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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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Völker vertreten sind, und zwar die Völker nicht durch ihren Zehr¬
stand, wie es in den Ländern mit hohem Wahlcensus der Fall zu sein
pflegt, sondern ausschließlich durch ihren Nährstand, welcher die Reich¬
thümer, die Jene verzehren, schafft, und die Ideen, die der Lehrstand
in Theorien aufstellt, in der Praxis anzuwenden und nutzbar zu ma¬
chen weiß. Ja, das ist es hauptsächlich, was unser Jahrhundert vor
seinen Vorgängern auszeichnet, daß es die Wissenschaft dem Leben
naher zugeführt, und daß es einen großen Theil dessen, was
früher bloßes Handwerk war, zugleich zum Werke des Kopfes gemacht
hat. Keine Fabrikation gibt es heute, die, wenn sie sich nur irgend¬
wie über das Gewöhnliche erheben will, ohne Kenntnisse der Chemie
oder der Mathematik betrieben werden kann. Hier sehen wir die letz¬
tere dem Maschinenbau auf wahrhaft ungeahnte Spuren helfen und
das der bloßen Menschenhand Unmögliche durch die Macht des Dam¬
pfes ausgeführt, und dort sehen wir in der Verarbeitung der Metalle
die neuesten Entdeckungen des Elektromagnetismus angewandt oder in
einer die Natur fast übertreffenden Farbenpracht alle Hilfsmittel der
Chemie benutzt. Das Zeughaus gibt in seinen zwei mächtigen Ge¬
schossen von dieser Vereinigung der Wissenschaft und der Industrie
die glänzendsten Zeugnisse, aber auch die Kunst ist als die Dritte im
Bunde zu nennen, denn die künstlerischen Formen der akademischen
Aeichnenschule lassen sich ebenso in den plastischen Werken der Eisen-
und Zinkgicßerei, wie in den vielen tausend Mustern der leinenen,
wollenen, baumwollenen und seidenen Stosse erkennen. Und nicht
blos geschmackvoll und mannichfaltig sind die hier ausgelegten Proben
deutscher Industrie, sondern auch die Anforderungen, die hinsichtlich
der Solidität und der Wohlfeilheit gestellt werden, finden sich hier
befriedigt, und so wird denn diese deutsche Ausstellung zugleich zum
lebhaftesten Vorwurf für alle Diejenigen, die die Befriedigung ihrer
Mode- und Luxusbedürfnisse immer noch von den Zufuhren aus Pa¬
ris und London abhängig machen, ohne Rücksicht darauf, daß manche
Dinge aus diesen Hauptstädten verschrieben werden, die man sich dort,
um sie solider und wohlfeiler zu erhalten, aus Deutschland kommen
läßt.

Allgemein bedauert man, daß weder der König, noch einer der
Prinzen, ja nicht einmal der Finanzminister hier anwesend ist, um,
die jetzt aus allen Gegenden Deutschlands in Berlin zusammenströ¬
menden Industriellen zu empfangen. Es ist zwar die sogenannte po¬
lytechnische Gesellschaft hier zusammengetreten, um bei dieser Gelegen¬
heit den Wirth zu machen und die Fremden in einem dazu gemie¬
theten Wirthshauslocale aufzunehmen; diese Gesellschaft aus den in-m-
nichfaltigsten Elementen zusammengewürfelt, ist jedoch in keiner Weise
als eine Autorität anzusehen, welche die gewerbliche Industrie Ber¬
lins ZU vertreten befugt ist.


Völker vertreten sind, und zwar die Völker nicht durch ihren Zehr¬
stand, wie es in den Ländern mit hohem Wahlcensus der Fall zu sein
pflegt, sondern ausschließlich durch ihren Nährstand, welcher die Reich¬
thümer, die Jene verzehren, schafft, und die Ideen, die der Lehrstand
in Theorien aufstellt, in der Praxis anzuwenden und nutzbar zu ma¬
chen weiß. Ja, das ist es hauptsächlich, was unser Jahrhundert vor
seinen Vorgängern auszeichnet, daß es die Wissenschaft dem Leben
naher zugeführt, und daß es einen großen Theil dessen, was
früher bloßes Handwerk war, zugleich zum Werke des Kopfes gemacht
hat. Keine Fabrikation gibt es heute, die, wenn sie sich nur irgend¬
wie über das Gewöhnliche erheben will, ohne Kenntnisse der Chemie
oder der Mathematik betrieben werden kann. Hier sehen wir die letz¬
tere dem Maschinenbau auf wahrhaft ungeahnte Spuren helfen und
das der bloßen Menschenhand Unmögliche durch die Macht des Dam¬
pfes ausgeführt, und dort sehen wir in der Verarbeitung der Metalle
die neuesten Entdeckungen des Elektromagnetismus angewandt oder in
einer die Natur fast übertreffenden Farbenpracht alle Hilfsmittel der
Chemie benutzt. Das Zeughaus gibt in seinen zwei mächtigen Ge¬
schossen von dieser Vereinigung der Wissenschaft und der Industrie
die glänzendsten Zeugnisse, aber auch die Kunst ist als die Dritte im
Bunde zu nennen, denn die künstlerischen Formen der akademischen
Aeichnenschule lassen sich ebenso in den plastischen Werken der Eisen-
und Zinkgicßerei, wie in den vielen tausend Mustern der leinenen,
wollenen, baumwollenen und seidenen Stosse erkennen. Und nicht
blos geschmackvoll und mannichfaltig sind die hier ausgelegten Proben
deutscher Industrie, sondern auch die Anforderungen, die hinsichtlich
der Solidität und der Wohlfeilheit gestellt werden, finden sich hier
befriedigt, und so wird denn diese deutsche Ausstellung zugleich zum
lebhaftesten Vorwurf für alle Diejenigen, die die Befriedigung ihrer
Mode- und Luxusbedürfnisse immer noch von den Zufuhren aus Pa¬
ris und London abhängig machen, ohne Rücksicht darauf, daß manche
Dinge aus diesen Hauptstädten verschrieben werden, die man sich dort,
um sie solider und wohlfeiler zu erhalten, aus Deutschland kommen
läßt.

Allgemein bedauert man, daß weder der König, noch einer der
Prinzen, ja nicht einmal der Finanzminister hier anwesend ist, um,
die jetzt aus allen Gegenden Deutschlands in Berlin zusammenströ¬
menden Industriellen zu empfangen. Es ist zwar die sogenannte po¬
lytechnische Gesellschaft hier zusammengetreten, um bei dieser Gelegen¬
heit den Wirth zu machen und die Fremden in einem dazu gemie¬
theten Wirthshauslocale aufzunehmen; diese Gesellschaft aus den in-m-
nichfaltigsten Elementen zusammengewürfelt, ist jedoch in keiner Weise
als eine Autorität anzusehen, welche die gewerbliche Industrie Ber¬
lins ZU vertreten befugt ist.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/480>, abgerufen am 23.12.2024.