizei? Gott bewahre! Unlängst
hat ein preußischer Offizier einen Kameraden wegen einer unbesonne¬
nen Aeußerung denuncirt. Wird der Denunciant quittiren müssen,
oder cassirt werden ? Schwerlich, aber der Denuncirte kommt vor das
Kriegsgericht. Es gibt keine geheime Polizei in Preußen! Herr Ge¬
heimrath Wedecke und seine Blutegelsammlung sind bekannt, aber es
gibt keine geheime Polizei in Preußen. Der Königsberger Theater-
director Tietz entfernt sich vor dem Ablauf seines Contractes und wird
in Berlin angestellt. Warum? Man sagt, der Mann führe seit der
polnischen Revolution ein Tagebuch über „weiße und schwarze Per¬
sonen" mit harmlosen Bemerkungen über die Mittel, die „schwarzen
unschädlich zu machen; und manche Individuen sind auf seine Ver¬
anlassung in Untersuchung gekommen. Es gibt nämlich keine geheime
Polizei in Preußen.

—- Die Judenfrage beginnt jetzt auch in Norwegen debattirr zu
erden; es gibt dort weder Juden, noch erlaubt das Gesetz denselben
en Eingang in's Land. Damit wird es so streng gehalten, daß vor
inigen Jahren ein Schiffbrüchiger, der also ohne eigene Schuld auf
ie norwegische Küste gerieth, mehrere Monate wie ein Verbrecher
efangen gehalten wurde, weil er Jude war. Diese rauhen Söhne
er Freiheit denken aber doch größer, als manches hochcivilisirte Volk,
as sich durch fortwährenden Verkehr mit Juden von der Ungerechtig¬
eit eines summarischen Vorurtheils längst überzeugt haben könnte.
ie sagen, wie ein Correspondent aus Christiania schreibt: Entweder
eben wir den Juden mit dem Eingang in's Land alle bürgerlichen
echte oder schließen sie auch ferner aus. Eine Kaste von herabge¬
ürdigten, unter geringere, bürgerliche oder politische Bedingungen
ls wir selbst gestellten Leuten wollen wir unter keinem' Umstände
aben, — Andere Länder sind gewohnt, solche Kastcnzustände recht
ehutsam und fürsichtig zu „conserviren" und glauben dabei sehr
eise und human zu sein. Gegen das schmähliche und Engherzige,
as in solchem Eonservatismus liegt, ist das Gefühl der Norweger
och nicht abgestumpft.




Verlag von Fv. Ludw. Herbig. — Redacteur I. Kuranda
Druck von Friedrich Andral.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/100>, abgerufen am 01.09.2024.