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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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land, und glauben gleichfalls, daß daraus leicht eine elektromagnetisch-mora¬
lische Kette wird. Allein es scheint uns cibfurd oder perfid, jeden rus¬
sischen Ring gerade auf Rechnung des Czechenthums zu setzen. Es
ist wieder die Geschichte vom Balken und vom Splitter. Denn auch
mitten in Deutschland gibt es arme Seelen, die mit offenem Mund
nach der kleinsten russischen Decoration schnappen, und ein Boshafter
könnte sagen, es sei purer Neid; der deutsche Servilismus gönne näm¬
lich dem czechischen nicht gleichen Lohn und gleiche Früchte. Aus den
russischen Ringen, die in Berlin, Wien, Frankfurt, Dresden, Ham¬
burg, Bremen ?c. an Offiziers- und Beamtensingern stecken, ließe sich
doch wahrlich eine artige Kette, zur Sperrung gewisser Grenzen, fab-
riciren. Und die Orden! So oft Kaiser Nicolaus seine Nachbarn be¬
sucht, regnet es ja russische Orden vom Himmel, wie die Perfcrpseile
des Terres, die das Licht der Sonne verdunkelten!

-- Worüber man vor einiger Zeit in Preußen klagte, daß näm¬
lich ausgediente Unteroffiziere zu Schulmeistern gemacht werden sollen,
das ist in Russisch-Polen in viel glänzenderer Weise längst ausge¬
führt. Die Lehrerstellen an allen höheren Vildungsanstalten, also die
Katheder der Geschichte, Literatur :c. werden mit älteren russischen
Offizieren besetzt, die vielleicht manchem preußischen Unteroffizier in
Bildung und Humanität wenig nachgeben mögen und vor Allem auf
Subordination sehen. Wahrscheinlich gehört zu den Schulstrafen auch
ein wenig Sibirien und Kaukasus. Daß dieses Verfahren von Sei¬
ten des "Ministeriums der Volksaufklärung" geeignet ist, etwaige
Genies unter der jungen Generation zu unterdrücken, wird von den
Russen selbst mit ganz heiterem Gesicht eingestanden. So werden die
geistigen Kinder der Zukunft im Mutterleibe getödtet und abgetrieben.

-- Von Zeit zu Zeit taucht die mittelalterliche Romantik, die
man längst erschlagen glaubte, und die von so vielen zartsinnigen
Gemüthern beweint wird, bald in dem, bald in jenem Theile Deutsch¬
lands wieder auf. Jetzt in Schlesien. Nicht nur, daß es dort einen
Jagdreitverein gibt, welcher die adelige Jugend vor dem entnervenden
Müßiggang des Friedens bewahren will; nicht nur, daß die nüchterne
preußische Gensdarmerie an zwei imposanten Räuberbanden zum Rit¬
ter werden konnte: nein, es gibt selbst Autodafes in Schlesien, heim¬
liche Autodafes in nächtlicher Waldeinsamkeit. Die dortigen Forstbe¬
amten haben nämlich ein Mittel ersonnen, mit den Wilddieben so
kurzen Prozeß zu machen, daß ihnen selbst keine Verantwortung dar¬
aus erwachsen kann. Sie erschießen den Wilddieb und verbrennen
ihn auf einem Holzstoß im Walde, daß Nichts als die Knochen üb¬
rig bleiben, die natürlich bei einer Untersuchung keinen Anhaltpunkt


land, und glauben gleichfalls, daß daraus leicht eine elektromagnetisch-mora¬
lische Kette wird. Allein es scheint uns cibfurd oder perfid, jeden rus¬
sischen Ring gerade auf Rechnung des Czechenthums zu setzen. Es
ist wieder die Geschichte vom Balken und vom Splitter. Denn auch
mitten in Deutschland gibt es arme Seelen, die mit offenem Mund
nach der kleinsten russischen Decoration schnappen, und ein Boshafter
könnte sagen, es sei purer Neid; der deutsche Servilismus gönne näm¬
lich dem czechischen nicht gleichen Lohn und gleiche Früchte. Aus den
russischen Ringen, die in Berlin, Wien, Frankfurt, Dresden, Ham¬
burg, Bremen ?c. an Offiziers- und Beamtensingern stecken, ließe sich
doch wahrlich eine artige Kette, zur Sperrung gewisser Grenzen, fab-
riciren. Und die Orden! So oft Kaiser Nicolaus seine Nachbarn be¬
sucht, regnet es ja russische Orden vom Himmel, wie die Perfcrpseile
des Terres, die das Licht der Sonne verdunkelten!

— Worüber man vor einiger Zeit in Preußen klagte, daß näm¬
lich ausgediente Unteroffiziere zu Schulmeistern gemacht werden sollen,
das ist in Russisch-Polen in viel glänzenderer Weise längst ausge¬
führt. Die Lehrerstellen an allen höheren Vildungsanstalten, also die
Katheder der Geschichte, Literatur :c. werden mit älteren russischen
Offizieren besetzt, die vielleicht manchem preußischen Unteroffizier in
Bildung und Humanität wenig nachgeben mögen und vor Allem auf
Subordination sehen. Wahrscheinlich gehört zu den Schulstrafen auch
ein wenig Sibirien und Kaukasus. Daß dieses Verfahren von Sei¬
ten des „Ministeriums der Volksaufklärung" geeignet ist, etwaige
Genies unter der jungen Generation zu unterdrücken, wird von den
Russen selbst mit ganz heiterem Gesicht eingestanden. So werden die
geistigen Kinder der Zukunft im Mutterleibe getödtet und abgetrieben.

— Von Zeit zu Zeit taucht die mittelalterliche Romantik, die
man längst erschlagen glaubte, und die von so vielen zartsinnigen
Gemüthern beweint wird, bald in dem, bald in jenem Theile Deutsch¬
lands wieder auf. Jetzt in Schlesien. Nicht nur, daß es dort einen
Jagdreitverein gibt, welcher die adelige Jugend vor dem entnervenden
Müßiggang des Friedens bewahren will; nicht nur, daß die nüchterne
preußische Gensdarmerie an zwei imposanten Räuberbanden zum Rit¬
ter werden konnte: nein, es gibt selbst Autodafes in Schlesien, heim¬
liche Autodafes in nächtlicher Waldeinsamkeit. Die dortigen Forstbe¬
amten haben nämlich ein Mittel ersonnen, mit den Wilddieben so
kurzen Prozeß zu machen, daß ihnen selbst keine Verantwortung dar¬
aus erwachsen kann. Sie erschießen den Wilddieb und verbrennen
ihn auf einem Holzstoß im Walde, daß Nichts als die Knochen üb¬
rig bleiben, die natürlich bei einer Untersuchung keinen Anhaltpunkt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/486>, abgerufen am 01.10.2024.