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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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Basis bilden. Unter den Arbeiterunruhen der jüngsten Zeit verdiene
einer gewissen Eigenthümlichkeit der Verhältnisse wegen, der Aufstand
der Baumwollenweber am Eulengebirge die größte Aufmerksamkeit.
Wer den Schauplatz, die dortigen Arbeiterverhältnisse und ihre Her¬
anbildung genau kennt, hat die Pflicht, mit ihrer unparteiischen Dar¬
stellung dem öffentlichen Urtheile den Dienst der Wahrheit zu leisten.
Dies will auch ich versuchen, da mir noch keine geschichtlich er¬
schöpfende Beleuchtung jener Verhältnisse und Ereignisse im Journal¬
bereiche bekannt geworden ist.

Im Anfange des Jahrhunderts führte der Kaufmann Sade-
beck zu Reichenbach im dortigen Kreise, jetzt dem volkreichsten des
preußischen Staats, die Baumwollenweberei ein, welche mit dem
spätern Sinken des Leinenhandels einen außerordentlichen Flor ge¬
wann. Das Leinengeschäft hatte die äußern Ursachen seines Verfalls
im gänzlichen Aufhören des Absatzes nach Polen und in dem immer
mehr verringerten nach Spanien und den transatlantischen Ländern,
die innern in der verschlechterten Beschaffenheit der ehevem so be¬
rühmten schlesischen Waare und in den allgemein ungünstigen
VerbrauchSconjuncturen, welche sich den Baumwollenzeugen zu¬
wandten.

Während nun in den Thälern westlich und nördlich vom Eulen¬
gebirge dem alten Erwerbszweige in Leinen immer mehr fleißige
Hände entbehrlich waren, wurden sie auf der östlichen Seite begie¬
rig in Anspruch genommen. Dort vermehrten sich, zur fabrikmäßigen
Verfertigung der Baumwollenwaaren, die großen Etablissements vor¬
nehmlich in den zwischen der Kreisstadt Reichenbach und dem Ge¬
birge meilenlang sich hinziehenden Dörfern, welche durch neuen An¬
bau eine noch größere Ausdehnung und durch die stets gesteigerte
Betriebsamkeit eine außerordentlich anwachsende Bevölkerung erhiel¬
ten. So wurde namentlich Langenbielau, mit jetzt dreizehn Tau--
send Einwohnern, ein Dorf, mit dem sich in statistischer und indu¬
strieller Wichtigkeit nicht leicht eine Mittelstadt von gleicher oder
auch größerer Seelenzahl, überhaupt aber kein anderes Dorf in
Deutschland vergleichen konnte. Nur in Ungarn soll das Dorf
Czaba mit zweiundzwanzig Tausend Einwohnern ihm den Rang
ablaufen.

Bei aller gesteigerten Dürftigkeit und verdüsterten Zukunftsaus-


Basis bilden. Unter den Arbeiterunruhen der jüngsten Zeit verdiene
einer gewissen Eigenthümlichkeit der Verhältnisse wegen, der Aufstand
der Baumwollenweber am Eulengebirge die größte Aufmerksamkeit.
Wer den Schauplatz, die dortigen Arbeiterverhältnisse und ihre Her¬
anbildung genau kennt, hat die Pflicht, mit ihrer unparteiischen Dar¬
stellung dem öffentlichen Urtheile den Dienst der Wahrheit zu leisten.
Dies will auch ich versuchen, da mir noch keine geschichtlich er¬
schöpfende Beleuchtung jener Verhältnisse und Ereignisse im Journal¬
bereiche bekannt geworden ist.

Im Anfange des Jahrhunderts führte der Kaufmann Sade-
beck zu Reichenbach im dortigen Kreise, jetzt dem volkreichsten des
preußischen Staats, die Baumwollenweberei ein, welche mit dem
spätern Sinken des Leinenhandels einen außerordentlichen Flor ge¬
wann. Das Leinengeschäft hatte die äußern Ursachen seines Verfalls
im gänzlichen Aufhören des Absatzes nach Polen und in dem immer
mehr verringerten nach Spanien und den transatlantischen Ländern,
die innern in der verschlechterten Beschaffenheit der ehevem so be¬
rühmten schlesischen Waare und in den allgemein ungünstigen
VerbrauchSconjuncturen, welche sich den Baumwollenzeugen zu¬
wandten.

Während nun in den Thälern westlich und nördlich vom Eulen¬
gebirge dem alten Erwerbszweige in Leinen immer mehr fleißige
Hände entbehrlich waren, wurden sie auf der östlichen Seite begie¬
rig in Anspruch genommen. Dort vermehrten sich, zur fabrikmäßigen
Verfertigung der Baumwollenwaaren, die großen Etablissements vor¬
nehmlich in den zwischen der Kreisstadt Reichenbach und dem Ge¬
birge meilenlang sich hinziehenden Dörfern, welche durch neuen An¬
bau eine noch größere Ausdehnung und durch die stets gesteigerte
Betriebsamkeit eine außerordentlich anwachsende Bevölkerung erhiel¬
ten. So wurde namentlich Langenbielau, mit jetzt dreizehn Tau--
send Einwohnern, ein Dorf, mit dem sich in statistischer und indu¬
strieller Wichtigkeit nicht leicht eine Mittelstadt von gleicher oder
auch größerer Seelenzahl, überhaupt aber kein anderes Dorf in
Deutschland vergleichen konnte. Nur in Ungarn soll das Dorf
Czaba mit zweiundzwanzig Tausend Einwohnern ihm den Rang
ablaufen.

Bei aller gesteigerten Dürftigkeit und verdüsterten Zukunftsaus-


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[0454] Basis bilden. Unter den Arbeiterunruhen der jüngsten Zeit verdiene einer gewissen Eigenthümlichkeit der Verhältnisse wegen, der Aufstand der Baumwollenweber am Eulengebirge die größte Aufmerksamkeit. Wer den Schauplatz, die dortigen Arbeiterverhältnisse und ihre Her¬ anbildung genau kennt, hat die Pflicht, mit ihrer unparteiischen Dar¬ stellung dem öffentlichen Urtheile den Dienst der Wahrheit zu leisten. Dies will auch ich versuchen, da mir noch keine geschichtlich er¬ schöpfende Beleuchtung jener Verhältnisse und Ereignisse im Journal¬ bereiche bekannt geworden ist. Im Anfange des Jahrhunderts führte der Kaufmann Sade- beck zu Reichenbach im dortigen Kreise, jetzt dem volkreichsten des preußischen Staats, die Baumwollenweberei ein, welche mit dem spätern Sinken des Leinenhandels einen außerordentlichen Flor ge¬ wann. Das Leinengeschäft hatte die äußern Ursachen seines Verfalls im gänzlichen Aufhören des Absatzes nach Polen und in dem immer mehr verringerten nach Spanien und den transatlantischen Ländern, die innern in der verschlechterten Beschaffenheit der ehevem so be¬ rühmten schlesischen Waare und in den allgemein ungünstigen VerbrauchSconjuncturen, welche sich den Baumwollenzeugen zu¬ wandten. Während nun in den Thälern westlich und nördlich vom Eulen¬ gebirge dem alten Erwerbszweige in Leinen immer mehr fleißige Hände entbehrlich waren, wurden sie auf der östlichen Seite begie¬ rig in Anspruch genommen. Dort vermehrten sich, zur fabrikmäßigen Verfertigung der Baumwollenwaaren, die großen Etablissements vor¬ nehmlich in den zwischen der Kreisstadt Reichenbach und dem Ge¬ birge meilenlang sich hinziehenden Dörfern, welche durch neuen An¬ bau eine noch größere Ausdehnung und durch die stets gesteigerte Betriebsamkeit eine außerordentlich anwachsende Bevölkerung erhiel¬ ten. So wurde namentlich Langenbielau, mit jetzt dreizehn Tau-- send Einwohnern, ein Dorf, mit dem sich in statistischer und indu¬ strieller Wichtigkeit nicht leicht eine Mittelstadt von gleicher oder auch größerer Seelenzahl, überhaupt aber kein anderes Dorf in Deutschland vergleichen konnte. Nur in Ungarn soll das Dorf Czaba mit zweiundzwanzig Tausend Einwohnern ihm den Rang ablaufen. Bei aller gesteigerten Dürftigkeit und verdüsterten Zukunftsaus-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/454>, abgerufen am 23.12.2024.