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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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gen, des Senates, des Oberalten-Collegiums u. s. w. bei der Ein¬
weihung des neuen israelitischen Tempels zugegen waren. Der altere
faßte die große Zahl Derer nicht mehr, welche sich im Laufe der Jahre
dem geläuterten mosaischen Cultus angeschlossen hatten. Er hatte bei
seinem Auftauchen mit den erbittertsten Anfeindungen der orthodoxen
Partei zu kämpfen, schlug sie aber entschieden und konnte sich spater
des Triumphes rühmen, stärkern Anwachs gerade aus dem Heere sei¬
ner ehemaligen Gegner empfangen zu haben. Zwei tüchtige Kanzel¬
redner wirkten seit dem Jahre 1818 am Hamburger israelitischen
Tempel -- die Prediger Kiep und Salomon, von welchen Letzte¬
rer auch am neuen Gotteshause fortwirkt und namentlich durch die
klare, kräftige und beziehungsreiche Einweihungsrede bewies, daß sich
die jüdische Homiletik durch solche Repräsentanten der gerühmtesten
christlichen eines Dräseke, Röhr u. s. w. ohne Scheu an die Seite
stellen darf. t)r. Kiep entsagte seit 184t) dem Predigeramte und
gehört jetzt, als Director einer in vieler Hinsicht vortrefflichen israeli¬
tischen Freischule ausschließlich dem Lehrerberufe an. Im Allgemeinen
geschieht hier überraschend viel für die Bildung und praktische Erzie¬
hung der jüngeren jüdischen Generation. Wenn sich dennoch jeder
frische Nachwuchs zum größten Theile dem Handelsstande zuwendet,
so liegt der Grund hauptsächlich in der leidigen Beschränkung des
Terrains, worauf der Jude später zu wirken vermag, nicht als Staats¬
bürger oder Eingesessener, sondern, trotz des seit Kurzem gestatteten
Grundbesitzes, nur als Geduldeter, Schutzgenicßender. Näheres über
Geschichte und Verhältnisse der Hamburger Juden schreibe ich Ihnen
in einem späteren Briefe. In ihrer Vergangenheit steht manches
Moment mit der Cultur- und Sittengeschichte Hamburgs in engerer
Verbindung, als sich's beim flüchtigen Ueberschauen darthut. Erfreu¬
lich ist, daß seit geraumer Zeit die Parteikämpfe unter den hiesigen
Israeliten ihr Ende erreicht haben. Der letzte Zankapfel war ein vom
Tempelverein publicirtes Gebetbuch. Ganze Rieße Papier sind - hier
und auswärts darüber verschrieben worden.

Wie ich vernahm, hat die Stadtthcaterdircction eine Phrase mei¬
nes vorletzten Briefes sehr übel aufgenommen. Ich sprach von dem
Verbot, welches das im Thaliatheater erwartete Kinderballet der Wie¬
nerin Weiß betroffen hatte und fügte hinzu -- Fama behaupte,
eine rivalisirende Theaterdirection könne wohl einigen mephistophelischen
Einfluß in dieser Angelegenheit entwickelt haben. Natürlich gelte ich
jetzt als ein Generalböscwicht, als Erzfeind des Stadtthcaters und
als Champion der Thaliatheaterdirection, als ein Mensch, der mehr
'As je "den Schelm im Nacken" hat und als ein Undankbarer oben¬
drein, denn man hat ja ein paar Stücke aus meiner Feder gütigst
zur Darstellung angenommen und -- nicht minder bereitwillig wie
bei andern Autoren im Voraus honorirt, Wirklich, anerkennungs-


gen, des Senates, des Oberalten-Collegiums u. s. w. bei der Ein¬
weihung des neuen israelitischen Tempels zugegen waren. Der altere
faßte die große Zahl Derer nicht mehr, welche sich im Laufe der Jahre
dem geläuterten mosaischen Cultus angeschlossen hatten. Er hatte bei
seinem Auftauchen mit den erbittertsten Anfeindungen der orthodoxen
Partei zu kämpfen, schlug sie aber entschieden und konnte sich spater
des Triumphes rühmen, stärkern Anwachs gerade aus dem Heere sei¬
ner ehemaligen Gegner empfangen zu haben. Zwei tüchtige Kanzel¬
redner wirkten seit dem Jahre 1818 am Hamburger israelitischen
Tempel — die Prediger Kiep und Salomon, von welchen Letzte¬
rer auch am neuen Gotteshause fortwirkt und namentlich durch die
klare, kräftige und beziehungsreiche Einweihungsrede bewies, daß sich
die jüdische Homiletik durch solche Repräsentanten der gerühmtesten
christlichen eines Dräseke, Röhr u. s. w. ohne Scheu an die Seite
stellen darf. t)r. Kiep entsagte seit 184t) dem Predigeramte und
gehört jetzt, als Director einer in vieler Hinsicht vortrefflichen israeli¬
tischen Freischule ausschließlich dem Lehrerberufe an. Im Allgemeinen
geschieht hier überraschend viel für die Bildung und praktische Erzie¬
hung der jüngeren jüdischen Generation. Wenn sich dennoch jeder
frische Nachwuchs zum größten Theile dem Handelsstande zuwendet,
so liegt der Grund hauptsächlich in der leidigen Beschränkung des
Terrains, worauf der Jude später zu wirken vermag, nicht als Staats¬
bürger oder Eingesessener, sondern, trotz des seit Kurzem gestatteten
Grundbesitzes, nur als Geduldeter, Schutzgenicßender. Näheres über
Geschichte und Verhältnisse der Hamburger Juden schreibe ich Ihnen
in einem späteren Briefe. In ihrer Vergangenheit steht manches
Moment mit der Cultur- und Sittengeschichte Hamburgs in engerer
Verbindung, als sich's beim flüchtigen Ueberschauen darthut. Erfreu¬
lich ist, daß seit geraumer Zeit die Parteikämpfe unter den hiesigen
Israeliten ihr Ende erreicht haben. Der letzte Zankapfel war ein vom
Tempelverein publicirtes Gebetbuch. Ganze Rieße Papier sind - hier
und auswärts darüber verschrieben worden.

Wie ich vernahm, hat die Stadtthcaterdircction eine Phrase mei¬
nes vorletzten Briefes sehr übel aufgenommen. Ich sprach von dem
Verbot, welches das im Thaliatheater erwartete Kinderballet der Wie¬
nerin Weiß betroffen hatte und fügte hinzu — Fama behaupte,
eine rivalisirende Theaterdirection könne wohl einigen mephistophelischen
Einfluß in dieser Angelegenheit entwickelt haben. Natürlich gelte ich
jetzt als ein Generalböscwicht, als Erzfeind des Stadtthcaters und
als Champion der Thaliatheaterdirection, als ein Mensch, der mehr
'As je „den Schelm im Nacken" hat und als ein Undankbarer oben¬
drein, denn man hat ja ein paar Stücke aus meiner Feder gütigst
zur Darstellung angenommen und — nicht minder bereitwillig wie
bei andern Autoren im Voraus honorirt, Wirklich, anerkennungs-


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[0572] gen, des Senates, des Oberalten-Collegiums u. s. w. bei der Ein¬ weihung des neuen israelitischen Tempels zugegen waren. Der altere faßte die große Zahl Derer nicht mehr, welche sich im Laufe der Jahre dem geläuterten mosaischen Cultus angeschlossen hatten. Er hatte bei seinem Auftauchen mit den erbittertsten Anfeindungen der orthodoxen Partei zu kämpfen, schlug sie aber entschieden und konnte sich spater des Triumphes rühmen, stärkern Anwachs gerade aus dem Heere sei¬ ner ehemaligen Gegner empfangen zu haben. Zwei tüchtige Kanzel¬ redner wirkten seit dem Jahre 1818 am Hamburger israelitischen Tempel — die Prediger Kiep und Salomon, von welchen Letzte¬ rer auch am neuen Gotteshause fortwirkt und namentlich durch die klare, kräftige und beziehungsreiche Einweihungsrede bewies, daß sich die jüdische Homiletik durch solche Repräsentanten der gerühmtesten christlichen eines Dräseke, Röhr u. s. w. ohne Scheu an die Seite stellen darf. t)r. Kiep entsagte seit 184t) dem Predigeramte und gehört jetzt, als Director einer in vieler Hinsicht vortrefflichen israeli¬ tischen Freischule ausschließlich dem Lehrerberufe an. Im Allgemeinen geschieht hier überraschend viel für die Bildung und praktische Erzie¬ hung der jüngeren jüdischen Generation. Wenn sich dennoch jeder frische Nachwuchs zum größten Theile dem Handelsstande zuwendet, so liegt der Grund hauptsächlich in der leidigen Beschränkung des Terrains, worauf der Jude später zu wirken vermag, nicht als Staats¬ bürger oder Eingesessener, sondern, trotz des seit Kurzem gestatteten Grundbesitzes, nur als Geduldeter, Schutzgenicßender. Näheres über Geschichte und Verhältnisse der Hamburger Juden schreibe ich Ihnen in einem späteren Briefe. In ihrer Vergangenheit steht manches Moment mit der Cultur- und Sittengeschichte Hamburgs in engerer Verbindung, als sich's beim flüchtigen Ueberschauen darthut. Erfreu¬ lich ist, daß seit geraumer Zeit die Parteikämpfe unter den hiesigen Israeliten ihr Ende erreicht haben. Der letzte Zankapfel war ein vom Tempelverein publicirtes Gebetbuch. Ganze Rieße Papier sind - hier und auswärts darüber verschrieben worden. Wie ich vernahm, hat die Stadtthcaterdircction eine Phrase mei¬ nes vorletzten Briefes sehr übel aufgenommen. Ich sprach von dem Verbot, welches das im Thaliatheater erwartete Kinderballet der Wie¬ nerin Weiß betroffen hatte und fügte hinzu — Fama behaupte, eine rivalisirende Theaterdirection könne wohl einigen mephistophelischen Einfluß in dieser Angelegenheit entwickelt haben. Natürlich gelte ich jetzt als ein Generalböscwicht, als Erzfeind des Stadtthcaters und als Champion der Thaliatheaterdirection, als ein Mensch, der mehr 'As je „den Schelm im Nacken" hat und als ein Undankbarer oben¬ drein, denn man hat ja ein paar Stücke aus meiner Feder gütigst zur Darstellung angenommen und — nicht minder bereitwillig wie bei andern Autoren im Voraus honorirt, Wirklich, anerkennungs-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/572>, abgerufen am 23.12.2024.