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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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aber sehr ungnädig ausgesprochen und unter Anderm geäußert haben:
Das ist der Pelz, der mir meine Unterthanen aufgewiegelt. -- Unser
König liebt die Wahrheit; möchten sich doch alle diejenigen, welche
die Wahrheit nicht um ihrer selbst willen lieben, wenigstens durch
diese Rücksicht bestimmen lassen, ihm nicht den Schein der Wahrheit
für sie selbst zu bieten. Wie niederschlagend müssen solche Aeußerun¬
gen auf das Volk wirken, das diesen einzelnen Fall gleich zur Allge¬
meinheit erhebt und sich dem Glauben hingibt, alle seine Be¬
dürfnisse gelangten nicht zur Einsicht des königlichen Herrn. Eine
Wahrheit vor dem Throne eines guten Königs gilt mehr, als tausend
in dem Munde eines Philosophen, denn sie strömt in tausendfachen,
segenbringenden Strahlen auf das Volk zurück.

Wir leben jetzt unter lauter Romantik hier in Schlesien. Es
werden Streifzüge gegen Räuberbanden unternommen, Wilddiebe zu
Dutzenden auf Scheiterhaufen verbrannt, Bauern von edlen Rittern
erlegt, Säufer müssen öffentliche Kirchenbuße thun, die Bernhards
und Peters predigen einen Kreuzzug gegen den Branntweintürken und
unsere studirten Leute feiern Studienfeste in Warmbrunn. Ein jun¬
ger Ritter, der fünfzigste und letzte Abonnent der "Zeitschrift für
Recht und Besitz", hat dabei "die Aristokratie, die Stütze des Staa¬
tes", leben lassen. Ihre Deutsche Allgemeine Zeitung, die bei uns
drollige Käuze zu Correspondenten hat, berichtet darüber, daß man
diese Verirrung jugendlichen Sinnes unbeachtet gelassen, und wie dies
das beste Zeugniß von der "Harmlosigkeit" aller Anwesenden abgebe.
Wenn schon die "harmlosen" Feste überhaupt ein eigenes Kapitel des
deutschen Jammers bilden, so diese schlesischen sogenannten Studien¬
feste ganz besonders. Die Leute kommen zusammen, um den erclust-
ven Firlefanz des akademischen Lebens wieder aufzuwärmen, ihre bun¬
ten Mützen aufzusetzen, die Corpsbänder umzuhängen und nebenbei
zu essen und tüchtig zu trinken. Von einem ideellen Zwecke keine
Spur, an eine geistige Verbrüderung kein Gedanke! Harmlosigkeit ist
das Feldgeschrei, und darum darf man sich gar nicht wundern, daß
jener freiherrliche Toast ungeahndet vorübergegangen ist. Sind doch
die Herrlichkeiten des deutschen Studententhums in Nichts verschieden
von den Herrlichkeiten der Aristokratie. Die Festgenossen hätten noch
konsequenter sein und jubelnd die Mützen schwenken sollen bei einem
Trinkspruch, welcher der ebenbürtigen Schwester ihrer eigenen Erclu-
sivität galt.

Man wundert sich auswärts, daß die Schlesier bis jetzt für die
Unglücklichen in Ost- und Westpreußen noch nicht gesammelt haben.
Wir finden diese Indifferenz sehr erklärlich. Die Schlesier haben sich
mit wahrer Aufopferung der Weber angenommen, es sind viele Tau¬
sende von Thalern in die Hütten des Jammers gewandert, aber ohne
sichtlichen Erfolg. Das Ungethüm des Hungers lagert noch immer


aber sehr ungnädig ausgesprochen und unter Anderm geäußert haben:
Das ist der Pelz, der mir meine Unterthanen aufgewiegelt. — Unser
König liebt die Wahrheit; möchten sich doch alle diejenigen, welche
die Wahrheit nicht um ihrer selbst willen lieben, wenigstens durch
diese Rücksicht bestimmen lassen, ihm nicht den Schein der Wahrheit
für sie selbst zu bieten. Wie niederschlagend müssen solche Aeußerun¬
gen auf das Volk wirken, das diesen einzelnen Fall gleich zur Allge¬
meinheit erhebt und sich dem Glauben hingibt, alle seine Be¬
dürfnisse gelangten nicht zur Einsicht des königlichen Herrn. Eine
Wahrheit vor dem Throne eines guten Königs gilt mehr, als tausend
in dem Munde eines Philosophen, denn sie strömt in tausendfachen,
segenbringenden Strahlen auf das Volk zurück.

Wir leben jetzt unter lauter Romantik hier in Schlesien. Es
werden Streifzüge gegen Räuberbanden unternommen, Wilddiebe zu
Dutzenden auf Scheiterhaufen verbrannt, Bauern von edlen Rittern
erlegt, Säufer müssen öffentliche Kirchenbuße thun, die Bernhards
und Peters predigen einen Kreuzzug gegen den Branntweintürken und
unsere studirten Leute feiern Studienfeste in Warmbrunn. Ein jun¬
ger Ritter, der fünfzigste und letzte Abonnent der „Zeitschrift für
Recht und Besitz", hat dabei „die Aristokratie, die Stütze des Staa¬
tes", leben lassen. Ihre Deutsche Allgemeine Zeitung, die bei uns
drollige Käuze zu Correspondenten hat, berichtet darüber, daß man
diese Verirrung jugendlichen Sinnes unbeachtet gelassen, und wie dies
das beste Zeugniß von der „Harmlosigkeit" aller Anwesenden abgebe.
Wenn schon die „harmlosen" Feste überhaupt ein eigenes Kapitel des
deutschen Jammers bilden, so diese schlesischen sogenannten Studien¬
feste ganz besonders. Die Leute kommen zusammen, um den erclust-
ven Firlefanz des akademischen Lebens wieder aufzuwärmen, ihre bun¬
ten Mützen aufzusetzen, die Corpsbänder umzuhängen und nebenbei
zu essen und tüchtig zu trinken. Von einem ideellen Zwecke keine
Spur, an eine geistige Verbrüderung kein Gedanke! Harmlosigkeit ist
das Feldgeschrei, und darum darf man sich gar nicht wundern, daß
jener freiherrliche Toast ungeahndet vorübergegangen ist. Sind doch
die Herrlichkeiten des deutschen Studententhums in Nichts verschieden
von den Herrlichkeiten der Aristokratie. Die Festgenossen hätten noch
konsequenter sein und jubelnd die Mützen schwenken sollen bei einem
Trinkspruch, welcher der ebenbürtigen Schwester ihrer eigenen Erclu-
sivität galt.

Man wundert sich auswärts, daß die Schlesier bis jetzt für die
Unglücklichen in Ost- und Westpreußen noch nicht gesammelt haben.
Wir finden diese Indifferenz sehr erklärlich. Die Schlesier haben sich
mit wahrer Aufopferung der Weber angenommen, es sind viele Tau¬
sende von Thalern in die Hütten des Jammers gewandert, aber ohne
sichtlichen Erfolg. Das Ungethüm des Hungers lagert noch immer


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[0524] aber sehr ungnädig ausgesprochen und unter Anderm geäußert haben: Das ist der Pelz, der mir meine Unterthanen aufgewiegelt. — Unser König liebt die Wahrheit; möchten sich doch alle diejenigen, welche die Wahrheit nicht um ihrer selbst willen lieben, wenigstens durch diese Rücksicht bestimmen lassen, ihm nicht den Schein der Wahrheit für sie selbst zu bieten. Wie niederschlagend müssen solche Aeußerun¬ gen auf das Volk wirken, das diesen einzelnen Fall gleich zur Allge¬ meinheit erhebt und sich dem Glauben hingibt, alle seine Be¬ dürfnisse gelangten nicht zur Einsicht des königlichen Herrn. Eine Wahrheit vor dem Throne eines guten Königs gilt mehr, als tausend in dem Munde eines Philosophen, denn sie strömt in tausendfachen, segenbringenden Strahlen auf das Volk zurück. Wir leben jetzt unter lauter Romantik hier in Schlesien. Es werden Streifzüge gegen Räuberbanden unternommen, Wilddiebe zu Dutzenden auf Scheiterhaufen verbrannt, Bauern von edlen Rittern erlegt, Säufer müssen öffentliche Kirchenbuße thun, die Bernhards und Peters predigen einen Kreuzzug gegen den Branntweintürken und unsere studirten Leute feiern Studienfeste in Warmbrunn. Ein jun¬ ger Ritter, der fünfzigste und letzte Abonnent der „Zeitschrift für Recht und Besitz", hat dabei „die Aristokratie, die Stütze des Staa¬ tes", leben lassen. Ihre Deutsche Allgemeine Zeitung, die bei uns drollige Käuze zu Correspondenten hat, berichtet darüber, daß man diese Verirrung jugendlichen Sinnes unbeachtet gelassen, und wie dies das beste Zeugniß von der „Harmlosigkeit" aller Anwesenden abgebe. Wenn schon die „harmlosen" Feste überhaupt ein eigenes Kapitel des deutschen Jammers bilden, so diese schlesischen sogenannten Studien¬ feste ganz besonders. Die Leute kommen zusammen, um den erclust- ven Firlefanz des akademischen Lebens wieder aufzuwärmen, ihre bun¬ ten Mützen aufzusetzen, die Corpsbänder umzuhängen und nebenbei zu essen und tüchtig zu trinken. Von einem ideellen Zwecke keine Spur, an eine geistige Verbrüderung kein Gedanke! Harmlosigkeit ist das Feldgeschrei, und darum darf man sich gar nicht wundern, daß jener freiherrliche Toast ungeahndet vorübergegangen ist. Sind doch die Herrlichkeiten des deutschen Studententhums in Nichts verschieden von den Herrlichkeiten der Aristokratie. Die Festgenossen hätten noch konsequenter sein und jubelnd die Mützen schwenken sollen bei einem Trinkspruch, welcher der ebenbürtigen Schwester ihrer eigenen Erclu- sivität galt. Man wundert sich auswärts, daß die Schlesier bis jetzt für die Unglücklichen in Ost- und Westpreußen noch nicht gesammelt haben. Wir finden diese Indifferenz sehr erklärlich. Die Schlesier haben sich mit wahrer Aufopferung der Weber angenommen, es sind viele Tau¬ sende von Thalern in die Hütten des Jammers gewandert, aber ohne sichtlichen Erfolg. Das Ungethüm des Hungers lagert noch immer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/524>, abgerufen am 23.12.2024.