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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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ten; wer aber wollte behaupten, die damalige Presse sei das Huhn
gewesen, welches diese Aufstände ausgebrütet! Es gab ja Aufstände,
und weit furchtbarere als jetzt, zu einer Zeit, wo man noch gar nicht
daran dachte, Etwas drucken zu lassen, aus dem einfachen Grunde,
weil der Bücherdruck noch gar nicht erfunden war. Im Gegentheil!
will man zahme Unterthanen und Staatsbürger, s) lasse man sie
schreiben und immer wieder schreiben und schreiben, bis ihnen die
Hand müde wird und die Gedanken wie ein abgelaufenes Mühlrad
stille stehen; denn die ungefährlichsten und abgespanntesten Menschen
sind gerade die Schreiber und nächst ihnen die Leser, und zwar ge¬
rade diejenigen, welche aus der Journallectüre ein tägliches Geschäft
machen. Schickt nur unsere Studenten täglich acht Stunden lang
in unsere Conditoreien und literarischen Museen, und ihr werdet er¬
staunen, wie zerlesen, zerfasert, ermüdet und folgsam die nächstkünftige
Studentengeneration sein wird! Ein echter Mann nimmt sich nur
vor dem wirklichen Teufel in Acht, aber nicht vor dem körperlosen
Teufel, welchen die Korrespondenten politischer Zeitungen an die Wand
malen.

Man lebt hier im Ganzen einfach, will aber das Einfache wohl¬
feil und gut. Hiefür sorgen die hiesigen städtischen Behörden auf's
Beste "), und es ist bekannt, wie streng die Aufsicht 'über das Bier
ist, dem man das Prädicat der Klassicität mit Recht ertheilen kann.
Die Polizei, als die Censur des Münchener Biers, soll bereits man¬
chem Brauer ganze Orhofte gestrichen haben. Außer der Polizei wacht
aber auch die öffentliche Meinung mit großer Energie über die Güte
dieses kräftigen Getränkes, welches, wie die Grenzboten einmal wiz-
zig bemerkten, hier "gegessen" wird und allerdings den Hauptbestand¬
theil der Münchner Consumtion bildet. Während der Aermere in
einigen Gegenden Norddeutschlands von Kartoffeln mit Salz, erbet¬
telten Brod und Wasser, also ohne etwas verbrochen zu haben, von



*) Zeugniß dessen war neulich eine an den Straßenecken angeschlagene
Bekanntmachn"", wodurch auch Gärtner, Wirthe u. s. w. zum Schlachten'von
Nich ermächtigt wurden, um auf diese Weise um so eher die Metzger von ei¬
nem Ueberschreiten des Tarifsatzes abzuhalten. Ein solcher Straßenanschlag
erregt hier mehr Theilnahme, als ein Komödicnzettcl mit der Anzeige eines
neuen Stückes von Prutz, oder Gutzrow. Auch mehrere von der Victualten-
polizei neuerdings getroffene Maßregeln beweisen, wie sehr man hier auf die
Wohlfahrt des gemeinen Mannes Bedacht nimmt.

ten; wer aber wollte behaupten, die damalige Presse sei das Huhn
gewesen, welches diese Aufstände ausgebrütet! Es gab ja Aufstände,
und weit furchtbarere als jetzt, zu einer Zeit, wo man noch gar nicht
daran dachte, Etwas drucken zu lassen, aus dem einfachen Grunde,
weil der Bücherdruck noch gar nicht erfunden war. Im Gegentheil!
will man zahme Unterthanen und Staatsbürger, s) lasse man sie
schreiben und immer wieder schreiben und schreiben, bis ihnen die
Hand müde wird und die Gedanken wie ein abgelaufenes Mühlrad
stille stehen; denn die ungefährlichsten und abgespanntesten Menschen
sind gerade die Schreiber und nächst ihnen die Leser, und zwar ge¬
rade diejenigen, welche aus der Journallectüre ein tägliches Geschäft
machen. Schickt nur unsere Studenten täglich acht Stunden lang
in unsere Conditoreien und literarischen Museen, und ihr werdet er¬
staunen, wie zerlesen, zerfasert, ermüdet und folgsam die nächstkünftige
Studentengeneration sein wird! Ein echter Mann nimmt sich nur
vor dem wirklichen Teufel in Acht, aber nicht vor dem körperlosen
Teufel, welchen die Korrespondenten politischer Zeitungen an die Wand
malen.

Man lebt hier im Ganzen einfach, will aber das Einfache wohl¬
feil und gut. Hiefür sorgen die hiesigen städtischen Behörden auf's
Beste »), und es ist bekannt, wie streng die Aufsicht 'über das Bier
ist, dem man das Prädicat der Klassicität mit Recht ertheilen kann.
Die Polizei, als die Censur des Münchener Biers, soll bereits man¬
chem Brauer ganze Orhofte gestrichen haben. Außer der Polizei wacht
aber auch die öffentliche Meinung mit großer Energie über die Güte
dieses kräftigen Getränkes, welches, wie die Grenzboten einmal wiz-
zig bemerkten, hier „gegessen" wird und allerdings den Hauptbestand¬
theil der Münchner Consumtion bildet. Während der Aermere in
einigen Gegenden Norddeutschlands von Kartoffeln mit Salz, erbet¬
telten Brod und Wasser, also ohne etwas verbrochen zu haben, von



*) Zeugniß dessen war neulich eine an den Straßenecken angeschlagene
Bekanntmachn»«, wodurch auch Gärtner, Wirthe u. s. w. zum Schlachten'von
Nich ermächtigt wurden, um auf diese Weise um so eher die Metzger von ei¬
nem Ueberschreiten des Tarifsatzes abzuhalten. Ein solcher Straßenanschlag
erregt hier mehr Theilnahme, als ein Komödicnzettcl mit der Anzeige eines
neuen Stückes von Prutz, oder Gutzrow. Auch mehrere von der Victualten-
polizei neuerdings getroffene Maßregeln beweisen, wie sehr man hier auf die
Wohlfahrt des gemeinen Mannes Bedacht nimmt.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/493>, abgerufen am 23.07.2024.