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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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dividuellsten Geiste seines Volkes so zu identificiren, daß er siegt, nicht
blos, weil er die Tugenden, sondern eben so sehr, weil er die Schwä¬
chen seiner Landsleute hat, und daß er dem halbzertretenen celtischen
Stamm die höchste Geltung errang, die ihm bis heute zu erringen
noch möglich gewesen? -- Bei O'Eonnell'ö Verurtheilung haben die
nach dem augenblicklichen Erfolg Richtenden darüber triumphirt, daß
der schlaue Agitator sich doch verrechnet, und sich gewöhnt, durch die
scheinbar definitive Beseitigung des alten, Mannes seine eigentliche
Bedeutungslosigkeit zu beweisen. Man wird seine jetzige Freisprechung
einem blinden Ohngefähr, einer englischen Inconsequenz oder Pedan¬
terie zuschreiben; denn Niemand, und vielleicht er selbst nicht, hätte
sich träumen lassen, daß das Urtheil der irischen Jury vom Ober¬
hause werde umgestoßen werden. Es wird aber Andere geben, welche
das Urtheil der Lawlords whiggistischen Sympathien und politischen
Gründen, also mittelbar doch der Macht Daniel's und der Rücksicht
auf die etwaige Wirksamkeit des nach ^- Jahren doch Freizulassenden
zuschreiben werden, während das irische Volk seinem Führer die Paar
Monate Haft als ein volles Märtyrthum anrechnen wird. Wahr¬
scheinlich also wird Daniel jetzt doppelt mächtig dastehen. Der Jubel
eds Volkes in Dublin, als am 7. September der Alte aus dem Ge¬
fängniß geführt wurde, war awful, d. h. Respect einflößend, und wi¬
derhallte durch die ganze katholische Welt Europas. -- Die Coblenzer
wollten ja sogar illuminiren.

-- Die Nachwehen der Königsberger Universitäts - Jubelfeier be¬
standen: erstens in einigen Ordensverleihungen an Professoren, wobei
natürlich -- denn das gehört immer dazu -- der populärste und
freisinnigste Mann Königsbergs, Rosenkrantz ausgeschlossen blieb;
zweitens in einem Duell aus politischen Gründen zwischen einem Of¬
fizier und einem Referendarius, in welchem der Letztere erschossen wurde.

-- Welches Unrecht man der preußischen Regierung that, wenn
man glaubte, sie wolle die Bildung eines deutschen Nationalvereins
in Berlin protegiren, hat sich jetzt endlich gezeigt. Das Obercensur¬
gericht hat entschieden, daß Firmenich's, Wöniger's und v. Holtzen-
dorff's Aufforderung zu jenem Verein in Berlin mit Recht nicht ge¬
druckt werden durste. Das hieß freilich einen Todten zum Tode verur-
theilen. Indeß kann das Urtheil immer noch vollzogen werden; eS gibt
ja eine Auferstehung der Todten.

-- Liegt nicht eine seltsame Ironie darin, daß wir von den
Slaven immer zuerst auf unserer weltbekannten schwachen Seite, der
philologischen, angegriffen werden? Die Slaven berufen sich auf
unsere buchstabentreue Gründlichkeit und beweisen uns etymologisch,


dividuellsten Geiste seines Volkes so zu identificiren, daß er siegt, nicht
blos, weil er die Tugenden, sondern eben so sehr, weil er die Schwä¬
chen seiner Landsleute hat, und daß er dem halbzertretenen celtischen
Stamm die höchste Geltung errang, die ihm bis heute zu erringen
noch möglich gewesen? — Bei O'Eonnell'ö Verurtheilung haben die
nach dem augenblicklichen Erfolg Richtenden darüber triumphirt, daß
der schlaue Agitator sich doch verrechnet, und sich gewöhnt, durch die
scheinbar definitive Beseitigung des alten, Mannes seine eigentliche
Bedeutungslosigkeit zu beweisen. Man wird seine jetzige Freisprechung
einem blinden Ohngefähr, einer englischen Inconsequenz oder Pedan¬
terie zuschreiben; denn Niemand, und vielleicht er selbst nicht, hätte
sich träumen lassen, daß das Urtheil der irischen Jury vom Ober¬
hause werde umgestoßen werden. Es wird aber Andere geben, welche
das Urtheil der Lawlords whiggistischen Sympathien und politischen
Gründen, also mittelbar doch der Macht Daniel's und der Rücksicht
auf die etwaige Wirksamkeit des nach ^- Jahren doch Freizulassenden
zuschreiben werden, während das irische Volk seinem Führer die Paar
Monate Haft als ein volles Märtyrthum anrechnen wird. Wahr¬
scheinlich also wird Daniel jetzt doppelt mächtig dastehen. Der Jubel
eds Volkes in Dublin, als am 7. September der Alte aus dem Ge¬
fängniß geführt wurde, war awful, d. h. Respect einflößend, und wi¬
derhallte durch die ganze katholische Welt Europas. — Die Coblenzer
wollten ja sogar illuminiren.

— Die Nachwehen der Königsberger Universitäts - Jubelfeier be¬
standen: erstens in einigen Ordensverleihungen an Professoren, wobei
natürlich — denn das gehört immer dazu — der populärste und
freisinnigste Mann Königsbergs, Rosenkrantz ausgeschlossen blieb;
zweitens in einem Duell aus politischen Gründen zwischen einem Of¬
fizier und einem Referendarius, in welchem der Letztere erschossen wurde.

— Welches Unrecht man der preußischen Regierung that, wenn
man glaubte, sie wolle die Bildung eines deutschen Nationalvereins
in Berlin protegiren, hat sich jetzt endlich gezeigt. Das Obercensur¬
gericht hat entschieden, daß Firmenich's, Wöniger's und v. Holtzen-
dorff's Aufforderung zu jenem Verein in Berlin mit Recht nicht ge¬
druckt werden durste. Das hieß freilich einen Todten zum Tode verur-
theilen. Indeß kann das Urtheil immer noch vollzogen werden; eS gibt
ja eine Auferstehung der Todten.

— Liegt nicht eine seltsame Ironie darin, daß wir von den
Slaven immer zuerst auf unserer weltbekannten schwachen Seite, der
philologischen, angegriffen werden? Die Slaven berufen sich auf
unsere buchstabentreue Gründlichkeit und beweisen uns etymologisch,


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[0621] dividuellsten Geiste seines Volkes so zu identificiren, daß er siegt, nicht blos, weil er die Tugenden, sondern eben so sehr, weil er die Schwä¬ chen seiner Landsleute hat, und daß er dem halbzertretenen celtischen Stamm die höchste Geltung errang, die ihm bis heute zu erringen noch möglich gewesen? — Bei O'Eonnell'ö Verurtheilung haben die nach dem augenblicklichen Erfolg Richtenden darüber triumphirt, daß der schlaue Agitator sich doch verrechnet, und sich gewöhnt, durch die scheinbar definitive Beseitigung des alten, Mannes seine eigentliche Bedeutungslosigkeit zu beweisen. Man wird seine jetzige Freisprechung einem blinden Ohngefähr, einer englischen Inconsequenz oder Pedan¬ terie zuschreiben; denn Niemand, und vielleicht er selbst nicht, hätte sich träumen lassen, daß das Urtheil der irischen Jury vom Ober¬ hause werde umgestoßen werden. Es wird aber Andere geben, welche das Urtheil der Lawlords whiggistischen Sympathien und politischen Gründen, also mittelbar doch der Macht Daniel's und der Rücksicht auf die etwaige Wirksamkeit des nach ^- Jahren doch Freizulassenden zuschreiben werden, während das irische Volk seinem Führer die Paar Monate Haft als ein volles Märtyrthum anrechnen wird. Wahr¬ scheinlich also wird Daniel jetzt doppelt mächtig dastehen. Der Jubel eds Volkes in Dublin, als am 7. September der Alte aus dem Ge¬ fängniß geführt wurde, war awful, d. h. Respect einflößend, und wi¬ derhallte durch die ganze katholische Welt Europas. — Die Coblenzer wollten ja sogar illuminiren. — Die Nachwehen der Königsberger Universitäts - Jubelfeier be¬ standen: erstens in einigen Ordensverleihungen an Professoren, wobei natürlich — denn das gehört immer dazu — der populärste und freisinnigste Mann Königsbergs, Rosenkrantz ausgeschlossen blieb; zweitens in einem Duell aus politischen Gründen zwischen einem Of¬ fizier und einem Referendarius, in welchem der Letztere erschossen wurde. — Welches Unrecht man der preußischen Regierung that, wenn man glaubte, sie wolle die Bildung eines deutschen Nationalvereins in Berlin protegiren, hat sich jetzt endlich gezeigt. Das Obercensur¬ gericht hat entschieden, daß Firmenich's, Wöniger's und v. Holtzen- dorff's Aufforderung zu jenem Verein in Berlin mit Recht nicht ge¬ druckt werden durste. Das hieß freilich einen Todten zum Tode verur- theilen. Indeß kann das Urtheil immer noch vollzogen werden; eS gibt ja eine Auferstehung der Todten. — Liegt nicht eine seltsame Ironie darin, daß wir von den Slaven immer zuerst auf unserer weltbekannten schwachen Seite, der philologischen, angegriffen werden? Die Slaven berufen sich auf unsere buchstabentreue Gründlichkeit und beweisen uns etymologisch,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/621>, abgerufen am 23.07.2024.