Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.der sich Jeder dem Weberhandwerk zuwenden konnte, also aus dem Vielleicht unterblieb es aus Prinzip, um nicht die Gewerbefreiheit zu Schwer zu entscheiden ist vor der Kenntniß der offiziellen Er¬ der sich Jeder dem Weberhandwerk zuwenden konnte, also aus dem Vielleicht unterblieb es aus Prinzip, um nicht die Gewerbefreiheit zu Schwer zu entscheiden ist vor der Kenntniß der offiziellen Er¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0460" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/181019"/> <p xml:id="ID_1083" prev="#ID_1082"> der sich Jeder dem Weberhandwerk zuwenden konnte, also aus dem<lb/> Mangel einer Gewerbsordnung, welche die Regierung bisher<lb/> zu geben unterließ, während sie sich nur um die Steuerfähigkeit der<lb/> Weber, nicht um ihre moralischen und gewerblichen Zustände kümmerte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1084"> Vielleicht unterblieb es aus Prinzip, um nicht die Gewerbefreiheit zu<lb/> beschränken. Es unterliegt aber aus medizinal-polizeilichen Gründen<lb/> die Apotheke, aus politisch-moralischen die Presse gewissen gesetzlichen<lb/> Beschränkungen, die mit der Gewerbefreiheit im weitesten Sinne auch<lb/> collidiren. Daher sollte man meinen, die Physische und moralische<lb/> Fürsorge hätte sich auch einem Gewerbe zuwenden können, das bei<lb/> seinen eigenthümlichen Verhältnissen so sehr einer gesetzlichen Verfas¬<lb/> sung bedürfte, um nicht viele, auf wenige Meilen zusammengedrängte<lb/> Tausende in den Wechselfällen des Handelsverkehrs der rohen Bedrük-<lb/> kung einiger Geldaristokraten und damit dem Elende und der Verzweif¬<lb/> lung preisgegeben zusehen! Wer hätte dem Weber im Allgemeinen die<lb/> moralische Kraft zumuthen wollen, der lockenden Sinnlichkeit und Träg¬<lb/> heit zu widerstehen, und für die eingetretene schlimme Zeit auf einen<lb/> Nothpfennig zu denken! Sollen die Schule und der Religionsunter¬<lb/> richt diese moralische Kraft hervorgerufen haben!? Bei der frühzeiti¬<lb/> gen Brauchbarkeit der Weberkinder in den Nebenbeschäftigungen des<lb/> Handwerks ist ihr Schulbesuch sehr beschränkt, und was dadurch in<lb/> dem Burschen und der Dirne Gutes aufgebaut worden, riß das böse<lb/> Beispiel der Masse bald nieder.</p><lb/> <p xml:id="ID_1085" next="#ID_1086"> Schwer zu entscheiden ist vor der Kenntniß der offiziellen Er¬<lb/> sahrungen die Frage, welche unmittelbare Ursache die Tragödie am<lb/> 4. und 5. Juni herbeiführte. Längst hat es in den Gemüthern ge-<lb/> gährt, längst haben die Weber sich gesagt, daß sie allein unter den<lb/> schlechten Conjuncturen zu leiden hätten, da die Fabrikanten bei ih¬<lb/> rem Geschäfte immer noch die Mittel zu einem üppigen Leben und<lb/> enormen Lurus fänden. Sie haben aber auch eingesehen, daß das<lb/> harte und eigennützige Verfahren Einzelner, wie z. B. der Gebrüder<lb/> Zwanziger, den menschlicher gesinnten Fabrikanten zu bösem Beispiel<lb/> gereichte, indem Jene auf den Messen die Concurrenz durch die Spott¬<lb/> preise ihrer eigenen Waaren überflügelten und lachend riefen: solche<lb/> Wohlfeilheit sei durch herabgedrückte Arbeitslöhne möglich! — Rech¬<lb/> net man zu dem allgemeinen Pauperismus, daß Viele durch den<lb/> Ankauf oder die Erbauung von Wohnungen aus urbar gemachtem</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0460]
der sich Jeder dem Weberhandwerk zuwenden konnte, also aus dem
Mangel einer Gewerbsordnung, welche die Regierung bisher
zu geben unterließ, während sie sich nur um die Steuerfähigkeit der
Weber, nicht um ihre moralischen und gewerblichen Zustände kümmerte.
Vielleicht unterblieb es aus Prinzip, um nicht die Gewerbefreiheit zu
beschränken. Es unterliegt aber aus medizinal-polizeilichen Gründen
die Apotheke, aus politisch-moralischen die Presse gewissen gesetzlichen
Beschränkungen, die mit der Gewerbefreiheit im weitesten Sinne auch
collidiren. Daher sollte man meinen, die Physische und moralische
Fürsorge hätte sich auch einem Gewerbe zuwenden können, das bei
seinen eigenthümlichen Verhältnissen so sehr einer gesetzlichen Verfas¬
sung bedürfte, um nicht viele, auf wenige Meilen zusammengedrängte
Tausende in den Wechselfällen des Handelsverkehrs der rohen Bedrük-
kung einiger Geldaristokraten und damit dem Elende und der Verzweif¬
lung preisgegeben zusehen! Wer hätte dem Weber im Allgemeinen die
moralische Kraft zumuthen wollen, der lockenden Sinnlichkeit und Träg¬
heit zu widerstehen, und für die eingetretene schlimme Zeit auf einen
Nothpfennig zu denken! Sollen die Schule und der Religionsunter¬
richt diese moralische Kraft hervorgerufen haben!? Bei der frühzeiti¬
gen Brauchbarkeit der Weberkinder in den Nebenbeschäftigungen des
Handwerks ist ihr Schulbesuch sehr beschränkt, und was dadurch in
dem Burschen und der Dirne Gutes aufgebaut worden, riß das böse
Beispiel der Masse bald nieder.
Schwer zu entscheiden ist vor der Kenntniß der offiziellen Er¬
sahrungen die Frage, welche unmittelbare Ursache die Tragödie am
4. und 5. Juni herbeiführte. Längst hat es in den Gemüthern ge-
gährt, längst haben die Weber sich gesagt, daß sie allein unter den
schlechten Conjuncturen zu leiden hätten, da die Fabrikanten bei ih¬
rem Geschäfte immer noch die Mittel zu einem üppigen Leben und
enormen Lurus fänden. Sie haben aber auch eingesehen, daß das
harte und eigennützige Verfahren Einzelner, wie z. B. der Gebrüder
Zwanziger, den menschlicher gesinnten Fabrikanten zu bösem Beispiel
gereichte, indem Jene auf den Messen die Concurrenz durch die Spott¬
preise ihrer eigenen Waaren überflügelten und lachend riefen: solche
Wohlfeilheit sei durch herabgedrückte Arbeitslöhne möglich! — Rech¬
net man zu dem allgemeinen Pauperismus, daß Viele durch den
Ankauf oder die Erbauung von Wohnungen aus urbar gemachtem
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