Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Griechen und Römer mit Kürassierhelmen, religiöse Bilder in der
gräulichsten Weltlichkeit. Die Menge der Besucher gaffte hier und
dort, drängte sich aber in Gruppen und Haufen vor einem Gemälde,
das ohnstreitig als das erste und dominirende dieser ganzen Aus¬
stellung betrachtet wurde. Dies Bild hatte sich weder unter den
Griechen, noch unter, den Heiligen seinen Gegenstand ausgesucht, son¬
dern stellte eine kleine, aber denkwürdige Episode aus dem niederlän¬
dischen Befreiungskriege dar, eine ergreifende Scene aus der Belage¬
rung von Leyden im Jahre 1574. Folgendes ist der Stoff.

Die Stadt hatte den belagernden Spaniern den muthigsten Wi¬
derstand geleistet; aber die Lebensmittel waren ausgegangen, der
Hunger ist auf den Gesichtern Aller gemalt, das Volk drängt auf
Uebergabe, das Haus des Bürgermeisters Van der Werff wird ge¬
stürmt, man verlangt, er solle die Schlüssel der Stadt dem Feinde
übergeben. Da tritt er heraus, bleich, aber ruhig, unter die wüthende
Menge. Ich habe den Staaten gelobt, diese Stadt zu halten, ich kann
mein Wort nicht brechen; Brod habe ich keins für Euch, aber wenn
Ihr mein Blut trinken wollt, nehmt es hin und sättigt Euch daran.

Diese Scene war.weder in einem besonders großen Rahmen,
noch mit dem gewöhnlichen Theatereffekt gemalt, aber die dramati¬
sche Gruppirung, die Wahrheit des Ausdrucks, vor Allem aber das
harmonische classische Colorit, mahnte unwiderstehlich an die alten
vaterländischen Meister. Alle Welt wollte den Namen des Malers
wissen, er hieß Wappers. Wappers? kein Mensch kannte ihn;
man erkundigte sich und hörte, es sei dies der Name eines jungen
Malers aus Antwerpen, eines Zöglings der dortigen Akademie, die
mühsam, aber fruchtlos den Spuren der Rubens'sehen Schule nach¬
wandelte. Das erste Mal nach fast hundert Jahren flössen aus diesem
versiegten Brunnen wieder frische, helle Tropfen, trug dieser verdorrt
geglaubte Baum wieder goldene Frucht. Rubens! der Name war
plötzlich wie durch eine Zaubererinnerung auf allen Lippen, es war, als
fiele der Schleier den Leuten von den Augen und als erkennten' sie
mit einem Male den Götzendienst, den sie bisher vor fremden Altä¬
ren getrieben. Dieser revolutionäre Geist gegen die bisher herrschende
Kunstdynastie wurde durch die Revolution gegen die herrschende


Griechen und Römer mit Kürassierhelmen, religiöse Bilder in der
gräulichsten Weltlichkeit. Die Menge der Besucher gaffte hier und
dort, drängte sich aber in Gruppen und Haufen vor einem Gemälde,
das ohnstreitig als das erste und dominirende dieser ganzen Aus¬
stellung betrachtet wurde. Dies Bild hatte sich weder unter den
Griechen, noch unter, den Heiligen seinen Gegenstand ausgesucht, son¬
dern stellte eine kleine, aber denkwürdige Episode aus dem niederlän¬
dischen Befreiungskriege dar, eine ergreifende Scene aus der Belage¬
rung von Leyden im Jahre 1574. Folgendes ist der Stoff.

Die Stadt hatte den belagernden Spaniern den muthigsten Wi¬
derstand geleistet; aber die Lebensmittel waren ausgegangen, der
Hunger ist auf den Gesichtern Aller gemalt, das Volk drängt auf
Uebergabe, das Haus des Bürgermeisters Van der Werff wird ge¬
stürmt, man verlangt, er solle die Schlüssel der Stadt dem Feinde
übergeben. Da tritt er heraus, bleich, aber ruhig, unter die wüthende
Menge. Ich habe den Staaten gelobt, diese Stadt zu halten, ich kann
mein Wort nicht brechen; Brod habe ich keins für Euch, aber wenn
Ihr mein Blut trinken wollt, nehmt es hin und sättigt Euch daran.

Diese Scene war.weder in einem besonders großen Rahmen,
noch mit dem gewöhnlichen Theatereffekt gemalt, aber die dramati¬
sche Gruppirung, die Wahrheit des Ausdrucks, vor Allem aber das
harmonische classische Colorit, mahnte unwiderstehlich an die alten
vaterländischen Meister. Alle Welt wollte den Namen des Malers
wissen, er hieß Wappers. Wappers? kein Mensch kannte ihn;
man erkundigte sich und hörte, es sei dies der Name eines jungen
Malers aus Antwerpen, eines Zöglings der dortigen Akademie, die
mühsam, aber fruchtlos den Spuren der Rubens'sehen Schule nach¬
wandelte. Das erste Mal nach fast hundert Jahren flössen aus diesem
versiegten Brunnen wieder frische, helle Tropfen, trug dieser verdorrt
geglaubte Baum wieder goldene Frucht. Rubens! der Name war
plötzlich wie durch eine Zaubererinnerung auf allen Lippen, es war, als
fiele der Schleier den Leuten von den Augen und als erkennten' sie
mit einem Male den Götzendienst, den sie bisher vor fremden Altä¬
ren getrieben. Dieser revolutionäre Geist gegen die bisher herrschende
Kunstdynastie wurde durch die Revolution gegen die herrschende


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0070" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/180629"/>
          <p xml:id="ID_133" prev="#ID_132"> Griechen und Römer mit Kürassierhelmen, religiöse Bilder in der<lb/>
gräulichsten Weltlichkeit. Die Menge der Besucher gaffte hier und<lb/>
dort, drängte sich aber in Gruppen und Haufen vor einem Gemälde,<lb/>
das ohnstreitig als das erste und dominirende dieser ganzen Aus¬<lb/>
stellung betrachtet wurde. Dies Bild hatte sich weder unter den<lb/>
Griechen, noch unter, den Heiligen seinen Gegenstand ausgesucht, son¬<lb/>
dern stellte eine kleine, aber denkwürdige Episode aus dem niederlän¬<lb/>
dischen Befreiungskriege dar, eine ergreifende Scene aus der Belage¬<lb/>
rung von Leyden im Jahre 1574. Folgendes ist der Stoff.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_134"> Die Stadt hatte den belagernden Spaniern den muthigsten Wi¬<lb/>
derstand geleistet; aber die Lebensmittel waren ausgegangen, der<lb/>
Hunger ist auf den Gesichtern Aller gemalt, das Volk drängt auf<lb/>
Uebergabe, das Haus des Bürgermeisters Van der Werff wird ge¬<lb/>
stürmt, man verlangt, er solle die Schlüssel der Stadt dem Feinde<lb/>
übergeben. Da tritt er heraus, bleich, aber ruhig, unter die wüthende<lb/>
Menge. Ich habe den Staaten gelobt, diese Stadt zu halten, ich kann<lb/>
mein Wort nicht brechen; Brod habe ich keins für Euch, aber wenn<lb/>
Ihr mein Blut trinken wollt, nehmt es hin und sättigt Euch daran.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_135" next="#ID_136"> Diese Scene war.weder in einem besonders großen Rahmen,<lb/>
noch mit dem gewöhnlichen Theatereffekt gemalt, aber die dramati¬<lb/>
sche Gruppirung, die Wahrheit des Ausdrucks, vor Allem aber das<lb/>
harmonische classische Colorit, mahnte unwiderstehlich an die alten<lb/>
vaterländischen Meister. Alle Welt wollte den Namen des Malers<lb/>
wissen, er hieß Wappers. Wappers? kein Mensch kannte ihn;<lb/>
man erkundigte sich und hörte, es sei dies der Name eines jungen<lb/>
Malers aus Antwerpen, eines Zöglings der dortigen Akademie, die<lb/>
mühsam, aber fruchtlos den Spuren der Rubens'sehen Schule nach¬<lb/>
wandelte. Das erste Mal nach fast hundert Jahren flössen aus diesem<lb/>
versiegten Brunnen wieder frische, helle Tropfen, trug dieser verdorrt<lb/>
geglaubte Baum wieder goldene Frucht. Rubens! der Name war<lb/>
plötzlich wie durch eine Zaubererinnerung auf allen Lippen, es war, als<lb/>
fiele der Schleier den Leuten von den Augen und als erkennten' sie<lb/>
mit einem Male den Götzendienst, den sie bisher vor fremden Altä¬<lb/>
ren getrieben. Dieser revolutionäre Geist gegen die bisher herrschende<lb/>
Kunstdynastie wurde durch die Revolution gegen die herrschende</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0070] Griechen und Römer mit Kürassierhelmen, religiöse Bilder in der gräulichsten Weltlichkeit. Die Menge der Besucher gaffte hier und dort, drängte sich aber in Gruppen und Haufen vor einem Gemälde, das ohnstreitig als das erste und dominirende dieser ganzen Aus¬ stellung betrachtet wurde. Dies Bild hatte sich weder unter den Griechen, noch unter, den Heiligen seinen Gegenstand ausgesucht, son¬ dern stellte eine kleine, aber denkwürdige Episode aus dem niederlän¬ dischen Befreiungskriege dar, eine ergreifende Scene aus der Belage¬ rung von Leyden im Jahre 1574. Folgendes ist der Stoff. Die Stadt hatte den belagernden Spaniern den muthigsten Wi¬ derstand geleistet; aber die Lebensmittel waren ausgegangen, der Hunger ist auf den Gesichtern Aller gemalt, das Volk drängt auf Uebergabe, das Haus des Bürgermeisters Van der Werff wird ge¬ stürmt, man verlangt, er solle die Schlüssel der Stadt dem Feinde übergeben. Da tritt er heraus, bleich, aber ruhig, unter die wüthende Menge. Ich habe den Staaten gelobt, diese Stadt zu halten, ich kann mein Wort nicht brechen; Brod habe ich keins für Euch, aber wenn Ihr mein Blut trinken wollt, nehmt es hin und sättigt Euch daran. Diese Scene war.weder in einem besonders großen Rahmen, noch mit dem gewöhnlichen Theatereffekt gemalt, aber die dramati¬ sche Gruppirung, die Wahrheit des Ausdrucks, vor Allem aber das harmonische classische Colorit, mahnte unwiderstehlich an die alten vaterländischen Meister. Alle Welt wollte den Namen des Malers wissen, er hieß Wappers. Wappers? kein Mensch kannte ihn; man erkundigte sich und hörte, es sei dies der Name eines jungen Malers aus Antwerpen, eines Zöglings der dortigen Akademie, die mühsam, aber fruchtlos den Spuren der Rubens'sehen Schule nach¬ wandelte. Das erste Mal nach fast hundert Jahren flössen aus diesem versiegten Brunnen wieder frische, helle Tropfen, trug dieser verdorrt geglaubte Baum wieder goldene Frucht. Rubens! der Name war plötzlich wie durch eine Zaubererinnerung auf allen Lippen, es war, als fiele der Schleier den Leuten von den Augen und als erkennten' sie mit einem Male den Götzendienst, den sie bisher vor fremden Altä¬ ren getrieben. Dieser revolutionäre Geist gegen die bisher herrschende Kunstdynastie wurde durch die Revolution gegen die herrschende

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/70
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/70>, abgerufen am 23.12.2024.