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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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Elende der Weber im Allgemeinen. Ihr mit fleißigen Händen ohne¬
hin reichlich versehenes Gewerk wurde mit Schaaren unzünftiger Leute
überschwemmt, welche sich andern Nahrungs- und Dienstverhältnissen
entzogen. Bet der herrschenden Gewerbfreiheit war dies hier eher
als bei einem andern Gewerbe möglich, wo die Regierung noch
eine gewisse wohlthätige Zunftordnung beim Betriebe duldet und auch
wohl schützt, während sie sich um die Zunftverbindung der im Ge¬
birge freilich sehr zerstreut betriebenen Weberei nicht bekümmerte und
die durch die Verhältnisse begünstigte Anarchie sorglos einreisten ließ.
-- Bei den drängenden Arbeitsanforderungen mußten nämlich die
Gewerksmeister der Baumwollenweberei, die Besitzer der Webstuhle
und Locale, ohne Wahl und Bedenken aller zu erlangenden Arbeits¬
kräfte froh sein, die sich darbietenden Subjecte nach einer vier- bis
achtwöchentlichen Lehrzeit, statt wie bei andern Gewerken nach einer
mehrjährigen, zu Gesellen ernennen, und mit ihnen nach dem Her¬
kommen den Arbeitslohn der Webstuhle zur Hälfte theilen. Dieses
Herkommen wurde' durch einen esprit av noms auch in anderer
Hinsicht festgehalten; nämlich in der einer schrankenlosen persönlichen
Freiheit. Der Jüngling, der aus einer Weberfamilie stammt, hat
bereits als Knabe die nothwendigsten Handgriffe des Gewerks er¬
lernt und tritt, nach Entlassung vom Schullehrer und Geistlichen,
mit vierzehn bis sechzehn Jahren oft schon als Gesell auf, da es
keine bestimmte und an ein gewisses Alter gebundene Lehrzeit gibt.
Der Bursche unterliegt um innerhalb des weiten Umkreises der
Staatsgesetze keiner weitern Bevormundung mehr, weder von Seite
der Eltern noch des Arbeit gebenden Meisterst Er ist vielmehr, wie
die ältern Gewerksgesellen, sein eigener Herr im eigentlichsten Sinne
des Worts, von keinem Haus- und Zunftgesetze beschränkt. Er
kann, dem anarchischen Herkommen gemäß, arbeiten, wann und
wie er will, die Arbeit unterbrechen und sich auf Stunden ange¬
nehmere Unterhaltung suchen, so oft er will; er darf sich an keinen
Termin, an keine Woche, an keinen Tag gebunden halten, und Ar¬
beit und Meister ganz nach Laune verlassen, ohne das angefangene
Wehe zu vollenden.

Die Folgen dieser vorzeitigen und zügellosen Selbständigkeit wa¬
ren nun zur Zeit des Arbeitsüberflusses bei den Baumwollenwcbem
Trägheit und Liederlichkeit. Der Meister durfte dem Gehet-


Elende der Weber im Allgemeinen. Ihr mit fleißigen Händen ohne¬
hin reichlich versehenes Gewerk wurde mit Schaaren unzünftiger Leute
überschwemmt, welche sich andern Nahrungs- und Dienstverhältnissen
entzogen. Bet der herrschenden Gewerbfreiheit war dies hier eher
als bei einem andern Gewerbe möglich, wo die Regierung noch
eine gewisse wohlthätige Zunftordnung beim Betriebe duldet und auch
wohl schützt, während sie sich um die Zunftverbindung der im Ge¬
birge freilich sehr zerstreut betriebenen Weberei nicht bekümmerte und
die durch die Verhältnisse begünstigte Anarchie sorglos einreisten ließ.
— Bei den drängenden Arbeitsanforderungen mußten nämlich die
Gewerksmeister der Baumwollenweberei, die Besitzer der Webstuhle
und Locale, ohne Wahl und Bedenken aller zu erlangenden Arbeits¬
kräfte froh sein, die sich darbietenden Subjecte nach einer vier- bis
achtwöchentlichen Lehrzeit, statt wie bei andern Gewerken nach einer
mehrjährigen, zu Gesellen ernennen, und mit ihnen nach dem Her¬
kommen den Arbeitslohn der Webstuhle zur Hälfte theilen. Dieses
Herkommen wurde' durch einen esprit av noms auch in anderer
Hinsicht festgehalten; nämlich in der einer schrankenlosen persönlichen
Freiheit. Der Jüngling, der aus einer Weberfamilie stammt, hat
bereits als Knabe die nothwendigsten Handgriffe des Gewerks er¬
lernt und tritt, nach Entlassung vom Schullehrer und Geistlichen,
mit vierzehn bis sechzehn Jahren oft schon als Gesell auf, da es
keine bestimmte und an ein gewisses Alter gebundene Lehrzeit gibt.
Der Bursche unterliegt um innerhalb des weiten Umkreises der
Staatsgesetze keiner weitern Bevormundung mehr, weder von Seite
der Eltern noch des Arbeit gebenden Meisterst Er ist vielmehr, wie
die ältern Gewerksgesellen, sein eigener Herr im eigentlichsten Sinne
des Worts, von keinem Haus- und Zunftgesetze beschränkt. Er
kann, dem anarchischen Herkommen gemäß, arbeiten, wann und
wie er will, die Arbeit unterbrechen und sich auf Stunden ange¬
nehmere Unterhaltung suchen, so oft er will; er darf sich an keinen
Termin, an keine Woche, an keinen Tag gebunden halten, und Ar¬
beit und Meister ganz nach Laune verlassen, ohne das angefangene
Wehe zu vollenden.

Die Folgen dieser vorzeitigen und zügellosen Selbständigkeit wa¬
ren nun zur Zeit des Arbeitsüberflusses bei den Baumwollenwcbem
Trägheit und Liederlichkeit. Der Meister durfte dem Gehet-


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[0456] Elende der Weber im Allgemeinen. Ihr mit fleißigen Händen ohne¬ hin reichlich versehenes Gewerk wurde mit Schaaren unzünftiger Leute überschwemmt, welche sich andern Nahrungs- und Dienstverhältnissen entzogen. Bet der herrschenden Gewerbfreiheit war dies hier eher als bei einem andern Gewerbe möglich, wo die Regierung noch eine gewisse wohlthätige Zunftordnung beim Betriebe duldet und auch wohl schützt, während sie sich um die Zunftverbindung der im Ge¬ birge freilich sehr zerstreut betriebenen Weberei nicht bekümmerte und die durch die Verhältnisse begünstigte Anarchie sorglos einreisten ließ. — Bei den drängenden Arbeitsanforderungen mußten nämlich die Gewerksmeister der Baumwollenweberei, die Besitzer der Webstuhle und Locale, ohne Wahl und Bedenken aller zu erlangenden Arbeits¬ kräfte froh sein, die sich darbietenden Subjecte nach einer vier- bis achtwöchentlichen Lehrzeit, statt wie bei andern Gewerken nach einer mehrjährigen, zu Gesellen ernennen, und mit ihnen nach dem Her¬ kommen den Arbeitslohn der Webstuhle zur Hälfte theilen. Dieses Herkommen wurde' durch einen esprit av noms auch in anderer Hinsicht festgehalten; nämlich in der einer schrankenlosen persönlichen Freiheit. Der Jüngling, der aus einer Weberfamilie stammt, hat bereits als Knabe die nothwendigsten Handgriffe des Gewerks er¬ lernt und tritt, nach Entlassung vom Schullehrer und Geistlichen, mit vierzehn bis sechzehn Jahren oft schon als Gesell auf, da es keine bestimmte und an ein gewisses Alter gebundene Lehrzeit gibt. Der Bursche unterliegt um innerhalb des weiten Umkreises der Staatsgesetze keiner weitern Bevormundung mehr, weder von Seite der Eltern noch des Arbeit gebenden Meisterst Er ist vielmehr, wie die ältern Gewerksgesellen, sein eigener Herr im eigentlichsten Sinne des Worts, von keinem Haus- und Zunftgesetze beschränkt. Er kann, dem anarchischen Herkommen gemäß, arbeiten, wann und wie er will, die Arbeit unterbrechen und sich auf Stunden ange¬ nehmere Unterhaltung suchen, so oft er will; er darf sich an keinen Termin, an keine Woche, an keinen Tag gebunden halten, und Ar¬ beit und Meister ganz nach Laune verlassen, ohne das angefangene Wehe zu vollenden. Die Folgen dieser vorzeitigen und zügellosen Selbständigkeit wa¬ ren nun zur Zeit des Arbeitsüberflusses bei den Baumwollenwcbem Trägheit und Liederlichkeit. Der Meister durfte dem Gehet-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/456>, abgerufen am 23.12.2024.