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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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durch Vorspiegelungen nach Oesterreich gelockt und ihn dann auf's
Eis gesetzt. In Wahrheit that der Staat sehr viel für den Erredac-
teur; man zahlte ihm in der Form von Pränumeration auf zweihun¬
dert Exemplare eine nicht unbeträchtliche Subvention und ertheilte ihm
überdies eine Concession, wie sie kein anderes Blatt der Monarchie
besitzt, selbst die Wiener Hofzeitung nicht. Mit dieser geriet!) der Herr
Doctor auch bald in Conflict, da er sich erlaubte, politische Nummern
zu bringen, ohne sie stempeln zu lassen, und Ankündigungen aufzuneh¬
men, ohne dafür einen Pachtschilling zu entrichten. Die Behörde ließ
das geschehen, bis endlich die Eigenthümer jener Zeitung klagend auf¬
traten, und es nun dem Herrn Groß-Hofsinger untersagt wurde, fer¬
nerhin politische Nachrichten ohne Stempel zu geben und Inserate
aufzunehmen, da für das Privilegium des Anzeigeblattes die Heraus¬
geber der Wiener Hofzeitung die jährliche Summe von zweiundvier¬
zig tausend Gulden an den Staat bezahlen. Seither laborirte sein
Journal an Abonnentenmangel und ist jetzt selig entschlafen. Eine
Tabaktrafsik in der inneren Stadt, die ihm verliehen wurde, wird ihn
ohne Zweifel für seinen zweideutigen Ruhm (?) entschädigen.

Der Verein zur Besserung entlassener Sträflinge, der anfangs
auf so vielfältige und hartnäckige Hindernisse stieß, hat am 2. Juni
seine erste Generalversammlung gehalten und den durch gediegene pub¬
lizistische Werke bekannten Regierungsrath Graf Barth von Barthen-
heim zum Director erwählt. Der Verein zählt jetzt schon eintausend
dreihundert vierundzwanzig Mitglieder mit dreitausend neunhundert
dreißig Gulden Beiträgen; sechstausend dreihundert Gulden erhielt der¬
selbe an Geschenken und zweitausend fünfhundert siebenzehn Gulden
in Staatsschuldverschreibungen, so daß die Geldmittel, worüber man
derzeit verfügen kann, die Summe von zwölftausend fünfhundert Gul¬
den übersteigen. Wacker ist jedenfalls die Tendenz des Vereins,
und besonders deshalb beachtenswerth, als er hier den ersten
Schritt bildet, der zur Milderung des moralischen und physischen Elends
auf materiellem Wege gethan wird, da man nachgerade einsieht, wie
heuchlerisch und niederträchtig es sei, die abgemagerten Hände des
Unglücklichen zum Gebet zu falten und ihn auf Gott zu verweisen,
statt ihm zu helfen und ihn Theil nehmen zu lassen an der brechen¬
den Tafel des Ueberflusses, die vor dem Prasser steht. Diese pietisti-
sche Nichtswürdigkeit, welche die Augen fromm verdreht und mit der
Hand den Beutel zuhält, ist sonderlich in Preußen zu Hause, wo
man Kirchen baut statt Arbeitshäuser und die Droschkenführer in die
Messe schickt, wahrend die Husaren die hungrigen Weber in Schlesien
in die Pfanne hauen. Der wahre Triumph der Humanität wird aber
darin bestehen, daß man vor dem Fallen bewahrt, nicht die Gefallenen
schirmt. Auch den Gefallenen gebührt Sorgfalt und es bleibt dies
immerhin ein schönes Wirken, aber schöner noch ist die Sorge um


durch Vorspiegelungen nach Oesterreich gelockt und ihn dann auf's
Eis gesetzt. In Wahrheit that der Staat sehr viel für den Erredac-
teur; man zahlte ihm in der Form von Pränumeration auf zweihun¬
dert Exemplare eine nicht unbeträchtliche Subvention und ertheilte ihm
überdies eine Concession, wie sie kein anderes Blatt der Monarchie
besitzt, selbst die Wiener Hofzeitung nicht. Mit dieser geriet!) der Herr
Doctor auch bald in Conflict, da er sich erlaubte, politische Nummern
zu bringen, ohne sie stempeln zu lassen, und Ankündigungen aufzuneh¬
men, ohne dafür einen Pachtschilling zu entrichten. Die Behörde ließ
das geschehen, bis endlich die Eigenthümer jener Zeitung klagend auf¬
traten, und es nun dem Herrn Groß-Hofsinger untersagt wurde, fer¬
nerhin politische Nachrichten ohne Stempel zu geben und Inserate
aufzunehmen, da für das Privilegium des Anzeigeblattes die Heraus¬
geber der Wiener Hofzeitung die jährliche Summe von zweiundvier¬
zig tausend Gulden an den Staat bezahlen. Seither laborirte sein
Journal an Abonnentenmangel und ist jetzt selig entschlafen. Eine
Tabaktrafsik in der inneren Stadt, die ihm verliehen wurde, wird ihn
ohne Zweifel für seinen zweideutigen Ruhm (?) entschädigen.

Der Verein zur Besserung entlassener Sträflinge, der anfangs
auf so vielfältige und hartnäckige Hindernisse stieß, hat am 2. Juni
seine erste Generalversammlung gehalten und den durch gediegene pub¬
lizistische Werke bekannten Regierungsrath Graf Barth von Barthen-
heim zum Director erwählt. Der Verein zählt jetzt schon eintausend
dreihundert vierundzwanzig Mitglieder mit dreitausend neunhundert
dreißig Gulden Beiträgen; sechstausend dreihundert Gulden erhielt der¬
selbe an Geschenken und zweitausend fünfhundert siebenzehn Gulden
in Staatsschuldverschreibungen, so daß die Geldmittel, worüber man
derzeit verfügen kann, die Summe von zwölftausend fünfhundert Gul¬
den übersteigen. Wacker ist jedenfalls die Tendenz des Vereins,
und besonders deshalb beachtenswerth, als er hier den ersten
Schritt bildet, der zur Milderung des moralischen und physischen Elends
auf materiellem Wege gethan wird, da man nachgerade einsieht, wie
heuchlerisch und niederträchtig es sei, die abgemagerten Hände des
Unglücklichen zum Gebet zu falten und ihn auf Gott zu verweisen,
statt ihm zu helfen und ihn Theil nehmen zu lassen an der brechen¬
den Tafel des Ueberflusses, die vor dem Prasser steht. Diese pietisti-
sche Nichtswürdigkeit, welche die Augen fromm verdreht und mit der
Hand den Beutel zuhält, ist sonderlich in Preußen zu Hause, wo
man Kirchen baut statt Arbeitshäuser und die Droschkenführer in die
Messe schickt, wahrend die Husaren die hungrigen Weber in Schlesien
in die Pfanne hauen. Der wahre Triumph der Humanität wird aber
darin bestehen, daß man vor dem Fallen bewahrt, nicht die Gefallenen
schirmt. Auch den Gefallenen gebührt Sorgfalt und es bleibt dies
immerhin ein schönes Wirken, aber schöner noch ist die Sorge um


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[0094] durch Vorspiegelungen nach Oesterreich gelockt und ihn dann auf's Eis gesetzt. In Wahrheit that der Staat sehr viel für den Erredac- teur; man zahlte ihm in der Form von Pränumeration auf zweihun¬ dert Exemplare eine nicht unbeträchtliche Subvention und ertheilte ihm überdies eine Concession, wie sie kein anderes Blatt der Monarchie besitzt, selbst die Wiener Hofzeitung nicht. Mit dieser geriet!) der Herr Doctor auch bald in Conflict, da er sich erlaubte, politische Nummern zu bringen, ohne sie stempeln zu lassen, und Ankündigungen aufzuneh¬ men, ohne dafür einen Pachtschilling zu entrichten. Die Behörde ließ das geschehen, bis endlich die Eigenthümer jener Zeitung klagend auf¬ traten, und es nun dem Herrn Groß-Hofsinger untersagt wurde, fer¬ nerhin politische Nachrichten ohne Stempel zu geben und Inserate aufzunehmen, da für das Privilegium des Anzeigeblattes die Heraus¬ geber der Wiener Hofzeitung die jährliche Summe von zweiundvier¬ zig tausend Gulden an den Staat bezahlen. Seither laborirte sein Journal an Abonnentenmangel und ist jetzt selig entschlafen. Eine Tabaktrafsik in der inneren Stadt, die ihm verliehen wurde, wird ihn ohne Zweifel für seinen zweideutigen Ruhm (?) entschädigen. Der Verein zur Besserung entlassener Sträflinge, der anfangs auf so vielfältige und hartnäckige Hindernisse stieß, hat am 2. Juni seine erste Generalversammlung gehalten und den durch gediegene pub¬ lizistische Werke bekannten Regierungsrath Graf Barth von Barthen- heim zum Director erwählt. Der Verein zählt jetzt schon eintausend dreihundert vierundzwanzig Mitglieder mit dreitausend neunhundert dreißig Gulden Beiträgen; sechstausend dreihundert Gulden erhielt der¬ selbe an Geschenken und zweitausend fünfhundert siebenzehn Gulden in Staatsschuldverschreibungen, so daß die Geldmittel, worüber man derzeit verfügen kann, die Summe von zwölftausend fünfhundert Gul¬ den übersteigen. Wacker ist jedenfalls die Tendenz des Vereins, und besonders deshalb beachtenswerth, als er hier den ersten Schritt bildet, der zur Milderung des moralischen und physischen Elends auf materiellem Wege gethan wird, da man nachgerade einsieht, wie heuchlerisch und niederträchtig es sei, die abgemagerten Hände des Unglücklichen zum Gebet zu falten und ihn auf Gott zu verweisen, statt ihm zu helfen und ihn Theil nehmen zu lassen an der brechen¬ den Tafel des Ueberflusses, die vor dem Prasser steht. Diese pietisti- sche Nichtswürdigkeit, welche die Augen fromm verdreht und mit der Hand den Beutel zuhält, ist sonderlich in Preußen zu Hause, wo man Kirchen baut statt Arbeitshäuser und die Droschkenführer in die Messe schickt, wahrend die Husaren die hungrigen Weber in Schlesien in die Pfanne hauen. Der wahre Triumph der Humanität wird aber darin bestehen, daß man vor dem Fallen bewahrt, nicht die Gefallenen schirmt. Auch den Gefallenen gebührt Sorgfalt und es bleibt dies immerhin ein schönes Wirken, aber schöner noch ist die Sorge um

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/94>, abgerufen am 23.12.2024.