Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.Im seines Betragens wegen nicht eine zürnende Miene machen, viel So versank, bei dem Mangel aller wohlthätigen Gewcrköord- Grenzboten 184-i. N. 57
Im seines Betragens wegen nicht eine zürnende Miene machen, viel So versank, bei dem Mangel aller wohlthätigen Gewcrköord- Grenzboten 184-i. N. 57
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0457" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/181016"/> <p xml:id="ID_1076" prev="#ID_1075"> Im seines Betragens wegen nicht eine zürnende Miene machen, viel<lb/> weniger ein tadelndes Wort sagen, sonst war er in Gefahr, ihn zu<lb/> verlieren, da jener schon bei einem der nächsten Nachbarn wahrschein¬<lb/> lich neue Arbeit finden konnte. Der frühreife, aber nur mechanisch<lb/> brauchbare Geselle sah sich also auch nicht einmal durch die Furcht<lb/> vor Entlassung in seinem willkürlichen Treiben beschränkt und zur<lb/> Thätigkeit nur in so weit angehalten, als es der Erwerb seines wö-<lb/> chentlichen Unterhalts und des zur Feier des Sonntags und blauen<lb/> Montags todtzuschlagenden Geldes dringend nöthig machte. Erst in<lb/> der wüsten Hälfte des Dienstags trat er die Arbeit der neuen Woche<lb/> unaufgelegt und zäh wieder an, um sie am Sonnabende oder Sonn¬<lb/> tage Mittags zu schließen, und die Fuselseligkeit der sich mehrenden<lb/> Wirthshäuser im Vereine mit liederlichen Dirnen von Neuem zu er¬<lb/> kaufen. Nach Umständen ward auch ein solches Frauenzimmer ge-<lb/> heirathet, und eine Menge Kinder die einzige Folge des segenlosen,<lb/> wüsten Lebens.</p><lb/> <p xml:id="ID_1077"> So versank, bei dem Mangel aller wohlthätigen Gewcrköord-<lb/> nung, der Webergesell in tiefe Unsittlichkeit, und vom Handwerker<lb/> zum Taglöhner herab. Es kosten sich alle Bande frommer Scheu.<lb/> Sohn und Tochter verließen den Vater, wie den fremden Meister,<lb/> sobald er sein Ansehen gegen ihre zügellose Liederlichkeit geltend ma¬<lb/> chen wollte; denn sie wußten anderwärts ihren Gesellenlohn zu ver¬<lb/> dienen, und es galten nur arbeitende Hände, nicht dem Fami-<lb/> lienwohle zugewandte Herzen. Das Beispiel dieses lustigen, zwang¬<lb/> losen, an'ö Herrenlebcn streifenden Gesellenverhältnisses blieb natürlich<lb/> nicht ohne Reiz auf andere Arbeiterklassen der Fabrikortschaften, die<lb/> sich zu strengerer Ordnung und Thätigkeit angehalten sahen. Vorzüg¬<lb/> lich der Bauernknecht und die Magd, die mit der ersten Morgenstunde<lb/> des Montags schon an schwere unausgesetzte Arbeit mußten — wäh¬<lb/> rend der Webergesell entweder noch schlief oder sich mit dem Plane<lb/> quälte, wie er den zweiten Feiertag jeder Woche mit Genuß und<lb/> Zeitvertreib ausfüllen sollte — reflectirten natürlich: So gut könnten<lb/> wir's ja auch haben, da die Sache so leicht ist! — Sie liefen also<lb/> zu der lockenden Arbeitsfahne des Webstuhles hinüber, wo sie sich<lb/> während der kurzen Lehrzeit mit ihrem Sparpfennige durchzubringen<lb/> wußten, und nach der leidlichen Abarbeitung von fünf bis zwanzig<lb/> Wersten, je nach der OertliclMt, als vollkommene Weber erklärt wurden.</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten 184-i. N. 57</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0457]
Im seines Betragens wegen nicht eine zürnende Miene machen, viel
weniger ein tadelndes Wort sagen, sonst war er in Gefahr, ihn zu
verlieren, da jener schon bei einem der nächsten Nachbarn wahrschein¬
lich neue Arbeit finden konnte. Der frühreife, aber nur mechanisch
brauchbare Geselle sah sich also auch nicht einmal durch die Furcht
vor Entlassung in seinem willkürlichen Treiben beschränkt und zur
Thätigkeit nur in so weit angehalten, als es der Erwerb seines wö-
chentlichen Unterhalts und des zur Feier des Sonntags und blauen
Montags todtzuschlagenden Geldes dringend nöthig machte. Erst in
der wüsten Hälfte des Dienstags trat er die Arbeit der neuen Woche
unaufgelegt und zäh wieder an, um sie am Sonnabende oder Sonn¬
tage Mittags zu schließen, und die Fuselseligkeit der sich mehrenden
Wirthshäuser im Vereine mit liederlichen Dirnen von Neuem zu er¬
kaufen. Nach Umständen ward auch ein solches Frauenzimmer ge-
heirathet, und eine Menge Kinder die einzige Folge des segenlosen,
wüsten Lebens.
So versank, bei dem Mangel aller wohlthätigen Gewcrköord-
nung, der Webergesell in tiefe Unsittlichkeit, und vom Handwerker
zum Taglöhner herab. Es kosten sich alle Bande frommer Scheu.
Sohn und Tochter verließen den Vater, wie den fremden Meister,
sobald er sein Ansehen gegen ihre zügellose Liederlichkeit geltend ma¬
chen wollte; denn sie wußten anderwärts ihren Gesellenlohn zu ver¬
dienen, und es galten nur arbeitende Hände, nicht dem Fami-
lienwohle zugewandte Herzen. Das Beispiel dieses lustigen, zwang¬
losen, an'ö Herrenlebcn streifenden Gesellenverhältnisses blieb natürlich
nicht ohne Reiz auf andere Arbeiterklassen der Fabrikortschaften, die
sich zu strengerer Ordnung und Thätigkeit angehalten sahen. Vorzüg¬
lich der Bauernknecht und die Magd, die mit der ersten Morgenstunde
des Montags schon an schwere unausgesetzte Arbeit mußten — wäh¬
rend der Webergesell entweder noch schlief oder sich mit dem Plane
quälte, wie er den zweiten Feiertag jeder Woche mit Genuß und
Zeitvertreib ausfüllen sollte — reflectirten natürlich: So gut könnten
wir's ja auch haben, da die Sache so leicht ist! — Sie liefen also
zu der lockenden Arbeitsfahne des Webstuhles hinüber, wo sie sich
während der kurzen Lehrzeit mit ihrem Sparpfennige durchzubringen
wußten, und nach der leidlichen Abarbeitung von fünf bis zwanzig
Wersten, je nach der OertliclMt, als vollkommene Weber erklärt wurden.
Grenzboten 184-i. N. 57
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