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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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unter Gutzkow und Laube in der Eleganten, mit ihnen aber auch
ein großer Theil der übrigen Organe der Oeffentlichkeit. Es zeigte
sich auch hier wieder der Zusammenhang mit den politischen Inter¬
essen; denn jene Blätter, von denen allein die Versuche gepriesen
wurden, stehen meist auf der Seite des Antiliberalismus, oder sind
richtungs- und gedankenlos. Daß bei den Angriffen aus das Ber¬
liner Byzantinerthum, wie Laube das Ding nannte, extreme und zum
Theil possirliche Ansichten zum Vorschein kamen, ließ sich erwarten.
Nicht zufrieden, die Tragödien des Sophokles und Euripides von
unserer Bühne zu verweisen wegen mancher Fremdartigkeiten in Stoff,
Gehalt und Form, ging man auch direct auf die alten Heroen selbst
los und bezweifelte den Werth und die Bedeutung ihrer Stücke nicht
blos für unsere Zeit und unsere Bühne, sondern überhaupt. Ich er¬
innere mich, eine Recension gelesen zu haben, in der Sophokles wie
eine Art Omophage erschien, seine Poesien als der crasse Ausdruck
einer barbarischen Zeit. So schlimm ist es wohl nicht; Sophokles
und seine Landsleute hatten doch wirklich einige Bildung und ge¬
wisse, nicht ganz verwerfliche Begriffe von Gott, Natur und Welt.
Man wird mir freilich die Schicksalsidee als einen Gorgonenschild
entgegenhalten; und in Wahrheit ist es zu beklagen, daß es unter
den Hellenen noch keine aufgeklärten Recensenten gab, die "das große
gigantische Schicksal, das den Menschen erhebt, wenn es den Men¬
schen zermalmt", wie der verblendete Schiller sagt, glatt von der Er¬
de weg rasiren, noch leichter als die Müllner'sche Parodie darauf.
Indeß die Wirkung der Antigone und der Medea war null. Gewiß
ist, daß die unbeholfenen Uebersetzungen, vorzüglich die sprachwidrige
Behandlung der Chöre, ferner das musikalische Beiwerk, die antike
Bühneneinrichtung u. s. w. nicht geeignet waren, die Stücke unserem
Verständniß näher zu bringen. Ja vielleicht hätte man just mit den
gewählten Stücken mindestens nicht den Anfang machen sollen. Der
Conflict, um den es sich in der Antigone handelt, ist freilich gewis¬
sermaßen der zwischen dem historischen und natürlichen Rechte, ein
Conflict, der durch alle Zeiten geht und unserer fürwahr nicht fremd
ist; aber das Factum, an dem dieser Conflict hervorbricht, Antigone,
die wider den Willen des Herrschers ihren Bruder, den Feind des
Vaterlandes, begräbt und darum den Tod erduldet, hat im Krek,e
unserer Erfahrung doch wenig Analoges. Die Medea auf der all-


unter Gutzkow und Laube in der Eleganten, mit ihnen aber auch
ein großer Theil der übrigen Organe der Oeffentlichkeit. Es zeigte
sich auch hier wieder der Zusammenhang mit den politischen Inter¬
essen; denn jene Blätter, von denen allein die Versuche gepriesen
wurden, stehen meist auf der Seite des Antiliberalismus, oder sind
richtungs- und gedankenlos. Daß bei den Angriffen aus das Ber¬
liner Byzantinerthum, wie Laube das Ding nannte, extreme und zum
Theil possirliche Ansichten zum Vorschein kamen, ließ sich erwarten.
Nicht zufrieden, die Tragödien des Sophokles und Euripides von
unserer Bühne zu verweisen wegen mancher Fremdartigkeiten in Stoff,
Gehalt und Form, ging man auch direct auf die alten Heroen selbst
los und bezweifelte den Werth und die Bedeutung ihrer Stücke nicht
blos für unsere Zeit und unsere Bühne, sondern überhaupt. Ich er¬
innere mich, eine Recension gelesen zu haben, in der Sophokles wie
eine Art Omophage erschien, seine Poesien als der crasse Ausdruck
einer barbarischen Zeit. So schlimm ist es wohl nicht; Sophokles
und seine Landsleute hatten doch wirklich einige Bildung und ge¬
wisse, nicht ganz verwerfliche Begriffe von Gott, Natur und Welt.
Man wird mir freilich die Schicksalsidee als einen Gorgonenschild
entgegenhalten; und in Wahrheit ist es zu beklagen, daß es unter
den Hellenen noch keine aufgeklärten Recensenten gab, die „das große
gigantische Schicksal, das den Menschen erhebt, wenn es den Men¬
schen zermalmt", wie der verblendete Schiller sagt, glatt von der Er¬
de weg rasiren, noch leichter als die Müllner'sche Parodie darauf.
Indeß die Wirkung der Antigone und der Medea war null. Gewiß
ist, daß die unbeholfenen Uebersetzungen, vorzüglich die sprachwidrige
Behandlung der Chöre, ferner das musikalische Beiwerk, die antike
Bühneneinrichtung u. s. w. nicht geeignet waren, die Stücke unserem
Verständniß näher zu bringen. Ja vielleicht hätte man just mit den
gewählten Stücken mindestens nicht den Anfang machen sollen. Der
Conflict, um den es sich in der Antigone handelt, ist freilich gewis¬
sermaßen der zwischen dem historischen und natürlichen Rechte, ein
Conflict, der durch alle Zeiten geht und unserer fürwahr nicht fremd
ist; aber das Factum, an dem dieser Conflict hervorbricht, Antigone,
die wider den Willen des Herrschers ihren Bruder, den Feind des
Vaterlandes, begräbt und darum den Tod erduldet, hat im Krek,e
unserer Erfahrung doch wenig Analoges. Die Medea auf der all-


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[0010] unter Gutzkow und Laube in der Eleganten, mit ihnen aber auch ein großer Theil der übrigen Organe der Oeffentlichkeit. Es zeigte sich auch hier wieder der Zusammenhang mit den politischen Inter¬ essen; denn jene Blätter, von denen allein die Versuche gepriesen wurden, stehen meist auf der Seite des Antiliberalismus, oder sind richtungs- und gedankenlos. Daß bei den Angriffen aus das Ber¬ liner Byzantinerthum, wie Laube das Ding nannte, extreme und zum Theil possirliche Ansichten zum Vorschein kamen, ließ sich erwarten. Nicht zufrieden, die Tragödien des Sophokles und Euripides von unserer Bühne zu verweisen wegen mancher Fremdartigkeiten in Stoff, Gehalt und Form, ging man auch direct auf die alten Heroen selbst los und bezweifelte den Werth und die Bedeutung ihrer Stücke nicht blos für unsere Zeit und unsere Bühne, sondern überhaupt. Ich er¬ innere mich, eine Recension gelesen zu haben, in der Sophokles wie eine Art Omophage erschien, seine Poesien als der crasse Ausdruck einer barbarischen Zeit. So schlimm ist es wohl nicht; Sophokles und seine Landsleute hatten doch wirklich einige Bildung und ge¬ wisse, nicht ganz verwerfliche Begriffe von Gott, Natur und Welt. Man wird mir freilich die Schicksalsidee als einen Gorgonenschild entgegenhalten; und in Wahrheit ist es zu beklagen, daß es unter den Hellenen noch keine aufgeklärten Recensenten gab, die „das große gigantische Schicksal, das den Menschen erhebt, wenn es den Men¬ schen zermalmt", wie der verblendete Schiller sagt, glatt von der Er¬ de weg rasiren, noch leichter als die Müllner'sche Parodie darauf. Indeß die Wirkung der Antigone und der Medea war null. Gewiß ist, daß die unbeholfenen Uebersetzungen, vorzüglich die sprachwidrige Behandlung der Chöre, ferner das musikalische Beiwerk, die antike Bühneneinrichtung u. s. w. nicht geeignet waren, die Stücke unserem Verständniß näher zu bringen. Ja vielleicht hätte man just mit den gewählten Stücken mindestens nicht den Anfang machen sollen. Der Conflict, um den es sich in der Antigone handelt, ist freilich gewis¬ sermaßen der zwischen dem historischen und natürlichen Rechte, ein Conflict, der durch alle Zeiten geht und unserer fürwahr nicht fremd ist; aber das Factum, an dem dieser Conflict hervorbricht, Antigone, die wider den Willen des Herrschers ihren Bruder, den Feind des Vaterlandes, begräbt und darum den Tod erduldet, hat im Krek,e unserer Erfahrung doch wenig Analoges. Die Medea auf der all-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/10>, abgerufen am 01.09.2024.