Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

bei dieser Ausstellung aussprach, und als solche war sie na¬
türlicherweise übertrieben, gewaltsam, ausgelassen; um nur nicht hin¬
ter dem Ziele zurückzubleiben, nahm man einen Schwung darüber
hinaus. Die Muth war übergetreten und hatte Alles mit sich fort¬
gerissen. Um gerecht zu sein, darf man nicht verschweigen,
daß die Anhänger der David'schen Schule jener ungestümen
Jugend die größten Dienste leisteten. Allein diese Revoluti¬
on der Kunstrichtung, die in einem und demselben Momente mit
der politischen Revolution Belgiens begonnen hatte, hielt auch glei¬
chen Schritt mit letzterer. Allmälig sah die erstaunte Welt dieses
Belgien, dessen zwölfmonatliche Existenz man Anfangs bezweifelte,
dessen Ruder von einer Hand voll junger Leute, die eben erst die
Journalfeder aus den Händen gelegt, geführt wurde, sich immer fe¬
ster constituiren und Maßregeln ergreifen, die -- wie z. B. das Ei-
senbcchnproject -- Kühnheit mit Sicherheit zugleich verbanden. Die
anarchischen Elemente des ersten Augenblicks wurden bezwungen, und
der junge Staat stand bald so fest auf seinen eigenen Füßen, als
wäre er von "Gottes Gnaden" und nicht durch das "souveräne Volk"
organisirt worden. Dasselbe Schauspiel zeigte sich auch bald unter
der jungen, neu aufblühenden Malerschule. Bereits bei der zweiten
Brüsseler Ausstellung, im Jahre 1836 (die Kunstausstellung findet in
der Hauptstadt Belgiens von drei zu drei Jahren statt), zeigte sich
eine vollständige Organisation der jungen Schule. Der blinde, anar¬
chische Uebermuth hatte sich gelegt, die Zügellosigkeit hatte sich Regeln
unterworfen. Bei dem Einen zeigte sich die Farbe von tieferem, wah¬
rem Gefühl belebt, bei dem Andern verriethen die Linien ernstes wis¬
senschaftliches Studium, der Enthusiasmus begann sich mit Beson¬
nenheit zu paaren. Was dieser Ausstellung eine besondere Bedeu¬
tung gab, das war die große Anzahl von historischen Bildern; die
Gegenstände derselben waren nicht mehr dem griechischen und römi¬
schen Alterthume entlehnt, sondern den Chroniken und Annalen der Lan¬
desgeschichte entnommen. Die zwei Kunstausstellungen der Jahre 1839
und 18t2 sind in einigen ihrer Resultate auch dem großen deutschen
Publicum bekannt geworden; die historischen Bilder von de Keyzer,
von Gallait und de Bievfe haben die Runde durch den größten Theil
Deutschlands gemacht. Die Genrebilder Braekleer's, die Thierstücke


bei dieser Ausstellung aussprach, und als solche war sie na¬
türlicherweise übertrieben, gewaltsam, ausgelassen; um nur nicht hin¬
ter dem Ziele zurückzubleiben, nahm man einen Schwung darüber
hinaus. Die Muth war übergetreten und hatte Alles mit sich fort¬
gerissen. Um gerecht zu sein, darf man nicht verschweigen,
daß die Anhänger der David'schen Schule jener ungestümen
Jugend die größten Dienste leisteten. Allein diese Revoluti¬
on der Kunstrichtung, die in einem und demselben Momente mit
der politischen Revolution Belgiens begonnen hatte, hielt auch glei¬
chen Schritt mit letzterer. Allmälig sah die erstaunte Welt dieses
Belgien, dessen zwölfmonatliche Existenz man Anfangs bezweifelte,
dessen Ruder von einer Hand voll junger Leute, die eben erst die
Journalfeder aus den Händen gelegt, geführt wurde, sich immer fe¬
ster constituiren und Maßregeln ergreifen, die — wie z. B. das Ei-
senbcchnproject — Kühnheit mit Sicherheit zugleich verbanden. Die
anarchischen Elemente des ersten Augenblicks wurden bezwungen, und
der junge Staat stand bald so fest auf seinen eigenen Füßen, als
wäre er von „Gottes Gnaden" und nicht durch das „souveräne Volk"
organisirt worden. Dasselbe Schauspiel zeigte sich auch bald unter
der jungen, neu aufblühenden Malerschule. Bereits bei der zweiten
Brüsseler Ausstellung, im Jahre 1836 (die Kunstausstellung findet in
der Hauptstadt Belgiens von drei zu drei Jahren statt), zeigte sich
eine vollständige Organisation der jungen Schule. Der blinde, anar¬
chische Uebermuth hatte sich gelegt, die Zügellosigkeit hatte sich Regeln
unterworfen. Bei dem Einen zeigte sich die Farbe von tieferem, wah¬
rem Gefühl belebt, bei dem Andern verriethen die Linien ernstes wis¬
senschaftliches Studium, der Enthusiasmus begann sich mit Beson¬
nenheit zu paaren. Was dieser Ausstellung eine besondere Bedeu¬
tung gab, das war die große Anzahl von historischen Bildern; die
Gegenstände derselben waren nicht mehr dem griechischen und römi¬
schen Alterthume entlehnt, sondern den Chroniken und Annalen der Lan¬
desgeschichte entnommen. Die zwei Kunstausstellungen der Jahre 1839
und 18t2 sind in einigen ihrer Resultate auch dem großen deutschen
Publicum bekannt geworden; die historischen Bilder von de Keyzer,
von Gallait und de Bievfe haben die Runde durch den größten Theil
Deutschlands gemacht. Die Genrebilder Braekleer's, die Thierstücke


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0072" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/180631"/>
          <p xml:id="ID_137" prev="#ID_136" next="#ID_138"> bei dieser Ausstellung aussprach, und als solche war sie na¬<lb/>
türlicherweise übertrieben, gewaltsam, ausgelassen; um nur nicht hin¬<lb/>
ter dem Ziele zurückzubleiben, nahm man einen Schwung darüber<lb/>
hinaus. Die Muth war übergetreten und hatte Alles mit sich fort¬<lb/>
gerissen. Um gerecht zu sein, darf man nicht verschweigen,<lb/>
daß die Anhänger der David'schen Schule jener ungestümen<lb/>
Jugend die größten Dienste leisteten. Allein diese Revoluti¬<lb/>
on der Kunstrichtung, die in einem und demselben Momente mit<lb/>
der politischen Revolution Belgiens begonnen hatte, hielt auch glei¬<lb/>
chen Schritt mit letzterer. Allmälig sah die erstaunte Welt dieses<lb/>
Belgien, dessen zwölfmonatliche Existenz man Anfangs bezweifelte,<lb/>
dessen Ruder von einer Hand voll junger Leute, die eben erst die<lb/>
Journalfeder aus den Händen gelegt, geführt wurde, sich immer fe¬<lb/>
ster constituiren und Maßregeln ergreifen, die &#x2014; wie z. B. das Ei-<lb/>
senbcchnproject &#x2014; Kühnheit mit Sicherheit zugleich verbanden. Die<lb/>
anarchischen Elemente des ersten Augenblicks wurden bezwungen, und<lb/>
der junge Staat stand bald so fest auf seinen eigenen Füßen, als<lb/>
wäre er von &#x201E;Gottes Gnaden" und nicht durch das &#x201E;souveräne Volk"<lb/>
organisirt worden. Dasselbe Schauspiel zeigte sich auch bald unter<lb/>
der jungen, neu aufblühenden Malerschule. Bereits bei der zweiten<lb/>
Brüsseler Ausstellung, im Jahre 1836 (die Kunstausstellung findet in<lb/>
der Hauptstadt Belgiens von drei zu drei Jahren statt), zeigte sich<lb/>
eine vollständige Organisation der jungen Schule. Der blinde, anar¬<lb/>
chische Uebermuth hatte sich gelegt, die Zügellosigkeit hatte sich Regeln<lb/>
unterworfen. Bei dem Einen zeigte sich die Farbe von tieferem, wah¬<lb/>
rem Gefühl belebt, bei dem Andern verriethen die Linien ernstes wis¬<lb/>
senschaftliches Studium, der Enthusiasmus begann sich mit Beson¬<lb/>
nenheit zu paaren. Was dieser Ausstellung eine besondere Bedeu¬<lb/>
tung gab, das war die große Anzahl von historischen Bildern; die<lb/>
Gegenstände derselben waren nicht mehr dem griechischen und römi¬<lb/>
schen Alterthume entlehnt, sondern den Chroniken und Annalen der Lan¬<lb/>
desgeschichte entnommen. Die zwei Kunstausstellungen der Jahre 1839<lb/>
und 18t2 sind in einigen ihrer Resultate auch dem großen deutschen<lb/>
Publicum bekannt geworden; die historischen Bilder von de Keyzer,<lb/>
von Gallait und de Bievfe haben die Runde durch den größten Theil<lb/>
Deutschlands gemacht. Die Genrebilder Braekleer's, die Thierstücke</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0072] bei dieser Ausstellung aussprach, und als solche war sie na¬ türlicherweise übertrieben, gewaltsam, ausgelassen; um nur nicht hin¬ ter dem Ziele zurückzubleiben, nahm man einen Schwung darüber hinaus. Die Muth war übergetreten und hatte Alles mit sich fort¬ gerissen. Um gerecht zu sein, darf man nicht verschweigen, daß die Anhänger der David'schen Schule jener ungestümen Jugend die größten Dienste leisteten. Allein diese Revoluti¬ on der Kunstrichtung, die in einem und demselben Momente mit der politischen Revolution Belgiens begonnen hatte, hielt auch glei¬ chen Schritt mit letzterer. Allmälig sah die erstaunte Welt dieses Belgien, dessen zwölfmonatliche Existenz man Anfangs bezweifelte, dessen Ruder von einer Hand voll junger Leute, die eben erst die Journalfeder aus den Händen gelegt, geführt wurde, sich immer fe¬ ster constituiren und Maßregeln ergreifen, die — wie z. B. das Ei- senbcchnproject — Kühnheit mit Sicherheit zugleich verbanden. Die anarchischen Elemente des ersten Augenblicks wurden bezwungen, und der junge Staat stand bald so fest auf seinen eigenen Füßen, als wäre er von „Gottes Gnaden" und nicht durch das „souveräne Volk" organisirt worden. Dasselbe Schauspiel zeigte sich auch bald unter der jungen, neu aufblühenden Malerschule. Bereits bei der zweiten Brüsseler Ausstellung, im Jahre 1836 (die Kunstausstellung findet in der Hauptstadt Belgiens von drei zu drei Jahren statt), zeigte sich eine vollständige Organisation der jungen Schule. Der blinde, anar¬ chische Uebermuth hatte sich gelegt, die Zügellosigkeit hatte sich Regeln unterworfen. Bei dem Einen zeigte sich die Farbe von tieferem, wah¬ rem Gefühl belebt, bei dem Andern verriethen die Linien ernstes wis¬ senschaftliches Studium, der Enthusiasmus begann sich mit Beson¬ nenheit zu paaren. Was dieser Ausstellung eine besondere Bedeu¬ tung gab, das war die große Anzahl von historischen Bildern; die Gegenstände derselben waren nicht mehr dem griechischen und römi¬ schen Alterthume entlehnt, sondern den Chroniken und Annalen der Lan¬ desgeschichte entnommen. Die zwei Kunstausstellungen der Jahre 1839 und 18t2 sind in einigen ihrer Resultate auch dem großen deutschen Publicum bekannt geworden; die historischen Bilder von de Keyzer, von Gallait und de Bievfe haben die Runde durch den größten Theil Deutschlands gemacht. Die Genrebilder Braekleer's, die Thierstücke

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/72
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/72>, abgerufen am 23.12.2024.