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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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-- DaS war doch nicht die Stimme unserer Kuh? sagte der
Vater. -- Freilich war sie es, entgegnete die Mutter, ich habe vor
lauter Freude dem armen Vieh noch nicht zu fressen gegeben. Sie
zündete die Laterne an und ging in den Stall, Gorge aber ging mit.
Und Wunder über Wunder, da Mut neben ihrer Kuh noch eine,
und dem Alten ging es wie seinem Georg; er dachte, daß er träume.

Die Kinder jauchzten noch über den so unerwarteten und reichen
heiligen Christ, der alte Georg schritt schmunzelnd in der Stube auf
und ab, die Hausfrau legte für den Mittag einen schönen Schweine¬
braten in die Pfanne, da trat der Bauer Melchior herein. Auf ein¬
mal verfinsterte sich das Gesicht des Hausvaters, wie wenn eine
Gewitterwolke vor die helle Sonne tritt. Er dachte: o weh! der
kommt mahnen und nimmt mir am Ende doch noch das Häuschen
ab. Denn Melchior war sein Gläubiger und mochte nicht länger
Geduld haben. Aber wie erstaunte er, als Melchior freundlich sagte:
Nun, nachbarlich wünsche Euch Glück zu den Feiertagen! El, wie
ist der heilige Christ bei Euch eingezogen! Solche schöne Sachen
hat er meinen Kindern nicht mitgebracht. Und da wir jetzt in Nich¬
tigkeit sind, so steht Euch mein Beutel jederzeit wieder offen, wenn
etwas brauenolltet denn richtie Rechnung macht ute Freunde!

r;gg
-- In Nichtigkeit? Wie meint Ihr das? fragte der alte Georg.
-- Wie esagt, fuhr Melchior fort, ich bin bezahlt, und der

g
Adam und der Pfeiferfriedel auch. Ihr dürft nicht darnach fragen;
ein reicher Herr hat Euch schuldenfrei gemacht und hat Euch auch
dem Jahnsmüller seine Schenke gekauft, die schönste Kuh im ganzen
Dorf.

Das war dem Bauer fast zu viel Glück auf einmal. Die letzte
Spur von Schwäche, die er von der Krankheit her noch fühlte, ver¬
schwand; er zog seine neuen Kleider an, die ihm beschert worden
waren, und ging nach Adorf in die Kirche, um Gott für seinen rei¬
chen Segen von ganzem Herzen zu danken.

Ihr errathet wohl, daß die kluge Frau das Alles im Geheimen
so angestellt hatte. Sie hatte aber immer noch einen Nest in ihrem
Beutel, womit sie gut zu wirthschaften wußte. So kam das Haus¬
wesen der armen Leute wieder in die Höhe, und sie galten überall


Grenzboten I8i-i. II. ßH

— DaS war doch nicht die Stimme unserer Kuh? sagte der
Vater. — Freilich war sie es, entgegnete die Mutter, ich habe vor
lauter Freude dem armen Vieh noch nicht zu fressen gegeben. Sie
zündete die Laterne an und ging in den Stall, Gorge aber ging mit.
Und Wunder über Wunder, da Mut neben ihrer Kuh noch eine,
und dem Alten ging es wie seinem Georg; er dachte, daß er träume.

Die Kinder jauchzten noch über den so unerwarteten und reichen
heiligen Christ, der alte Georg schritt schmunzelnd in der Stube auf
und ab, die Hausfrau legte für den Mittag einen schönen Schweine¬
braten in die Pfanne, da trat der Bauer Melchior herein. Auf ein¬
mal verfinsterte sich das Gesicht des Hausvaters, wie wenn eine
Gewitterwolke vor die helle Sonne tritt. Er dachte: o weh! der
kommt mahnen und nimmt mir am Ende doch noch das Häuschen
ab. Denn Melchior war sein Gläubiger und mochte nicht länger
Geduld haben. Aber wie erstaunte er, als Melchior freundlich sagte:
Nun, nachbarlich wünsche Euch Glück zu den Feiertagen! El, wie
ist der heilige Christ bei Euch eingezogen! Solche schöne Sachen
hat er meinen Kindern nicht mitgebracht. Und da wir jetzt in Nich¬
tigkeit sind, so steht Euch mein Beutel jederzeit wieder offen, wenn
etwas brauenolltet denn richtie Rechnung macht ute Freunde!

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— In Nichtigkeit? Wie meint Ihr das? fragte der alte Georg.
— Wie esagt, fuhr Melchior fort, ich bin bezahlt, und der

g
Adam und der Pfeiferfriedel auch. Ihr dürft nicht darnach fragen;
ein reicher Herr hat Euch schuldenfrei gemacht und hat Euch auch
dem Jahnsmüller seine Schenke gekauft, die schönste Kuh im ganzen
Dorf.

Das war dem Bauer fast zu viel Glück auf einmal. Die letzte
Spur von Schwäche, die er von der Krankheit her noch fühlte, ver¬
schwand; er zog seine neuen Kleider an, die ihm beschert worden
waren, und ging nach Adorf in die Kirche, um Gott für seinen rei¬
chen Segen von ganzem Herzen zu danken.

Ihr errathet wohl, daß die kluge Frau das Alles im Geheimen
so angestellt hatte. Sie hatte aber immer noch einen Nest in ihrem
Beutel, womit sie gut zu wirthschaften wußte. So kam das Haus¬
wesen der armen Leute wieder in die Höhe, und sie galten überall


Grenzboten I8i-i. II. ßH
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[0545] — DaS war doch nicht die Stimme unserer Kuh? sagte der Vater. — Freilich war sie es, entgegnete die Mutter, ich habe vor lauter Freude dem armen Vieh noch nicht zu fressen gegeben. Sie zündete die Laterne an und ging in den Stall, Gorge aber ging mit. Und Wunder über Wunder, da Mut neben ihrer Kuh noch eine, und dem Alten ging es wie seinem Georg; er dachte, daß er träume. Die Kinder jauchzten noch über den so unerwarteten und reichen heiligen Christ, der alte Georg schritt schmunzelnd in der Stube auf und ab, die Hausfrau legte für den Mittag einen schönen Schweine¬ braten in die Pfanne, da trat der Bauer Melchior herein. Auf ein¬ mal verfinsterte sich das Gesicht des Hausvaters, wie wenn eine Gewitterwolke vor die helle Sonne tritt. Er dachte: o weh! der kommt mahnen und nimmt mir am Ende doch noch das Häuschen ab. Denn Melchior war sein Gläubiger und mochte nicht länger Geduld haben. Aber wie erstaunte er, als Melchior freundlich sagte: Nun, nachbarlich wünsche Euch Glück zu den Feiertagen! El, wie ist der heilige Christ bei Euch eingezogen! Solche schöne Sachen hat er meinen Kindern nicht mitgebracht. Und da wir jetzt in Nich¬ tigkeit sind, so steht Euch mein Beutel jederzeit wieder offen, wenn etwas brauenolltet denn richtie Rechnung macht ute Freunde! r;gg — In Nichtigkeit? Wie meint Ihr das? fragte der alte Georg. — Wie esagt, fuhr Melchior fort, ich bin bezahlt, und der g Adam und der Pfeiferfriedel auch. Ihr dürft nicht darnach fragen; ein reicher Herr hat Euch schuldenfrei gemacht und hat Euch auch dem Jahnsmüller seine Schenke gekauft, die schönste Kuh im ganzen Dorf. Das war dem Bauer fast zu viel Glück auf einmal. Die letzte Spur von Schwäche, die er von der Krankheit her noch fühlte, ver¬ schwand; er zog seine neuen Kleider an, die ihm beschert worden waren, und ging nach Adorf in die Kirche, um Gott für seinen rei¬ chen Segen von ganzem Herzen zu danken. Ihr errathet wohl, daß die kluge Frau das Alles im Geheimen so angestellt hatte. Sie hatte aber immer noch einen Nest in ihrem Beutel, womit sie gut zu wirthschaften wußte. So kam das Haus¬ wesen der armen Leute wieder in die Höhe, und sie galten überall Grenzboten I8i-i. II. ßH

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/545>, abgerufen am 23.07.2024.