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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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Bette sprang, hörte den Hahn an seiner Flinte knacken, die immer
neben ihm hing, da erwachte ich. Wer da? oder ich schieße! rief
es jetzt auf der Treppe. Ich bin es ja! sagte ich weinerlich und
ließ mich gutwillig wieder in mein Bett schaffen. Ich glaube, der
Junge ist mondsüchtig! hörte ich den Vetter sagen.

Am nächsten Tage hatte ich Fieber und phantasirte erst recht
toll von der Herrlichkeit Italiens. Ich mußte Thee trinken und durfte
auch nicht wieder in das Himmelreich; aber der Thee half Nichts,
denn die unbeschreibliche Sehnsucht, die mich damals erfaßt hatte, ist
heute noch nicht von mir gewichen.




Wie doch das Schicksal waltet! Es ist noch nicht zehn Jahre,
seit Heinrich Liebau diese Erzählung aus seinem Leben niederschrieb.
Er war damals noch ein frischer Student, und wir liebten uns so
recht von ganzem Herzen. Sein Bild steht noch so wahr, so lebhaft
vor mir, daß mir immer noch ist, als schauten seine dunkeln, sehn¬
süchtig glühenden Augen tief in das Innerste meiner Seele. O wie
schwärmerisch begeistert war er, wenn wir davon sprachen, wie wir
mit einander Italien durchwandern und in seinen Wonnen schwelgen
wollten! Wir waren nur kurze Zeit beisammen, da trennten sich un¬
sere Wege, aber die Herzen schlugen immer wärmer für einander.
Einmal sagte er mir in einem Briefe kurz: Ich muß in die Welt;
wenn Du diesen Brief erhältst, bin ich auf dem Ocean. Wo ich
mich aufhalte, erfährst Du nicht eher, bis ich gefunden habe, was
ich suche. Lebe wohl!

Es sind viele Jahre verflossen, ich habe Nichts wieder von ihm
gehört. Vielleicht hat er auf einer schattigen Insel im stillen Ocean
gefunden, was er sucht; vielleicht hat er die Sehnsucht verlernt und
schläft ruhig in einer kühlen Wohnung unter wehenden Palmen und
Eypressen. Mir ist noch nicht so wohl geworden, und ich wünsche
mir auch die Ruhe nicht, denn nur im Kampf ist Leben und Lebens-
glück.




Bette sprang, hörte den Hahn an seiner Flinte knacken, die immer
neben ihm hing, da erwachte ich. Wer da? oder ich schieße! rief
es jetzt auf der Treppe. Ich bin es ja! sagte ich weinerlich und
ließ mich gutwillig wieder in mein Bett schaffen. Ich glaube, der
Junge ist mondsüchtig! hörte ich den Vetter sagen.

Am nächsten Tage hatte ich Fieber und phantasirte erst recht
toll von der Herrlichkeit Italiens. Ich mußte Thee trinken und durfte
auch nicht wieder in das Himmelreich; aber der Thee half Nichts,
denn die unbeschreibliche Sehnsucht, die mich damals erfaßt hatte, ist
heute noch nicht von mir gewichen.




Wie doch das Schicksal waltet! Es ist noch nicht zehn Jahre,
seit Heinrich Liebau diese Erzählung aus seinem Leben niederschrieb.
Er war damals noch ein frischer Student, und wir liebten uns so
recht von ganzem Herzen. Sein Bild steht noch so wahr, so lebhaft
vor mir, daß mir immer noch ist, als schauten seine dunkeln, sehn¬
süchtig glühenden Augen tief in das Innerste meiner Seele. O wie
schwärmerisch begeistert war er, wenn wir davon sprachen, wie wir
mit einander Italien durchwandern und in seinen Wonnen schwelgen
wollten! Wir waren nur kurze Zeit beisammen, da trennten sich un¬
sere Wege, aber die Herzen schlugen immer wärmer für einander.
Einmal sagte er mir in einem Briefe kurz: Ich muß in die Welt;
wenn Du diesen Brief erhältst, bin ich auf dem Ocean. Wo ich
mich aufhalte, erfährst Du nicht eher, bis ich gefunden habe, was
ich suche. Lebe wohl!

Es sind viele Jahre verflossen, ich habe Nichts wieder von ihm
gehört. Vielleicht hat er auf einer schattigen Insel im stillen Ocean
gefunden, was er sucht; vielleicht hat er die Sehnsucht verlernt und
schläft ruhig in einer kühlen Wohnung unter wehenden Palmen und
Eypressen. Mir ist noch nicht so wohl geworden, und ich wünsche
mir auch die Ruhe nicht, denn nur im Kampf ist Leben und Lebens-
glück.




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[0599] Bette sprang, hörte den Hahn an seiner Flinte knacken, die immer neben ihm hing, da erwachte ich. Wer da? oder ich schieße! rief es jetzt auf der Treppe. Ich bin es ja! sagte ich weinerlich und ließ mich gutwillig wieder in mein Bett schaffen. Ich glaube, der Junge ist mondsüchtig! hörte ich den Vetter sagen. Am nächsten Tage hatte ich Fieber und phantasirte erst recht toll von der Herrlichkeit Italiens. Ich mußte Thee trinken und durfte auch nicht wieder in das Himmelreich; aber der Thee half Nichts, denn die unbeschreibliche Sehnsucht, die mich damals erfaßt hatte, ist heute noch nicht von mir gewichen. Wie doch das Schicksal waltet! Es ist noch nicht zehn Jahre, seit Heinrich Liebau diese Erzählung aus seinem Leben niederschrieb. Er war damals noch ein frischer Student, und wir liebten uns so recht von ganzem Herzen. Sein Bild steht noch so wahr, so lebhaft vor mir, daß mir immer noch ist, als schauten seine dunkeln, sehn¬ süchtig glühenden Augen tief in das Innerste meiner Seele. O wie schwärmerisch begeistert war er, wenn wir davon sprachen, wie wir mit einander Italien durchwandern und in seinen Wonnen schwelgen wollten! Wir waren nur kurze Zeit beisammen, da trennten sich un¬ sere Wege, aber die Herzen schlugen immer wärmer für einander. Einmal sagte er mir in einem Briefe kurz: Ich muß in die Welt; wenn Du diesen Brief erhältst, bin ich auf dem Ocean. Wo ich mich aufhalte, erfährst Du nicht eher, bis ich gefunden habe, was ich suche. Lebe wohl! Es sind viele Jahre verflossen, ich habe Nichts wieder von ihm gehört. Vielleicht hat er auf einer schattigen Insel im stillen Ocean gefunden, was er sucht; vielleicht hat er die Sehnsucht verlernt und schläft ruhig in einer kühlen Wohnung unter wehenden Palmen und Eypressen. Mir ist noch nicht so wohl geworden, und ich wünsche mir auch die Ruhe nicht, denn nur im Kampf ist Leben und Lebens- glück.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/599>, abgerufen am 23.07.2024.