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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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der bevorstehenden Abreise gesprochen, Georgs aber wurde keine Er¬
wähnung gethan.

Alle legten sich wie gewöhnlich ruhig schlafen. Georg lag mit
seinen Geschwistern in einer Kammer. Als der kleine Hans nicht
mehr schrie, der mit drüben bei der Mutter lag, und Christoph und
Christel tief Athem holten, wie man es im Schlafe thut, stand er
auf, zog seine Sonntagskleider an und legte sich auf das Bette. Er -
mochte nicht einschlafen, aber er träumte mit offnen Augen. Da
war es ihm endlich, als rüste der Venetianer seinen Namen, als
stände er auf und ginge fort aus seines Vaters Haus. Und nun
war ihm wieder, als säße er in einem schönen Wagen mit dem
Fremden und er sähe große Städte und äße und tränke so herrlich
wie ein König, und so ging es fort in einem Traum. Eben hatte
er von der Ankunft in Venedig geträumt, da fuhr er auf und dachte:
Hilf Himmel, du hast dich verschlafen, und der Fremde ist sort!

Aber wie staunte er, als er sah, daß er in einem weichen, seidenen
Bette schlief, und daß die Sonne durch rothseidene Vorhänge herein-
schien auf sein Gesicht. Er dachte immer noch, er träume, schlug
endlich die Vorhänge zurück und erblickte ein wunderschönes Zimmer.
Da sprang er aus dem Bette, erschrack aber gewaltig, als er nicht
weit von sich einen mächtigen Löwen unter einem rothen Vorhange
hervorschauen und den Nachen öffnen sah. Da fuhr er zurück und
wollte wieder in sein Bett sich flüchten, aber Hilf Himmel! das war
in einen Tiger verwandelt/ Da aber die Sonne hell auf den schien,
so entdeckte er zu seiner Freude, daß der Tiger nicht lebendig, son¬
dern von Gold war, und diese Bewandtniß hatte es auch mit
dem Löwen.

Neben seinem Bette lagen prächtige sammetne Kleider, mit Gold
gestickt. Nach einigem Bedenken zog er die an und trat an das
Fenster. Da sah er eine Stadt, so hoch und herrlich, wie er in
seinem Leben noch nicht gesehen hatte, daß ^r sich in seiner
Freude gar nicht zu fassen vermochte. Er glaubte aber, er sei ver¬
zaubert.

-- schläfst Du, Kleiner? fragte jetzt die Alte, denn ich hatte
die Augen geschlossen und legte mich zurück in den Schooß meiner
Schwester.


der bevorstehenden Abreise gesprochen, Georgs aber wurde keine Er¬
wähnung gethan.

Alle legten sich wie gewöhnlich ruhig schlafen. Georg lag mit
seinen Geschwistern in einer Kammer. Als der kleine Hans nicht
mehr schrie, der mit drüben bei der Mutter lag, und Christoph und
Christel tief Athem holten, wie man es im Schlafe thut, stand er
auf, zog seine Sonntagskleider an und legte sich auf das Bette. Er -
mochte nicht einschlafen, aber er träumte mit offnen Augen. Da
war es ihm endlich, als rüste der Venetianer seinen Namen, als
stände er auf und ginge fort aus seines Vaters Haus. Und nun
war ihm wieder, als säße er in einem schönen Wagen mit dem
Fremden und er sähe große Städte und äße und tränke so herrlich
wie ein König, und so ging es fort in einem Traum. Eben hatte
er von der Ankunft in Venedig geträumt, da fuhr er auf und dachte:
Hilf Himmel, du hast dich verschlafen, und der Fremde ist sort!

Aber wie staunte er, als er sah, daß er in einem weichen, seidenen
Bette schlief, und daß die Sonne durch rothseidene Vorhänge herein-
schien auf sein Gesicht. Er dachte immer noch, er träume, schlug
endlich die Vorhänge zurück und erblickte ein wunderschönes Zimmer.
Da sprang er aus dem Bette, erschrack aber gewaltig, als er nicht
weit von sich einen mächtigen Löwen unter einem rothen Vorhange
hervorschauen und den Nachen öffnen sah. Da fuhr er zurück und
wollte wieder in sein Bett sich flüchten, aber Hilf Himmel! das war
in einen Tiger verwandelt/ Da aber die Sonne hell auf den schien,
so entdeckte er zu seiner Freude, daß der Tiger nicht lebendig, son¬
dern von Gold war, und diese Bewandtniß hatte es auch mit
dem Löwen.

Neben seinem Bette lagen prächtige sammetne Kleider, mit Gold
gestickt. Nach einigem Bedenken zog er die an und trat an das
Fenster. Da sah er eine Stadt, so hoch und herrlich, wie er in
seinem Leben noch nicht gesehen hatte, daß ^r sich in seiner
Freude gar nicht zu fassen vermochte. Er glaubte aber, er sei ver¬
zaubert.

— schläfst Du, Kleiner? fragte jetzt die Alte, denn ich hatte
die Augen geschlossen und legte mich zurück in den Schooß meiner
Schwester.


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[0541] der bevorstehenden Abreise gesprochen, Georgs aber wurde keine Er¬ wähnung gethan. Alle legten sich wie gewöhnlich ruhig schlafen. Georg lag mit seinen Geschwistern in einer Kammer. Als der kleine Hans nicht mehr schrie, der mit drüben bei der Mutter lag, und Christoph und Christel tief Athem holten, wie man es im Schlafe thut, stand er auf, zog seine Sonntagskleider an und legte sich auf das Bette. Er - mochte nicht einschlafen, aber er träumte mit offnen Augen. Da war es ihm endlich, als rüste der Venetianer seinen Namen, als stände er auf und ginge fort aus seines Vaters Haus. Und nun war ihm wieder, als säße er in einem schönen Wagen mit dem Fremden und er sähe große Städte und äße und tränke so herrlich wie ein König, und so ging es fort in einem Traum. Eben hatte er von der Ankunft in Venedig geträumt, da fuhr er auf und dachte: Hilf Himmel, du hast dich verschlafen, und der Fremde ist sort! Aber wie staunte er, als er sah, daß er in einem weichen, seidenen Bette schlief, und daß die Sonne durch rothseidene Vorhänge herein- schien auf sein Gesicht. Er dachte immer noch, er träume, schlug endlich die Vorhänge zurück und erblickte ein wunderschönes Zimmer. Da sprang er aus dem Bette, erschrack aber gewaltig, als er nicht weit von sich einen mächtigen Löwen unter einem rothen Vorhange hervorschauen und den Nachen öffnen sah. Da fuhr er zurück und wollte wieder in sein Bett sich flüchten, aber Hilf Himmel! das war in einen Tiger verwandelt/ Da aber die Sonne hell auf den schien, so entdeckte er zu seiner Freude, daß der Tiger nicht lebendig, son¬ dern von Gold war, und diese Bewandtniß hatte es auch mit dem Löwen. Neben seinem Bette lagen prächtige sammetne Kleider, mit Gold gestickt. Nach einigem Bedenken zog er die an und trat an das Fenster. Da sah er eine Stadt, so hoch und herrlich, wie er in seinem Leben noch nicht gesehen hatte, daß ^r sich in seiner Freude gar nicht zu fassen vermochte. Er glaubte aber, er sei ver¬ zaubert. — schläfst Du, Kleiner? fragte jetzt die Alte, denn ich hatte die Augen geschlossen und legte mich zurück in den Schooß meiner Schwester.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/541>, abgerufen am 23.07.2024.