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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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weniger, wenn nicht mehr, als das Geschützte selbst kostet. Kurzum,
er hat dem Staate durch diese vortheilhafte Erfindung mit einem
Kostenaufwande von circa fünftausend Gulden einen Schaden von
tausend Gulden erspart, und wegen Kabale hat er dafür nicht ein¬
mal einen Orden erhalten. Dieser verdienstvolle, sechzigjährige Mann
war ein Wittwer und von väterlicher und mütterlicher Seite schon
längere Zeit verwaist. Er lebte außer seinem beschwerlichen Dienste
blos seiner Tochter und einer Nichte, die er beide recht väterlich
liebte. Die Tochter hatte sich mit einem Artillerie-Offizier, wie die
Leute sagten, vergessen und befand sich in der Hoffnung, -- ich
glaube, sie hoffte diesen Offizier zu heirathen. Die Nichte, welche
um einige Jahre älter als die Tochter war, wurde beinahe zwei
Jahre vor der Hoffnungszeit der Tochter von einem Knaben ent¬
hofft, und was das Schönste dabei war, man hat durchaus nicht
herausbringen können, wer ihr die ursprüngliche Hoffnung eingeflößt
hatte. Der gekränkte Oheim besaß genug Evelmuth, um seine Nichte
wegen ihrer zweideutigen Enthoffung nicht zu verstoße", und wie
man allgemein versicherte, soll er sie wegen des dubiösen Sprößlings
noch mehr geliebt haben. Ihr zu Liebe soll er die ganze Hoffnungs-
zeit seine Tochter selber mit einer ihren Umständen angemessenen
Schonung behandelt haben, und er gestattete es sogar, daß der Ar¬
tillerie-Offizier ungenirt seine Tochter in ihrer Hoffnung stärken und
ihre kindischen Träumereien erfüllen durfte. In diesen Umständen
wurde diesen beiden Fräuleins der getreue Diener des Districtöcom-
mandanten als Schutzwache ihrer Tugend zurückgelassen, und ich
trat mit ihm als supplicirender Fourierschütze die Postovisitation an.
Wir machten unsere Reise nicht per t"-> l-im, sondern per in-u-o. Zu
diesem Behufe wurde ein Schiff ausgemittelt, welches uns um fünf¬
zig Gulden C.-M. ausnehmen sollte. Damit wir aber diese fünfzig
Gulden ersparen konnten, so wurde ein anderes Schiff mit Artillerie-
Gütern beladen und ein zweiter Contract abgeschlossen. Diese Güter
wurden embarkirt und wir zwei wurden vom Schiffspatron aus Ge¬
fälligkeit mitgenommen; mithin gehörten uns die fünfzig Gulden von
Rechtswegen, die wir dem hohen Aerar' abgenommen hatten. So
lange wir auf dem Meere waren, hatte ich doppelte Löhnung, und
der Commandant hatte so viel Kreuzer täglich, als er Gulden mo¬
natlich bezog, mehr; mithin hatte ich als Kanonier auf dem


weniger, wenn nicht mehr, als das Geschützte selbst kostet. Kurzum,
er hat dem Staate durch diese vortheilhafte Erfindung mit einem
Kostenaufwande von circa fünftausend Gulden einen Schaden von
tausend Gulden erspart, und wegen Kabale hat er dafür nicht ein¬
mal einen Orden erhalten. Dieser verdienstvolle, sechzigjährige Mann
war ein Wittwer und von väterlicher und mütterlicher Seite schon
längere Zeit verwaist. Er lebte außer seinem beschwerlichen Dienste
blos seiner Tochter und einer Nichte, die er beide recht väterlich
liebte. Die Tochter hatte sich mit einem Artillerie-Offizier, wie die
Leute sagten, vergessen und befand sich in der Hoffnung, — ich
glaube, sie hoffte diesen Offizier zu heirathen. Die Nichte, welche
um einige Jahre älter als die Tochter war, wurde beinahe zwei
Jahre vor der Hoffnungszeit der Tochter von einem Knaben ent¬
hofft, und was das Schönste dabei war, man hat durchaus nicht
herausbringen können, wer ihr die ursprüngliche Hoffnung eingeflößt
hatte. Der gekränkte Oheim besaß genug Evelmuth, um seine Nichte
wegen ihrer zweideutigen Enthoffung nicht zu verstoße», und wie
man allgemein versicherte, soll er sie wegen des dubiösen Sprößlings
noch mehr geliebt haben. Ihr zu Liebe soll er die ganze Hoffnungs-
zeit seine Tochter selber mit einer ihren Umständen angemessenen
Schonung behandelt haben, und er gestattete es sogar, daß der Ar¬
tillerie-Offizier ungenirt seine Tochter in ihrer Hoffnung stärken und
ihre kindischen Träumereien erfüllen durfte. In diesen Umständen
wurde diesen beiden Fräuleins der getreue Diener des Districtöcom-
mandanten als Schutzwache ihrer Tugend zurückgelassen, und ich
trat mit ihm als supplicirender Fourierschütze die Postovisitation an.
Wir machten unsere Reise nicht per t«-> l-im, sondern per in-u-o. Zu
diesem Behufe wurde ein Schiff ausgemittelt, welches uns um fünf¬
zig Gulden C.-M. ausnehmen sollte. Damit wir aber diese fünfzig
Gulden ersparen konnten, so wurde ein anderes Schiff mit Artillerie-
Gütern beladen und ein zweiter Contract abgeschlossen. Diese Güter
wurden embarkirt und wir zwei wurden vom Schiffspatron aus Ge¬
fälligkeit mitgenommen; mithin gehörten uns die fünfzig Gulden von
Rechtswegen, die wir dem hohen Aerar' abgenommen hatten. So
lange wir auf dem Meere waren, hatte ich doppelte Löhnung, und
der Commandant hatte so viel Kreuzer täglich, als er Gulden mo¬
natlich bezog, mehr; mithin hatte ich als Kanonier auf dem


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[0502] weniger, wenn nicht mehr, als das Geschützte selbst kostet. Kurzum, er hat dem Staate durch diese vortheilhafte Erfindung mit einem Kostenaufwande von circa fünftausend Gulden einen Schaden von tausend Gulden erspart, und wegen Kabale hat er dafür nicht ein¬ mal einen Orden erhalten. Dieser verdienstvolle, sechzigjährige Mann war ein Wittwer und von väterlicher und mütterlicher Seite schon längere Zeit verwaist. Er lebte außer seinem beschwerlichen Dienste blos seiner Tochter und einer Nichte, die er beide recht väterlich liebte. Die Tochter hatte sich mit einem Artillerie-Offizier, wie die Leute sagten, vergessen und befand sich in der Hoffnung, — ich glaube, sie hoffte diesen Offizier zu heirathen. Die Nichte, welche um einige Jahre älter als die Tochter war, wurde beinahe zwei Jahre vor der Hoffnungszeit der Tochter von einem Knaben ent¬ hofft, und was das Schönste dabei war, man hat durchaus nicht herausbringen können, wer ihr die ursprüngliche Hoffnung eingeflößt hatte. Der gekränkte Oheim besaß genug Evelmuth, um seine Nichte wegen ihrer zweideutigen Enthoffung nicht zu verstoße», und wie man allgemein versicherte, soll er sie wegen des dubiösen Sprößlings noch mehr geliebt haben. Ihr zu Liebe soll er die ganze Hoffnungs- zeit seine Tochter selber mit einer ihren Umständen angemessenen Schonung behandelt haben, und er gestattete es sogar, daß der Ar¬ tillerie-Offizier ungenirt seine Tochter in ihrer Hoffnung stärken und ihre kindischen Träumereien erfüllen durfte. In diesen Umständen wurde diesen beiden Fräuleins der getreue Diener des Districtöcom- mandanten als Schutzwache ihrer Tugend zurückgelassen, und ich trat mit ihm als supplicirender Fourierschütze die Postovisitation an. Wir machten unsere Reise nicht per t«-> l-im, sondern per in-u-o. Zu diesem Behufe wurde ein Schiff ausgemittelt, welches uns um fünf¬ zig Gulden C.-M. ausnehmen sollte. Damit wir aber diese fünfzig Gulden ersparen konnten, so wurde ein anderes Schiff mit Artillerie- Gütern beladen und ein zweiter Contract abgeschlossen. Diese Güter wurden embarkirt und wir zwei wurden vom Schiffspatron aus Ge¬ fälligkeit mitgenommen; mithin gehörten uns die fünfzig Gulden von Rechtswegen, die wir dem hohen Aerar' abgenommen hatten. So lange wir auf dem Meere waren, hatte ich doppelte Löhnung, und der Commandant hatte so viel Kreuzer täglich, als er Gulden mo¬ natlich bezog, mehr; mithin hatte ich als Kanonier auf dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/502>, abgerufen am 23.07.2024.