Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

ficht entschlossen sich gleichwohl die Leinenweber nicht so allgemein
zu der neuen Arbeitöfahne zu schwören, wie man es hätte erwarten
sollen. Dies moralisch und physisch verkümmerte Geschlecht, größten-
theils vom Vater auf Sohn und Tochter in ununterbrochener Folge
an den Leinenwebstuhl vererbt, hatte sich in der Gewohnheit einen
hundertjährigen Götzen erzogen, und darbte lieber, als daß es sich
jetzt mit Energie der Baumwollenweberei oder einer andern besser
lohnenden Arbeit gewidmet hätte. Bisweilen mochte auch ein ge¬
wisses Ehrgefühl davon abhalten, insofern der Leinenweber bei
aller Dürftigkeit eine freilich nur scheinbare Selbständigkeit bewahrt.
Denn er ist selbst der Fabrikant "in mmiuturv, d. h. er verfertigt
von dem aufgekauften Garne sein Gewebe für eigene Rechnung und
sucht es auf den dazu eigens bestehenden Märkten an die Leinen-
kauflcute abzusetzen, welche die Bleiche und Appretur der Waare für
den Welthandel besorgen. Der Baumwollenweber dagegen ist der
bloße Lohnarbeiter und Jndustriesklave des Fabrikanten, indem er
von diesem das Garn zu der Arbeit und nach ihrer Ablieferung
einen bestimmten Preis dafür empfängt. Dieser betrug zur Blüthe¬
zeit des neuern Erwerbszweigs wohl das Doppelte und Dreifache des
Einkommens, welches der Lcinenweber in seinen, von den Übeln Con-
juncturen bedrückten selbständigen Arbeitsverhältnissen während der¬
amerrinen konnte.

selben Zeit mühsg
So hungerte diesseits der Eule ein solcher starrsinniger Ge¬
wohnheitsmensch gewissermaßen aus Prinzip, indeß sein zur Baum-
wollcnweberei bekehrter Gewerksgenosse jenseits des Gebirges Arbeit
in Fülle und reichlichen Verdienst fand. -- Da die nahen Leinen¬
weber sich den Chancen ihres Gewerbes nicht in solchen Massen ac-
commodirten, wie man ihrer bedürfte, so zogen die Fabrikanten in
jener glücklichen Vergangenheit, wo die Hast des Absatzes aller.
Baumwollenwaaren den Fleiß und die Arbeitszeit des Webers noch
überbot, von andern Seiten Arbeiter aller Art herbei, welche nach
einer Lehrzeit von einem oder ein paar Monaten die einfache mecha¬
nische Fertigkeit zum Betriebe des leichten einträglichen Gewerbes
hinreichend erlangen konnt.n. Bald machte dasselbe seinen Weg durch
alle nahen Thäler und über die Berge und fand in allen Häusern
eAunahme.

uvorkommend
In diesen Umständen lag der Brütpunkt zu dem jetzigen


ficht entschlossen sich gleichwohl die Leinenweber nicht so allgemein
zu der neuen Arbeitöfahne zu schwören, wie man es hätte erwarten
sollen. Dies moralisch und physisch verkümmerte Geschlecht, größten-
theils vom Vater auf Sohn und Tochter in ununterbrochener Folge
an den Leinenwebstuhl vererbt, hatte sich in der Gewohnheit einen
hundertjährigen Götzen erzogen, und darbte lieber, als daß es sich
jetzt mit Energie der Baumwollenweberei oder einer andern besser
lohnenden Arbeit gewidmet hätte. Bisweilen mochte auch ein ge¬
wisses Ehrgefühl davon abhalten, insofern der Leinenweber bei
aller Dürftigkeit eine freilich nur scheinbare Selbständigkeit bewahrt.
Denn er ist selbst der Fabrikant «in mmiuturv, d. h. er verfertigt
von dem aufgekauften Garne sein Gewebe für eigene Rechnung und
sucht es auf den dazu eigens bestehenden Märkten an die Leinen-
kauflcute abzusetzen, welche die Bleiche und Appretur der Waare für
den Welthandel besorgen. Der Baumwollenweber dagegen ist der
bloße Lohnarbeiter und Jndustriesklave des Fabrikanten, indem er
von diesem das Garn zu der Arbeit und nach ihrer Ablieferung
einen bestimmten Preis dafür empfängt. Dieser betrug zur Blüthe¬
zeit des neuern Erwerbszweigs wohl das Doppelte und Dreifache des
Einkommens, welches der Lcinenweber in seinen, von den Übeln Con-
juncturen bedrückten selbständigen Arbeitsverhältnissen während der¬
amerrinen konnte.

selben Zeit mühsg
So hungerte diesseits der Eule ein solcher starrsinniger Ge¬
wohnheitsmensch gewissermaßen aus Prinzip, indeß sein zur Baum-
wollcnweberei bekehrter Gewerksgenosse jenseits des Gebirges Arbeit
in Fülle und reichlichen Verdienst fand. — Da die nahen Leinen¬
weber sich den Chancen ihres Gewerbes nicht in solchen Massen ac-
commodirten, wie man ihrer bedürfte, so zogen die Fabrikanten in
jener glücklichen Vergangenheit, wo die Hast des Absatzes aller.
Baumwollenwaaren den Fleiß und die Arbeitszeit des Webers noch
überbot, von andern Seiten Arbeiter aller Art herbei, welche nach
einer Lehrzeit von einem oder ein paar Monaten die einfache mecha¬
nische Fertigkeit zum Betriebe des leichten einträglichen Gewerbes
hinreichend erlangen konnt.n. Bald machte dasselbe seinen Weg durch
alle nahen Thäler und über die Berge und fand in allen Häusern
eAunahme.

uvorkommend
In diesen Umständen lag der Brütpunkt zu dem jetzigen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0455" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/181014"/>
          <p xml:id="ID_1071" prev="#ID_1070"> ficht entschlossen sich gleichwohl die Leinenweber nicht so allgemein<lb/>
zu der neuen Arbeitöfahne zu schwören, wie man es hätte erwarten<lb/>
sollen. Dies moralisch und physisch verkümmerte Geschlecht, größten-<lb/>
theils vom Vater auf Sohn und Tochter in ununterbrochener Folge<lb/>
an den Leinenwebstuhl vererbt, hatte sich in der Gewohnheit einen<lb/>
hundertjährigen Götzen erzogen, und darbte lieber, als daß es sich<lb/>
jetzt mit Energie der Baumwollenweberei oder einer andern besser<lb/>
lohnenden Arbeit gewidmet hätte.  Bisweilen mochte auch ein ge¬<lb/>
wisses Ehrgefühl davon abhalten, insofern der Leinenweber bei<lb/>
aller Dürftigkeit eine freilich nur scheinbare Selbständigkeit bewahrt.<lb/>
Denn er ist selbst der Fabrikant «in mmiuturv, d. h. er verfertigt<lb/>
von dem aufgekauften Garne sein Gewebe für eigene Rechnung und<lb/>
sucht es auf den dazu eigens bestehenden Märkten an die Leinen-<lb/>
kauflcute abzusetzen, welche die Bleiche und Appretur der Waare für<lb/>
den Welthandel besorgen.  Der Baumwollenweber dagegen ist der<lb/>
bloße Lohnarbeiter und Jndustriesklave des Fabrikanten, indem er<lb/>
von diesem das Garn zu der Arbeit und nach ihrer Ablieferung<lb/>
einen bestimmten Preis dafür empfängt.  Dieser betrug zur Blüthe¬<lb/>
zeit des neuern Erwerbszweigs wohl das Doppelte und Dreifache des<lb/>
Einkommens, welches der Lcinenweber in seinen, von den Übeln Con-<lb/>
juncturen bedrückten selbständigen Arbeitsverhältnissen während der¬<lb/>
amerrinen konnte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1072"> selben Zeit mühsg<lb/>
So hungerte diesseits der Eule ein solcher starrsinniger Ge¬<lb/>
wohnheitsmensch gewissermaßen aus Prinzip, indeß sein zur Baum-<lb/>
wollcnweberei bekehrter Gewerksgenosse jenseits des Gebirges Arbeit<lb/>
in Fülle und reichlichen Verdienst fand. &#x2014; Da die nahen Leinen¬<lb/>
weber sich den Chancen ihres Gewerbes nicht in solchen Massen ac-<lb/>
commodirten, wie man ihrer bedürfte, so zogen die Fabrikanten in<lb/>
jener glücklichen Vergangenheit, wo die Hast des Absatzes aller.<lb/>
Baumwollenwaaren den Fleiß und die Arbeitszeit des Webers noch<lb/>
überbot, von andern Seiten Arbeiter aller Art herbei, welche nach<lb/>
einer Lehrzeit von einem oder ein paar Monaten die einfache mecha¬<lb/>
nische Fertigkeit zum Betriebe des leichten einträglichen Gewerbes<lb/>
hinreichend erlangen konnt.n. Bald machte dasselbe seinen Weg durch<lb/>
alle nahen Thäler und über die Berge und fand in allen Häusern<lb/>
eAunahme.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1073" next="#ID_1074"> uvorkommend<lb/>
In diesen Umständen lag der Brütpunkt zu dem jetzigen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0455] ficht entschlossen sich gleichwohl die Leinenweber nicht so allgemein zu der neuen Arbeitöfahne zu schwören, wie man es hätte erwarten sollen. Dies moralisch und physisch verkümmerte Geschlecht, größten- theils vom Vater auf Sohn und Tochter in ununterbrochener Folge an den Leinenwebstuhl vererbt, hatte sich in der Gewohnheit einen hundertjährigen Götzen erzogen, und darbte lieber, als daß es sich jetzt mit Energie der Baumwollenweberei oder einer andern besser lohnenden Arbeit gewidmet hätte. Bisweilen mochte auch ein ge¬ wisses Ehrgefühl davon abhalten, insofern der Leinenweber bei aller Dürftigkeit eine freilich nur scheinbare Selbständigkeit bewahrt. Denn er ist selbst der Fabrikant «in mmiuturv, d. h. er verfertigt von dem aufgekauften Garne sein Gewebe für eigene Rechnung und sucht es auf den dazu eigens bestehenden Märkten an die Leinen- kauflcute abzusetzen, welche die Bleiche und Appretur der Waare für den Welthandel besorgen. Der Baumwollenweber dagegen ist der bloße Lohnarbeiter und Jndustriesklave des Fabrikanten, indem er von diesem das Garn zu der Arbeit und nach ihrer Ablieferung einen bestimmten Preis dafür empfängt. Dieser betrug zur Blüthe¬ zeit des neuern Erwerbszweigs wohl das Doppelte und Dreifache des Einkommens, welches der Lcinenweber in seinen, von den Übeln Con- juncturen bedrückten selbständigen Arbeitsverhältnissen während der¬ amerrinen konnte. selben Zeit mühsg So hungerte diesseits der Eule ein solcher starrsinniger Ge¬ wohnheitsmensch gewissermaßen aus Prinzip, indeß sein zur Baum- wollcnweberei bekehrter Gewerksgenosse jenseits des Gebirges Arbeit in Fülle und reichlichen Verdienst fand. — Da die nahen Leinen¬ weber sich den Chancen ihres Gewerbes nicht in solchen Massen ac- commodirten, wie man ihrer bedürfte, so zogen die Fabrikanten in jener glücklichen Vergangenheit, wo die Hast des Absatzes aller. Baumwollenwaaren den Fleiß und die Arbeitszeit des Webers noch überbot, von andern Seiten Arbeiter aller Art herbei, welche nach einer Lehrzeit von einem oder ein paar Monaten die einfache mecha¬ nische Fertigkeit zum Betriebe des leichten einträglichen Gewerbes hinreichend erlangen konnt.n. Bald machte dasselbe seinen Weg durch alle nahen Thäler und über die Berge und fand in allen Häusern eAunahme. uvorkommend In diesen Umständen lag der Brütpunkt zu dem jetzigen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/455
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/455>, abgerufen am 23.07.2024.