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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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Nachdem ich diesen Uriasbrief unter schwermüthigen und schmerz¬
vollen Betrachtungen, die ich nicht laut äußern durfte, der verdienst¬
vollen pensionirten Frau Lieutenantin und Posto-Commandantin
zurückgestellt hatte, fuhr sie in ihrer Erzählung fort: Sem Bursche ist,
unter uns gesagt, ein niederträchtiger Mensch? Wenn, es nicht die¬
ser Lieutenant wäre, den ich von ganzem Herzen hasse, so würde ich
diesen Menschen in die Gasse bringen! -- Ich habe ihn bereits so
weit gewonnen, daß er nicht nur Alles erzählt, waS sein Herr thut
und macht, -- wer zu ihm kommt u. s. w., sondern er bringt uns
auch alle Tage getreulich, wenn der Lieutenant ausgeht, alle Briefe,
die er empfängt und schreibt, und alle Bücher, die er liest. Das
Hören und Sehen vergeht Einem" oft, was man da erfährt!
Sie haben gar keinen Begriff, wie er mich und meinen Pauli schildert!
-- Aber das wäre Alles Nichts gegen das, was er liest.! -- Da
gibt's bald italienische, bald französische Bücher, die, wenn man sie
nnr aufmacht, nach Revolution riechen, und mein Pauli, der zwar
keine dieser Sprachen versteht, hätte schon aus Voreiligkeit und aus
Zorn mehrere dieser Bücher verbrannt, wenn ich ihn nicht abgehal¬
ten hätte. Das Wort "Mord" (mort) stand in einem dieser Bücher
auf jedem Blatte und das Wort "Revolution" fast in jeder Zeile.
Die deutschen Bücher, die er liest, sind meistens nur Übersetzungen
aus dem Englischen und Französischen, (und stellen Sie sich vor)
auch aus dem Türkischen. -- Da betrachten Sie, sprach die Frau
Posto-Commandantin, indem sie mir ein Buch reichte, was dieser
Mensch zusammenliest! -- Es waren Uoung's Nachtgedanken im
Englischen! -- Eure Gnaden, sagte ich, schreiben Sie den Titel
dieses Buches genau ab, und der Herr Hauptmann kann dieses an¬
zeigen, und dem Lieutenant muß das Genicke gebrochen werden, denn
.es ist ein fürchterliches Buch! -- Die Frau Posto-Commandantin
lachte über diese Zusicherung mit einer solchen verächtlichen Schaden¬
freude, daß ich zum ersten Male die mir angebotene Mariage-Partie
unter einem Vorwande auszuschlagen wagte, und sie vielmehr bat,
in ihrer Erzählung fortzufahren. -- Der Privatdiener deS Lieute¬
nants, fuhr die Frau Posto-Commandantin mit einem unterdrückten
Zorn fort, hat schon in Mantua über seinen Herrn, einen Haupt¬
mann, der mit ihm im Arsenale logirte, referirt. Dieser Hauptmann,
nach der Aussage des Burschen, hat sich des ganzen Vertrauens


Nachdem ich diesen Uriasbrief unter schwermüthigen und schmerz¬
vollen Betrachtungen, die ich nicht laut äußern durfte, der verdienst¬
vollen pensionirten Frau Lieutenantin und Posto-Commandantin
zurückgestellt hatte, fuhr sie in ihrer Erzählung fort: Sem Bursche ist,
unter uns gesagt, ein niederträchtiger Mensch? Wenn, es nicht die¬
ser Lieutenant wäre, den ich von ganzem Herzen hasse, so würde ich
diesen Menschen in die Gasse bringen! — Ich habe ihn bereits so
weit gewonnen, daß er nicht nur Alles erzählt, waS sein Herr thut
und macht, — wer zu ihm kommt u. s. w., sondern er bringt uns
auch alle Tage getreulich, wenn der Lieutenant ausgeht, alle Briefe,
die er empfängt und schreibt, und alle Bücher, die er liest. Das
Hören und Sehen vergeht Einem« oft, was man da erfährt!
Sie haben gar keinen Begriff, wie er mich und meinen Pauli schildert!
— Aber das wäre Alles Nichts gegen das, was er liest.! — Da
gibt's bald italienische, bald französische Bücher, die, wenn man sie
nnr aufmacht, nach Revolution riechen, und mein Pauli, der zwar
keine dieser Sprachen versteht, hätte schon aus Voreiligkeit und aus
Zorn mehrere dieser Bücher verbrannt, wenn ich ihn nicht abgehal¬
ten hätte. Das Wort „Mord" (mort) stand in einem dieser Bücher
auf jedem Blatte und das Wort „Revolution" fast in jeder Zeile.
Die deutschen Bücher, die er liest, sind meistens nur Übersetzungen
aus dem Englischen und Französischen, (und stellen Sie sich vor)
auch aus dem Türkischen. — Da betrachten Sie, sprach die Frau
Posto-Commandantin, indem sie mir ein Buch reichte, was dieser
Mensch zusammenliest! — Es waren Uoung's Nachtgedanken im
Englischen! — Eure Gnaden, sagte ich, schreiben Sie den Titel
dieses Buches genau ab, und der Herr Hauptmann kann dieses an¬
zeigen, und dem Lieutenant muß das Genicke gebrochen werden, denn
.es ist ein fürchterliches Buch! — Die Frau Posto-Commandantin
lachte über diese Zusicherung mit einer solchen verächtlichen Schaden¬
freude, daß ich zum ersten Male die mir angebotene Mariage-Partie
unter einem Vorwande auszuschlagen wagte, und sie vielmehr bat,
in ihrer Erzählung fortzufahren. — Der Privatdiener deS Lieute¬
nants, fuhr die Frau Posto-Commandantin mit einem unterdrückten
Zorn fort, hat schon in Mantua über seinen Herrn, einen Haupt¬
mann, der mit ihm im Arsenale logirte, referirt. Dieser Hauptmann,
nach der Aussage des Burschen, hat sich des ganzen Vertrauens


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[0606] Nachdem ich diesen Uriasbrief unter schwermüthigen und schmerz¬ vollen Betrachtungen, die ich nicht laut äußern durfte, der verdienst¬ vollen pensionirten Frau Lieutenantin und Posto-Commandantin zurückgestellt hatte, fuhr sie in ihrer Erzählung fort: Sem Bursche ist, unter uns gesagt, ein niederträchtiger Mensch? Wenn, es nicht die¬ ser Lieutenant wäre, den ich von ganzem Herzen hasse, so würde ich diesen Menschen in die Gasse bringen! — Ich habe ihn bereits so weit gewonnen, daß er nicht nur Alles erzählt, waS sein Herr thut und macht, — wer zu ihm kommt u. s. w., sondern er bringt uns auch alle Tage getreulich, wenn der Lieutenant ausgeht, alle Briefe, die er empfängt und schreibt, und alle Bücher, die er liest. Das Hören und Sehen vergeht Einem« oft, was man da erfährt! Sie haben gar keinen Begriff, wie er mich und meinen Pauli schildert! — Aber das wäre Alles Nichts gegen das, was er liest.! — Da gibt's bald italienische, bald französische Bücher, die, wenn man sie nnr aufmacht, nach Revolution riechen, und mein Pauli, der zwar keine dieser Sprachen versteht, hätte schon aus Voreiligkeit und aus Zorn mehrere dieser Bücher verbrannt, wenn ich ihn nicht abgehal¬ ten hätte. Das Wort „Mord" (mort) stand in einem dieser Bücher auf jedem Blatte und das Wort „Revolution" fast in jeder Zeile. Die deutschen Bücher, die er liest, sind meistens nur Übersetzungen aus dem Englischen und Französischen, (und stellen Sie sich vor) auch aus dem Türkischen. — Da betrachten Sie, sprach die Frau Posto-Commandantin, indem sie mir ein Buch reichte, was dieser Mensch zusammenliest! — Es waren Uoung's Nachtgedanken im Englischen! — Eure Gnaden, sagte ich, schreiben Sie den Titel dieses Buches genau ab, und der Herr Hauptmann kann dieses an¬ zeigen, und dem Lieutenant muß das Genicke gebrochen werden, denn .es ist ein fürchterliches Buch! — Die Frau Posto-Commandantin lachte über diese Zusicherung mit einer solchen verächtlichen Schaden¬ freude, daß ich zum ersten Male die mir angebotene Mariage-Partie unter einem Vorwande auszuschlagen wagte, und sie vielmehr bat, in ihrer Erzählung fortzufahren. — Der Privatdiener deS Lieute¬ nants, fuhr die Frau Posto-Commandantin mit einem unterdrückten Zorn fort, hat schon in Mantua über seinen Herrn, einen Haupt¬ mann, der mit ihm im Arsenale logirte, referirt. Dieser Hauptmann, nach der Aussage des Burschen, hat sich des ganzen Vertrauens

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/606>, abgerufen am 23.12.2024.