Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.hätte der Mond eine Gewalt über uns und zöge uns hinauf. Denn Diese Kraft haben nun auch manche Menschen in den Augen, Deshalb sagte ich, des Mädchens Auge wäre wie eine Mond¬ Jetzt donnerten die Kanonen von allen Schiffen, von hundert hätte der Mond eine Gewalt über uns und zöge uns hinauf. Denn Diese Kraft haben nun auch manche Menschen in den Augen, Deshalb sagte ich, des Mädchens Auge wäre wie eine Mond¬ Jetzt donnerten die Kanonen von allen Schiffen, von hundert <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0549" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/181108"/> <p xml:id="ID_1344" prev="#ID_1343"> hätte der Mond eine Gewalt über uns und zöge uns hinauf. Denn<lb/> solche mordsüchtige Leute steigen auf die höchsten Dächer und Thürme<lb/> und fallen doch nicht herab; aber man darf sie nicht wecken, sonst<lb/> stürzen sie sich zu Tode.</p><lb/> <p xml:id="ID_1345"> Diese Kraft haben nun auch manche Menschen in den Augen,<lb/> und wenn ihnen Jemand recht tief hineinschaut, so ist er an sie ge¬<lb/> bunden und hat keine Ruhe bei Tag und bei Nacht. Und wenn er<lb/> den Gegenstand seiner Sehnsucht nicht erreichen kann, so verschmach¬<lb/> tet er, und es gibt auch kein Mittel gegen ein solches Uebel, als<lb/> — eine Heirath.</p><lb/> <p xml:id="ID_1346"> Deshalb sagte ich, des Mädchens Auge wäre wie eine Mond¬<lb/> scheinnacht gewesen. Denn wie Georg sie erblickt hatte, so war er<lb/> auch wie verzaubert und dachte: Die ist's! Das Mädchen schaute<lb/> hernieder auf das belebte Wasser, und ihr Antlitz umgab ein seiner<lb/> seidener Schleier, der doch gleichwohl Nichts verhüllte. Sie bemerkte<lb/> Georg auch und ihr Auge ruhte mit Wohlgefallen auf dem kräftigen<lb/> Jungen, der schlank und hoch mit seinem Nuder und der Laute am<lb/> rothen Band um den Nacken im Kahne stand. Georg hätte gern<lb/> seinem Herzen in einem Liede Luft gemacht, aber er durfte es ja<lb/> mitten unter der Menschenmenge nicht wagen und mochte es auch<lb/> Niemandem verrathen, welche schöne Perle er gefunden habe.</p><lb/> <p xml:id="ID_1347" next="#ID_1348"> Jetzt donnerten die Kanonen von allen Schiffen, von hundert<lb/> Thürmen läuteten die Glocken, das golvene Schiff des Herzogs kam<lb/> prächtig einhergeschwommen, alle Gondeln und Kähne drängten sich<lb/> in seine Nähe, aber Georg hatte für Nichts Auge, als für das Mäd¬<lb/> chen. Wie Alles hinüberstarrte, nahm er schnell seine goldene Kette<lb/> vom Halse, hing sie über die Nuderstange und reichte sie der Ge¬<lb/> liebten hinauf. Ueber ihr Antlitz flog eine Nöthe, wie über den<lb/> Himmel beim Sonnenaufgang; doch nahm sie die Kette und hing<lb/> ihre eigene an das Ruder. Wer war seliger als Georg! Er küßte,<lb/> daß sie es sah, das goldene Herz der Kette, verbarg sie an seinem<lb/> Herzen und fuhr schnell ein wenig hinweg. Jetzt donnerten wieder<lb/> die Kanonen, der Herzog hatte sich mit dem Meere vermählt in Ve¬<lb/> nedigs Namen und segelte zurück in den Hafen; ihm folgten all die<lb/> Tausende von Schiffen und Gondeln im bunten Gewühl, aber Georg<lb/> verlor das Schiff, welches ihm am liebsten war, nicht aus den An-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0549]
hätte der Mond eine Gewalt über uns und zöge uns hinauf. Denn
solche mordsüchtige Leute steigen auf die höchsten Dächer und Thürme
und fallen doch nicht herab; aber man darf sie nicht wecken, sonst
stürzen sie sich zu Tode.
Diese Kraft haben nun auch manche Menschen in den Augen,
und wenn ihnen Jemand recht tief hineinschaut, so ist er an sie ge¬
bunden und hat keine Ruhe bei Tag und bei Nacht. Und wenn er
den Gegenstand seiner Sehnsucht nicht erreichen kann, so verschmach¬
tet er, und es gibt auch kein Mittel gegen ein solches Uebel, als
— eine Heirath.
Deshalb sagte ich, des Mädchens Auge wäre wie eine Mond¬
scheinnacht gewesen. Denn wie Georg sie erblickt hatte, so war er
auch wie verzaubert und dachte: Die ist's! Das Mädchen schaute
hernieder auf das belebte Wasser, und ihr Antlitz umgab ein seiner
seidener Schleier, der doch gleichwohl Nichts verhüllte. Sie bemerkte
Georg auch und ihr Auge ruhte mit Wohlgefallen auf dem kräftigen
Jungen, der schlank und hoch mit seinem Nuder und der Laute am
rothen Band um den Nacken im Kahne stand. Georg hätte gern
seinem Herzen in einem Liede Luft gemacht, aber er durfte es ja
mitten unter der Menschenmenge nicht wagen und mochte es auch
Niemandem verrathen, welche schöne Perle er gefunden habe.
Jetzt donnerten die Kanonen von allen Schiffen, von hundert
Thürmen läuteten die Glocken, das golvene Schiff des Herzogs kam
prächtig einhergeschwommen, alle Gondeln und Kähne drängten sich
in seine Nähe, aber Georg hatte für Nichts Auge, als für das Mäd¬
chen. Wie Alles hinüberstarrte, nahm er schnell seine goldene Kette
vom Halse, hing sie über die Nuderstange und reichte sie der Ge¬
liebten hinauf. Ueber ihr Antlitz flog eine Nöthe, wie über den
Himmel beim Sonnenaufgang; doch nahm sie die Kette und hing
ihre eigene an das Ruder. Wer war seliger als Georg! Er küßte,
daß sie es sah, das goldene Herz der Kette, verbarg sie an seinem
Herzen und fuhr schnell ein wenig hinweg. Jetzt donnerten wieder
die Kanonen, der Herzog hatte sich mit dem Meere vermählt in Ve¬
nedigs Namen und segelte zurück in den Hafen; ihm folgten all die
Tausende von Schiffen und Gondeln im bunten Gewühl, aber Georg
verlor das Schiff, welches ihm am liebsten war, nicht aus den An-
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