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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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so laßt es mir keine Ruhe, ich muß hinaus in die Welt, ich muß
wandern. Ich habe schon viele Länder gesehen; nur eines, in das
seit meiner Kindheit eine unnennbare Sehnsucht mich hinzieht, habe
ich noch nicht erreichen können, und wenn ich dorthin meinen Wan¬
derstab lenke, so treibt mich immer irgend eine Nothwendigkeit wo
anders hin. Das Land meiner Sehnsucht ist Italien. Ich war schon
in der Schweiz, hatte schon die Alpen überschritten, ja ich sah schon
den Gardasee vor mir liegen, da erkrankte mein Freund, und als er
wieder gesund war, nöthigte uns der Mangel der Zeit und des Gel¬
des zur Rückkehr. Woher diese Sehnsucht kommt? Ich wäre wie
meine Väter in der Heimath geblieben, wäre Schulmeister geworden,
wozu ich von Jugend auf bestimmt war, hätte jetzt Weib
und Kind, wenn nicht ein -- Märchen meinem Leben eine andere
Richtung gegeben hätte. Es bedarf aber in der Jugend bei einem
empfänglichen Gemüthe nur eines kleinen Samenkorns, um eine mäch¬
tige Saat in der Seele hervorzurufen. Es war kein Unkraut, was
in meiner Kindheit von einem alten Weibe in meine Seele gepflanzt
wurde, ich danke ihr noch jetzt mit Freuden, daß sie mich, ohne eS
zu wollen, erweckt hat zu einem mächtigen Streben und für Ideale
begeisterte, die mein Leben zwar mit Unruhe erfüllen, aber es doch
wieder verklären Mit einem Zauberlicht, das mich tröstet und erhebt.
Ich will erzählen, wie das geschah.

Oben in dem Walde, wo die Elster entspringt, wachsen weit
und breit die schönsten Preißelsbeeren, und mein Vater ließ sich je¬
den Herbst von seinen Verwandten in Wernersreuth ganze Säcke voll
aus derselben Gegend besorgen, wo seine Väter sie gepflückt hatten.
Die wurden gesotten, in großen Waldenburger Büchsen aufbewahrt
und bildeten dann, mit Zucker versüßt, das ganze Jahr hindurch eine
Zierde unserer Tafel, und ohne Preißelsbeeren mochte der Sonntags¬
braten Niemandem schmecken. Als ich nun mit meiner Schwester so
groß geworden war, daß der Vater glaubte, uns auf einige Tage
allein aus dem Hause lassen zu können, sendete er uns einstmals in
wonnigen Septembertagen hinauf nach Wernersreuth, mit dem Auf¬
trage, täglich in den Wald zu gehen und Preißelsbeeren zu pflücken.
Das war uns denn ein willkommener Auftrag, und wir machten uns
auf den Weg.

Unser Vetter, bei dem wir zum Besuche waren, ließ uns mit


so laßt es mir keine Ruhe, ich muß hinaus in die Welt, ich muß
wandern. Ich habe schon viele Länder gesehen; nur eines, in das
seit meiner Kindheit eine unnennbare Sehnsucht mich hinzieht, habe
ich noch nicht erreichen können, und wenn ich dorthin meinen Wan¬
derstab lenke, so treibt mich immer irgend eine Nothwendigkeit wo
anders hin. Das Land meiner Sehnsucht ist Italien. Ich war schon
in der Schweiz, hatte schon die Alpen überschritten, ja ich sah schon
den Gardasee vor mir liegen, da erkrankte mein Freund, und als er
wieder gesund war, nöthigte uns der Mangel der Zeit und des Gel¬
des zur Rückkehr. Woher diese Sehnsucht kommt? Ich wäre wie
meine Väter in der Heimath geblieben, wäre Schulmeister geworden,
wozu ich von Jugend auf bestimmt war, hätte jetzt Weib
und Kind, wenn nicht ein — Märchen meinem Leben eine andere
Richtung gegeben hätte. Es bedarf aber in der Jugend bei einem
empfänglichen Gemüthe nur eines kleinen Samenkorns, um eine mäch¬
tige Saat in der Seele hervorzurufen. Es war kein Unkraut, was
in meiner Kindheit von einem alten Weibe in meine Seele gepflanzt
wurde, ich danke ihr noch jetzt mit Freuden, daß sie mich, ohne eS
zu wollen, erweckt hat zu einem mächtigen Streben und für Ideale
begeisterte, die mein Leben zwar mit Unruhe erfüllen, aber es doch
wieder verklären Mit einem Zauberlicht, das mich tröstet und erhebt.
Ich will erzählen, wie das geschah.

Oben in dem Walde, wo die Elster entspringt, wachsen weit
und breit die schönsten Preißelsbeeren, und mein Vater ließ sich je¬
den Herbst von seinen Verwandten in Wernersreuth ganze Säcke voll
aus derselben Gegend besorgen, wo seine Väter sie gepflückt hatten.
Die wurden gesotten, in großen Waldenburger Büchsen aufbewahrt
und bildeten dann, mit Zucker versüßt, das ganze Jahr hindurch eine
Zierde unserer Tafel, und ohne Preißelsbeeren mochte der Sonntags¬
braten Niemandem schmecken. Als ich nun mit meiner Schwester so
groß geworden war, daß der Vater glaubte, uns auf einige Tage
allein aus dem Hause lassen zu können, sendete er uns einstmals in
wonnigen Septembertagen hinauf nach Wernersreuth, mit dem Auf¬
trage, täglich in den Wald zu gehen und Preißelsbeeren zu pflücken.
Das war uns denn ein willkommener Auftrag, und wir machten uns
auf den Weg.

Unser Vetter, bei dem wir zum Besuche waren, ließ uns mit


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[0533] so laßt es mir keine Ruhe, ich muß hinaus in die Welt, ich muß wandern. Ich habe schon viele Länder gesehen; nur eines, in das seit meiner Kindheit eine unnennbare Sehnsucht mich hinzieht, habe ich noch nicht erreichen können, und wenn ich dorthin meinen Wan¬ derstab lenke, so treibt mich immer irgend eine Nothwendigkeit wo anders hin. Das Land meiner Sehnsucht ist Italien. Ich war schon in der Schweiz, hatte schon die Alpen überschritten, ja ich sah schon den Gardasee vor mir liegen, da erkrankte mein Freund, und als er wieder gesund war, nöthigte uns der Mangel der Zeit und des Gel¬ des zur Rückkehr. Woher diese Sehnsucht kommt? Ich wäre wie meine Väter in der Heimath geblieben, wäre Schulmeister geworden, wozu ich von Jugend auf bestimmt war, hätte jetzt Weib und Kind, wenn nicht ein — Märchen meinem Leben eine andere Richtung gegeben hätte. Es bedarf aber in der Jugend bei einem empfänglichen Gemüthe nur eines kleinen Samenkorns, um eine mäch¬ tige Saat in der Seele hervorzurufen. Es war kein Unkraut, was in meiner Kindheit von einem alten Weibe in meine Seele gepflanzt wurde, ich danke ihr noch jetzt mit Freuden, daß sie mich, ohne eS zu wollen, erweckt hat zu einem mächtigen Streben und für Ideale begeisterte, die mein Leben zwar mit Unruhe erfüllen, aber es doch wieder verklären Mit einem Zauberlicht, das mich tröstet und erhebt. Ich will erzählen, wie das geschah. Oben in dem Walde, wo die Elster entspringt, wachsen weit und breit die schönsten Preißelsbeeren, und mein Vater ließ sich je¬ den Herbst von seinen Verwandten in Wernersreuth ganze Säcke voll aus derselben Gegend besorgen, wo seine Väter sie gepflückt hatten. Die wurden gesotten, in großen Waldenburger Büchsen aufbewahrt und bildeten dann, mit Zucker versüßt, das ganze Jahr hindurch eine Zierde unserer Tafel, und ohne Preißelsbeeren mochte der Sonntags¬ braten Niemandem schmecken. Als ich nun mit meiner Schwester so groß geworden war, daß der Vater glaubte, uns auf einige Tage allein aus dem Hause lassen zu können, sendete er uns einstmals in wonnigen Septembertagen hinauf nach Wernersreuth, mit dem Auf¬ trage, täglich in den Wald zu gehen und Preißelsbeeren zu pflücken. Das war uns denn ein willkommener Auftrag, und wir machten uns auf den Weg. Unser Vetter, bei dem wir zum Besuche waren, ließ uns mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/533>, abgerufen am 23.12.2024.