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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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Kurfürsten und Herzöge lind haben draußen Hundert und Tau¬
sende von Schiffen, die mit allen Winden segeln und Handel treiben
mit allen Welttheilen. Mein Haus aber ist eines der größten, und
meine Schiffe dürfen sich an Pracht und Reichthum mit allen messen,
so daß ich wohl künftig ohne Sorgen zu Hause bleiben kann. Denn
hätte ich auch hundert Kinder, wie ich nur drei habe, ich könnte sie
alle reich machen.

Deß verwunderten sich nun die guten Leute sehr, denn sie konn¬
ten von dem Allen Nichts begreifen. Der Venetianer mußte noch
Viel erzählen, und sie wären nicht müde geworden zuzuhören, hätte
der Gast sie nicht erinnert, daß es Zeit sei zum Schlafen.

Nun hatte der Venetianer ein besonderes Kämmerlein im Hause,
da schlief er bei seinen wohlverschlossenen Kisten. Als um in der
Nacht Alles still war, so klopfte es leise an seine Thüre. Er dachte
eben drüber nach, wie schön es sein würde, wenn er wieder bei den
Seinen wäre, und war wegen dieser Gedanken noch nicht eingeschla¬
fen, sondern fragte: Wer da wäre?

-- Ach lieber Herr, macht mir auf, rief eS leise, ich bin
Georg und muß Euch noch Etwas sagen!

Der Wale ahnte wohl, was Georg noch in der Nacht zu ihm
treibe, und machte auf. Da trat Georg herein und setzte sich auf
das Bette zu dem Gaste und sprach: Ach, Ihr habt gesagt, Ihr.
wolltet mich mitnehmen in Eure Heimath, und wie meine Eltern
nicht wollten, so meintet Ihr, daß Elternwille gleich nach Gottes
Willen käme. Aber seht, ich will dennoch fort mit Euch, und nehmt
Ihr mich nicht mit, so laufe ich allein, so weit mich die Füße tra¬
gen. Denn mir ist, als wäre es Gottes Wille, daß ich fort sollte
von hier, und in mir sagt immer Etwas: Gott will es! Wollt Ihr
mich nun nicht mitnehmen?

-- Aber sieh', lieber Georg, sprach der Wale, wenn ich Dich
mit fortnehme, so härmt sich Deine Mutter über Dich, und die Thrä¬
nen der Eltern über ihre Kinder bringen keinen Segen!

--- Ach, sagte Georg, Weiber trösten sich bald, und meine Mut¬
ter wird sich schneller beruhigen über mein Fortgehen, als über den
Tod meines Brüderchens, und wenn Etwas aus mir wird, so wird
sie sich über mich freuen und Euch segnen. Nehmt mich mit, wenn
Ihr mich nicht unglücklich machen wollt!


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Kurfürsten und Herzöge lind haben draußen Hundert und Tau¬
sende von Schiffen, die mit allen Winden segeln und Handel treiben
mit allen Welttheilen. Mein Haus aber ist eines der größten, und
meine Schiffe dürfen sich an Pracht und Reichthum mit allen messen,
so daß ich wohl künftig ohne Sorgen zu Hause bleiben kann. Denn
hätte ich auch hundert Kinder, wie ich nur drei habe, ich könnte sie
alle reich machen.

Deß verwunderten sich nun die guten Leute sehr, denn sie konn¬
ten von dem Allen Nichts begreifen. Der Venetianer mußte noch
Viel erzählen, und sie wären nicht müde geworden zuzuhören, hätte
der Gast sie nicht erinnert, daß es Zeit sei zum Schlafen.

Nun hatte der Venetianer ein besonderes Kämmerlein im Hause,
da schlief er bei seinen wohlverschlossenen Kisten. Als um in der
Nacht Alles still war, so klopfte es leise an seine Thüre. Er dachte
eben drüber nach, wie schön es sein würde, wenn er wieder bei den
Seinen wäre, und war wegen dieser Gedanken noch nicht eingeschla¬
fen, sondern fragte: Wer da wäre?

— Ach lieber Herr, macht mir auf, rief eS leise, ich bin
Georg und muß Euch noch Etwas sagen!

Der Wale ahnte wohl, was Georg noch in der Nacht zu ihm
treibe, und machte auf. Da trat Georg herein und setzte sich auf
das Bette zu dem Gaste und sprach: Ach, Ihr habt gesagt, Ihr.
wolltet mich mitnehmen in Eure Heimath, und wie meine Eltern
nicht wollten, so meintet Ihr, daß Elternwille gleich nach Gottes
Willen käme. Aber seht, ich will dennoch fort mit Euch, und nehmt
Ihr mich nicht mit, so laufe ich allein, so weit mich die Füße tra¬
gen. Denn mir ist, als wäre es Gottes Wille, daß ich fort sollte
von hier, und in mir sagt immer Etwas: Gott will es! Wollt Ihr
mich nun nicht mitnehmen?

— Aber sieh', lieber Georg, sprach der Wale, wenn ich Dich
mit fortnehme, so härmt sich Deine Mutter über Dich, und die Thrä¬
nen der Eltern über ihre Kinder bringen keinen Segen!

—- Ach, sagte Georg, Weiber trösten sich bald, und meine Mut¬
ter wird sich schneller beruhigen über mein Fortgehen, als über den
Tod meines Brüderchens, und wenn Etwas aus mir wird, so wird
sie sich über mich freuen und Euch segnen. Nehmt mich mit, wenn
Ihr mich nicht unglücklich machen wollt!


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[0539] Kurfürsten und Herzöge lind haben draußen Hundert und Tau¬ sende von Schiffen, die mit allen Winden segeln und Handel treiben mit allen Welttheilen. Mein Haus aber ist eines der größten, und meine Schiffe dürfen sich an Pracht und Reichthum mit allen messen, so daß ich wohl künftig ohne Sorgen zu Hause bleiben kann. Denn hätte ich auch hundert Kinder, wie ich nur drei habe, ich könnte sie alle reich machen. Deß verwunderten sich nun die guten Leute sehr, denn sie konn¬ ten von dem Allen Nichts begreifen. Der Venetianer mußte noch Viel erzählen, und sie wären nicht müde geworden zuzuhören, hätte der Gast sie nicht erinnert, daß es Zeit sei zum Schlafen. Nun hatte der Venetianer ein besonderes Kämmerlein im Hause, da schlief er bei seinen wohlverschlossenen Kisten. Als um in der Nacht Alles still war, so klopfte es leise an seine Thüre. Er dachte eben drüber nach, wie schön es sein würde, wenn er wieder bei den Seinen wäre, und war wegen dieser Gedanken noch nicht eingeschla¬ fen, sondern fragte: Wer da wäre? — Ach lieber Herr, macht mir auf, rief eS leise, ich bin Georg und muß Euch noch Etwas sagen! Der Wale ahnte wohl, was Georg noch in der Nacht zu ihm treibe, und machte auf. Da trat Georg herein und setzte sich auf das Bette zu dem Gaste und sprach: Ach, Ihr habt gesagt, Ihr. wolltet mich mitnehmen in Eure Heimath, und wie meine Eltern nicht wollten, so meintet Ihr, daß Elternwille gleich nach Gottes Willen käme. Aber seht, ich will dennoch fort mit Euch, und nehmt Ihr mich nicht mit, so laufe ich allein, so weit mich die Füße tra¬ gen. Denn mir ist, als wäre es Gottes Wille, daß ich fort sollte von hier, und in mir sagt immer Etwas: Gott will es! Wollt Ihr mich nun nicht mitnehmen? — Aber sieh', lieber Georg, sprach der Wale, wenn ich Dich mit fortnehme, so härmt sich Deine Mutter über Dich, und die Thrä¬ nen der Eltern über ihre Kinder bringen keinen Segen! —- Ach, sagte Georg, Weiber trösten sich bald, und meine Mut¬ ter wird sich schneller beruhigen über mein Fortgehen, als über den Tod meines Brüderchens, und wenn Etwas aus mir wird, so wird sie sich über mich freuen und Euch segnen. Nehmt mich mit, wenn Ihr mich nicht unglücklich machen wollt! 67»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/539>, abgerufen am 23.07.2024.